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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Die WELT und die „Lösungen für Ostthüringen“

Ich erwarte von den Kommentatoren der WELT normalerweise nicht viel mehr als Polemik. Springer bleibt Springer, auch wenn dort gelegentliche erhellende Artikel erscheinen mögen. Aber wer sich’s so einfach macht, verkennt, dass Thüringer zunächst einmal Thüringen im Fokus haben. Und so wird schwer verdaulich, was der Chefredakteur der WELT predigt:

So wichtig einem die Wahl in Thüringen ist, so sehr verstellt sie den Blick auf die Herausforderungen für das Land, den Kontinent, die Entwicklung von Zukunftsperspektiven, die auch die Herausforderungen abgehängter Regionen wie Ostthüringen lösen könnten. Allen voran die Bildung mit dem Ideal mündiger Bürger, die demokratiefähig gemacht werden, schon ab dem Kita-Alter.

Ach nee, Sprüche. Sprüche kann jeder. Da muss man nicht Chefredakteure bei der WELT sein. Verkürzt heißt das: Hey, ihr Thüringer, guckt mal, dass ihr wenigstens eure Kids demokratiefähig macht, dann gibt es auch bald Manna für alle.

Ich sag da mal (selber Wessi): Besserwessi. Ich hätte auch Besserwisser sagen können, denn ich vermute kaum, dass Herr Poschardt einen Plan für die „abgehängten Gebiete Ostthüringens“ hat. Wo genau die AfD ihre Wähler generiert, ist im übrigen hier dokumentiert.

Dem Chefredakteur geht es darum, die möglicherweise anstehende Kooperation zwischen CDU und Linkspartei auszugrenzen. Fragt sich nur, was dies der CDU nützt. Dabei weiß Herr Poschardt (wahrscheinlich besser als jeder andere), dass die CDU sich selbst ins Abseits stellt, und für den aktuellen Niedergang gibt es ein prägnantes Etikett: Annegret Kramp-Karrenbauer. Übrigens: Die verbliebene Zustimmung zur CDU in Thüringen ist allein auf die CDU-Kandidaten zurückzuführen, nicht auf die Partei – das ist am Wahlergebnis klar erkennbar.

Die Thüringer FDP

Die Wahlergebnisse - vorläufig
Heute wurde in einigen Zeitungen veröffentlich, wie knapp die FDP in den neuen thüringischen Landtag geschliddert ist. Nach dem vorläufigen Endergebnis erhielt sie ja fünf Prozent der Stimmen – aber wie viele waren es eigentlich genau? Ich habe die halbe Nacht auf die Zahlen geguckt – eigentlich nicht wegen der FDP. Aber sie schwappte mit der vierten Nachkommastelle lange Zeit um die fünf Prozent herum - und das war immerhin recht unterhaltsam.

Schließlich landete sie gegen Mitternacht im letzten vorläufigen Ergebnis bei 5,0005 Prozent.

Auf dem „Portal Liberal“ kann man nachlesen, wie die FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg den Mund vor der Wahl deutlich zu voll nahm – und ich sage dazu: Arroganz ohne Ende ist auch keine Lösung.

Das zitiere ich doch gerne:

… ob die freien Demokraten (ins Thüringer Parlament) einziehen, wird große Auswirkungen haben auf die Koalitions-Chancen und das Image Thüringens. Eine Regierung ohne Linke und AfD gibt es nur, wenn wir in den Landtag kommen.

Und dazu fällt mir wirklich nichts mehr ein – außer, dass der FDP der Realitätssinn schon frühzeitig abhandenkam.

Quelle des Zitats: Portal Liberal
Quelle der Grafik: Wahlen Thüringen Veröffentlichung ohne Gewähr.



Und es war Wahl in Thüringen …

Gestern war also Wahl in Thüringen. Wer es nicht weiß: Es ist ein recht bevölkerungsarmes Land im deutschen Osten, das sich hauptsächlich durch seinen Waldbestand auszeichnet. Gestern waren 1,7 Mio. Thüringer Bürger(innen) aufgerufen, zur Wahl zu gehen, und etwa 1,1 Mio. haben es tatsächlich geschafft, ein Wahllokal aufzusuchen.

