Skip to content
Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Gefühle - wer weiß wirklich, wie "WIR" fühlen?

Das Wissen in den Naturwissenschaften ändert sich schneller, als wir geahnt haben. Zwar treten einige Wissenschaftskritiker schon auf die Bremse, wenn von einer „Halbwertszeit“ von nur fünf oder auch nur 12 Jahren die Rede ist. Andererseits war von zwei Mal zwölf Jahren gerade mal das Jahr 2000.

Na schön – werfen wir einen Blick auf die Geisteswissenschaften. Deren Verfechter leben zum Teil noch nach dem Grundsatz, dass „grundlegende“ wissenschaftliche Erkenntnisse gar keine Halbwertszeit haben – sie gelten für immer und ewig.

Und die Psychologie? (Zitat)

In „einigen Disziplinen, wie etwa der klinischen Gesundheitspsychologie und in anderen klinischen Fächern, veraltet Wissen sehr schnell, nämlich innerhalb von sieben bis elf Jahren … in anderen Disziplinen, wie etwa der Psychoanalyse, bleibt der Wissensstand hingegen viele Jahre konstant (hier: 18 Jahre)."

Als ich ein junger Mann war, gab es eine Art „Revolution“ in allem, was die Psyche betraf. Die Kybernetik verschaffte sich durch einen Hintereingang Zutritt zur „Gesellschaft der versteinerten Denkweisen“ und revolutionierte sie für kurze Zeit.

Danach sprach man von Rückkoppelungen – das ist nicht mehr und nicht weniger als das Prinzip, aus dem Leben hervorgeht. Es war – und ist – die plausibelste Erklärung für allerlei merkwürdige Phantome des Menschseins. Kybernetik erklärt keinesfalls alles. Mir scheint jedoch, dass man die Erkenntnisse der technischen Wissenschaften udn der biologischen Fakten damit so schnell wie möglich wieder ausblenden wollte. Und falls es eines Beweises bedarf: die nächste Stufe war die Rückbesinnung auf Esoterik.

Denn nach und nach ginge man zu den ehrwürdigen Gralshütern zurück, wie etwa zu Sigmund Freud oder C.G. Jung. Und es war für mich keine Überraschung, dass die Psychobranche bald in Esoterik versank. Wer „links“ war, las plötzlich Wilhelm Reich, wer modern sein wollte, zitierte die humanistischen Psychologen, von den Carl Rogers noch der glaubwürdigste war.

Ich will euch nicht langweilen mit diesen Namen. Aber die Erkenntnisse aus alldem sollten eigentlich sein, nicht auf bloße Vermutungen und Beobachtungen hereinzufallen.

Fehlt der Psychologie oftmals die wissenschaftliche Grundlage?

Seit ich über Gefühle schreibe und die Hintergründe verstehe, habe ich meine Zweifel, ob die psychologische Theorie von Menschen überhaupt eine wissenschaftliche Grundlage hat. Und bevor es Proteste hagelt: Ich denke dabei nicht an die beiden Menschen, die gemeinsam für den Erfolg einer Therapie verantwortlich sind: Psychotherapeut und Klient.

Verbreitung von Unsinn über "uns" anhand eines veralteten Menschenbilds?

Nein, ich denke an den tausendfach verbreitetet Unsinn darüber, wie „wir Menschen sind“. Und ich denke an all diese Klischees, Zuweisungen und Etikettierungen, die „wir“ dabei ertragen müssen.

Wer ist eigentlich "Wir"?

Nur „wir“ wissen, wie wir uns fühlen – egal, ob nach einem medizinischen Eingriff oder als Klient, der mit seinem psychischen Wohlbefinden hadert. Und „wir“ waren und sind die Quellen, aus denen die meisten Helferinnen und Helfer ihr Wissen und Können schöpfen.

Die Gefühle? Gerade sie gelten als „ewige Wahrheiten“. Doch wer genau hinsieht, wird finden, dass nur grobe Fundamente, die uns die Natur mitgegeben hat, „auf ewig“ stehen bleiben. Der Rest ist ein Gemisch aus Dichtung und Wahrheit, Zeitgeist und Wunschdenken.

Zitat: kvh-journal"

Warum wird die Maslowsche Bedürfnispyramide kritisiert?

Psychologie ist wahrhaftig ein „weites Feld“. Machen wir es kurz: Sie dient dazu, das menschliche Wesen zu verstehen und verwendet dazu zahlreiche Modelle. Die wenigsten dieser Modelle sind in sich schlüssig, erweisen sich jedoch teilweise als durchaus geeignet, die menschliche Natur zu ergründen.