Diese 1,1 Mio. haben gestern Geschichte geschrieben, indem sie die Linkspartei für – zugegeben – gute Regierungsarbeit belohnt haben, aber offenbar keine Links-Koalition mehr wollten. Damit wurde auch nahezu jede andere Koalition – jedenfalls zunächst – verhindert. Mehr und ausführlich kannst du darüber im Tagesspiegel lesen.

Übertrieben arrogant gab sich abermals Herr Lindner (Bundes-FDP), dessen Partei um Haaresbreite nichts ins Parlament gekommen wäre, während die Bundes-CDU mit einer Mischung aus Arroganz, Betroffenheit und Realitätsverlust reagierte – die Thüringer CDU jedoch nicht. Sie weiß, dass es um Thüringen geht und nicht um aalglattes Hinauswinden aus der gegebenen Situation.

Die Grünen hatten in Thüringen eine harte Zeit – sie sagten es nicht so deutlich, aber auf den Straßen schlug ihnen bisweilen „Volkes Hass“ entgegen. Von der SPD rede ich nicht mehr – sie hat politisch vorerst ausgespielt.

Obgleich die AfD ihre Wahl ausschließlich mit Parolen führte, hinter denen man die Realität vermisste, wählte fast jeder Vierte diese Partei. Absolut überraschend ist, dass sowohl die Arbeiterschaft wie auch die Selbstständigen zu einem Großteil AfD wählten. Der Grund dafür ist unbekannt – es könnte aber sein, dass beide Gruppen sich vor Konkurrenten aus der EU (und anderer Staaten) fürchten.

Die Bundes-CDU hat, ebenso wie die Bundes-SPD, offenbar auch in Thüringen die Quittung für ihre jeweiligen Chaostage bekommen. Die als „AKK“ gehandelte Kandidatin zeigt ihre provinzielle Inkompetenz nahezu jeden Tag aus Neue – und sie mit dem Charme eines Betonmischers. Und die SPD veranstaltet seit Monaten ein Kaspertheater um die Spitze. Wenn die beiden Parteien weiterhin glauben sollten, dass dies beim Volk ankommt, dann sehe ich schwarz für die Demokratie. Denn solange Kasper und Gretel Schmierentheater spielen, freut sich nur das Krokodil.

Europa ist JETZT

Europa ist unser Schicksal. Die Briten erleben gerade, was es bedeutet, sich aus der EU zu entfernen – ich will es nicht kommentieren – es ist ihr Problem, und das wird es noch für eine sehr, sehr lange Zeit sein.

Deutschland braucht Europa, wie Europa Deutschland braucht. Die Vorteile, die gerade die Deutschen aus der EU herausziehen, sind enorm. Und die deutsche Wirtschaft ist sowohl Motor wie auch Getriebe für andere Volkswirtschaften innerhalb der EU.

Wir brauchen jetzt alle, die mit uns die EU festigen und/oder erneuern wollen. Wir müssen – ob eher konservativ, liberal oder sozialstaatlich eingestellt - weiter am großen Projekt „Europa“ arbeiten. Und da darf uns nicht stören, wenn einige osteuropäische Ländern absurde Ideen von Staat und Gesellschaft entwickeln. Auch dort gibt es noch liberale und demokratische Frauen und Männer, die den Ideen von Freiheit und Demokratie verpflichtet sind.

Wir müssen darauf achten, dass wir hier und jetzt, von Herzen und mit Verstand, unser Europa groß und einig machen, als Wirtschaftsmacht bestehen bleiben und den Vorsprung ausbauen, den wir heute noch haben. Wenn wir zurückkehren zu nationalen Ideen, werden wir schnell und zielsicher in Isolation und Elend enden.

Es ist nötig, sich in den Wahlkampf zur Europawahl einzumischen – und das heißt: Parteien, die zur Europawahl stellen, müssen sich zu 100 Prozent zu Europa bekennen. Wir können das nicht für jedes EU-Land garantieren – aber für Deutschland können wir es, wenn wir uns genau ansehen, welche deutschen Partien mit Herz und Verstand die EU befürworten.

Ostdeutschland – verlorenes Land für die aufgeklärte Demokratie?

Ein Großteil der Wähler im Osten Deutschlands hat der Demokratie eine Ohrfeige verpasst. Anders kann man es nicht nennen, wenn man überzeugter Demokrat und Liberaler ist und zudem geschichtsbewusster Bundesbürger. Auf der Suche nach der Verantwortung hörte man zwar oft den Namen „Angela Merkel“, dann wieder „die Asylanten“, aber oftmals auch einen völligen Unsinn über Politik und Demokratie. Ich habe jüngst in der „Berliner Zeitung“ gelesen, dass die Ostdeutschen Frust-Männer, die allein geblieben und abgehängten, die Ursache waren. Das mögen Zahlen von irgendwoher belegen, aber es ist nicht die Wahrheit: Die AfD steckt hier im Osten in den Familien, die die kürzlich stattgefundene „Kinderwahl“ eindeutig belegt.

Von Demoskopen erhobene Daten sind geduldig, aber nicht aussagefähig. Mit einer „inneren“ Trennung von Ost und West lässt sich viel beweisen und widerlegen. Doch ein wichtiger Aspekt wird selten genannt. Der Ex-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf weißt darauf hin, dass

Viele Politiker in den alten Bundesländern (…) bis heute nicht verstanden … haben …, welche immense Leistung es ist, was hier nach 1990 geschaffen wurde. Und sie anerkennen auch nicht die Herausforderung der Politiker nach der Wende, für das neue politische System und um das Vertrauen der Menschen zu werben.


Und da liegt der Hase im Pfeffer: Viele Menschen im Osten haben das demokratische System von vornherein nicht begriffen, ja nicht einmal die Grundlagen des Wirtschaftssystems oder den Sozialstaat. Insofern muss selbst Biedenkopf widersprochen werden: Es gab keine Bürgerkurse für Ostdeutsche, um dererlei zu verstehen, womit ich nicht behaupte, dass Westdeutsche darin klüger sind. Aber: Sie haben jetzt seit 70 Jahren erfahren, dass sich dieses System bewährt hat. Das ist etwas anders als bei den Ostdeutschen, die nichts vom demokratischen System wissen und die freie Marktwirtschaft niemals begriffen haben. Stattdessen schreien sie bei jeder Gelegenheit nach dem Staat, ohne ihn jemals zu unterstützen. Wobei zu erwähnen bleibt, dass es im Osten keine politische Gesprächskultur gibt – nach wie vor werden Gespräche über Politik im Keim erstickt, indem blitzschnell andere Themen, meist nostalgischer Art, hervorgeholt werden.

Man könnte einen oft gehörten Satz verstehen, der da lautet: „Wir haben nun in 27 Jahren so viel aufgebaut, und nun wollen wir nicht, dass es jemand zunichtemacht.“ Davon kann allerdings nicht die Rede sein, denn die Menschen in den Neuen Bundesländern leben in einem neuen Luxus. Der zeigt sich vor allem darin, dass sich kaum noch jemand „die Hände schmutzig machen“ will – was konkret heißt: Handwerks-Azubis werden zur Seltenheit.

Ich bezweifle, dass die Menschen, die in den 27 Jahren seit der Wiedervereinigung wirklich sehr viel aufgebaut haben, den Staat und seine Regierung hassen. Sie hätten nämlich keinen Grund. Wer hasst also Staat und Regierung, und wer steht hinter den Scharfmachern? Ich weiß es nicht – es können nicht ausschließlich diejenigen sein, die „abgehängt“ wurden, denn wirklich „abgehängt“ wurde kaum jemand. Es muss diese grummelnde graue Masse an den Würstchenbuden sein, von der die Miesmacherei ausgeht.