Der Dschungel der sozialen Netzwerke und Maslow

Als ich kürzlich den Dschungel sozialer Netzwerke betrat, fand ich seltsame Meinungen über den Psychologen Abraham Maslow und die „Maslowsche Bedürfnispyramide“.

Einer der Höhepunkte des Unsinns las sich so:

Warum steigt Generation Y in der Maslowschen Bedürfnispyramide direkt oben in der Selbstverwirklichung ein?

Daraufhin meldete sich eine Anzahl von Antwortenden, die nicht erkannt hatten, dass es sich um keine Frage, sondern um eine Behauptung handelte. Und zudem um eine falsche Logik: Kein Mensch dieser Erde beginnt mit der Selbstverwirklichung, sondern lernt zunächst, seine Bedürfnisse zu erkennen. Um das zu begreifen, muss man nicht einmal die berühmte Bedürfnispyramide kennen. Es dürfte durchaus reichen, an die eigene Entwicklung zu denken.

Warum die Kritik an Maslow?

Die Frage, warum ausgerechnet Maslow so sehr in die Kritik gekommen ist, bleibt damit allerdings unbeantwortet. Möglicherweise, weil er den Menschen eher als Naturwesen versteht? Oder weil er das Konzept der humanistischen Psychologie vertritt, das in Deutschland oft als „minderwertig“ angesehen wird? Oder vielleicht auch, weil sich sein Modell ganz ausgezeichnet bewährt hat, um die „Entwicklung der Persönlichkeit“ zu erklären?

Möglicherweise ist es Unkenntnis, was verzeihlich wäre. Die Ablehnung könnte aber auch auf Ideologien oder Größenwahn beruhen. Mich persönlich macht stutzig, wie oft das Thema „Bedürfnishierarchie“, die dazugehörige Pyramide und der Name „Maslow“ kritisch in sozialen Netzwerken behandelt wird.

Hinweis: Ich gehöre werde einer Organisation an, die sich mit humanistischer Psychologie beschäftigt noch vertrete ich die Interessen einer solchen Gruppe.

Das ICH, das SELBST, die Persönlichkeit – was ist was?

Das Ich – ach ja, das ICH. Auch wer nicht im Zentrum philosophischer oder psychologischer Gedankenwelten lebt, wird vermutlich das Zitat kennen „ich denke, also bin ich“. Oder ganz modern: „Es gib kein ich, aber es gibt mich“ von Ansgar Beckermann.

Das ICH - Heiligtum ohne feste Größe

Jener Ansgar Beckermann stellte auch das bisherige Konzept des ICHs infrage. Die bisherigen Philosophen nahmen an, das ICH als Instanz aufbauen zu können, gaben ihm den Charakter eines Substantives „das ICH“ und behandelten es daraufhin als eine feste Größe. Als Sigmund Freud sich daran machte, „das ICH“ als Instanz für die Psychoanalyse zu verwenden, war es um die neutrale Verwendung geschehen. Im Lauf der Zeit wurde daraus das bekannte Dreiermodell, das ICH, das ES und das Über-Ich, alle drei als Substantive.

Das SELBST - Vereinfachungen, aber auch bizarre Blüten

Einige Jahrzehnte später kam die humanistische Psychologie auf die Idee, einen neuen Begriff zu verwenden – umfassender, persönlicher und nicht ganz so professoral: Das Selbst. Damit waren zumindest die drei zoffenden ICH-Komponenten des Sigmund Freud vom Tisch. Doch auch bei den „Neuen“ war das „Selbst“ ein Substantiv. Das heißt, die neue Psychologie nahm an, es gäbe ein „Selbst“ und empfahl zugleich, dieses Selbst zu entdecken. Es galt auch als das „eigentliche Selbst“ oder „das wahre Selbst“ – und man konnte gute Geschäfte damit machen, dieses „Selbst“ erfahrbar zu machen. Das geschah etwa zu den Zeiten, als der erste Psycho-Boom bizarre Blüten hervorbrachte.

Heute: "die Persönlichkeit"

Viel Später wurde manchen Psychologen klar, dass sie um einen Götzen herumtanzten – ein kompaktes „Selbst“ war so wenig erkennbar wie die drei ICH-Schwestern. Was den Menschen ausmachte, war vielmehr die Persönlichkeit, die sich ihrerseits wieder aus einzelnen Elementen zusammensetzte.

Die Tänzchen um das "wahre Selbst" und die Authentizität

Im Zusammenhang mit dem „wahren Selbst“ ist in den letzten Jahren oft von Authentizität die Rede. Wer so redet, hat den die Grenze zwischen einer nachvollziehbaren Lehre und einer fragwürdigen Pseudo-Psychologie überschritten. Denn wann und wie wir „authentisch“ sind, können wir nur selbst feststellen. Um es klar zu sagen: Es gibt keine Maßstäbe für das „wahre Selbst“. Wenn wir „unser Selbst in Erfahrung bringen“ und dabei tatsächlich Erkenntnisse sammeln, so sind es nie messbare, überprüfbare Fakten, sondern lediglich Gedanken, die dabei hervortreten. Sie können als eine „tiefere Einsicht“ bezeichnet werden, und deshalb durchaus wertvoll sein. Zu beachten wäre aber – auch Einsichten müssen zuerst durch den Filter der eignen Gedankenwelt, um alltagstauglich zu werden.

Fakten bei Hofgrefe
Über das "wahre Selbst" bei "Spektrum"

Selbst verantwortlich? Was ist denn das?

Toxische Dating-Trends und fehlende Authentizität, so meinte jüngst eine Frauenzeitschrift (1), seien in der „heutigen Zeit oft gang und gäbe“. Das bedeute, so die Zeitschrift weiter, dass dies alles das Selbstbewusstsein und die „mentale Gesundheit“ belasten könne.

Gut, dass weiß die Redakteurin nicht aus eigener Anschauung. Sie las eine Umfrage der Dating-App Badoo.

Reden wir Klartext - wie gestaltet ihr eigentlich euer Leben?

Reden wir mal Tacheles, Mitmenschen. Da kommt nicht einfach das Schicksal um die Ecke und „macht etwas“ – jedenfalls nicht regelmäßig. Toxische Trends? Die werden überwiegend in sozialen Medien behauptet. Zieht man sich jetzt so etwas an? Oder zieht man oder frau sie an wie ein Magnet, und wenn ja, warum?

„Authentizität - Psycho-Geschwätz oder Psychologie?

Dann ist da wieder die „Authentizität“ – nichts als ein Modewort. Zwar existiert das Wort auch in manchen Zweigen der Psychologie, wo es so viel bedeutet wie das „echte Selbst“. Und das ist ziemlich einfach (2):

Handlungen entspringen dem eigenen Selbst und werden nicht von äußeren Einflüssen bestimmt. (Es schließt weiterhin ein) dieses wahre Selbst in sozialen Beziehungen offen zeigen zu wollen.

Selbstverantwortung - nein, danke?

Da schau, da schau – Frau oder Mann sind also in der Realität selbst dafür verantwortlich, wenn sie ihr „wahres Selbst“ präsentieren wollen. Wenn es ihnen also an sogenannter „Authentizität“ fehlt, dann haben sie entweder den Fehler gemacht, diese gar nicht erst zu entwickeln. Oder es ist ihnen schnuppe, ob sie „authentisch“ daherkommen.

Und was noch? Das Selbstbewusstsein fällt, weil versäumt wurde, eines zu entwickeln, das unabhängig von einzelnen Rückschlägen ist?

Macht mal halblang, Mitmenschen. Was da behauptet wird, ist Psycho-Buchstabensuppe. Oder das beständige Klagen darüber, das die Welt nicht so ist, wie sie sich die Selbstdarsteller(innen) der Dating-Szene ausgedacht haben.

Und in jedem Fall. Nachdenken schadet nicht wirklich.

(1) Aus Cosmopolitan.
(2) Dorsch - sehr neutral udn einfach erklärt
Deutlich komplizierter in "Spektrum".

Die künstliche Wiedergeburt des Bösen

Was sollen wir von einer Psychologie halten, die „das Böse“ zu einem komplexen Strauß von Persönlichkeitsfaktoren gebunden hat?

Die dunkle Triade - der Beginn des "neuen Bösen"

Der Vorgänger des „neuen Bösen“ war die Behauptung, es gäbe eine „Dunkle Triade“ von Persönlichkeitseigenschaften, also drei „negative“ Eigenschaften, die man sicher benennen könne. (Narzissmus, Machiavellismus (1) und Psychopathie). Allerdings haben alle drei eine große Bandbreite und wir finden Elemente davon im Leben der meisten Menschen wieder. Die Behauptung an sich ist relativ neuen Datums – sie wurde zuerst 2002 veröffentlicht.

Der Blütenstrauß des Bösen in der Psychologie - seit 2018

Doch die eigentliche Sensation, die wie ein Lauffeuer durch die Presse verbreitet wurde, war eine noch kühnere Behauptung. Denn gegen 2018 wurde angeblich ein Faktor gefunden, der nun ein vollständiges Abbild des Bösen liefern sollte: der D-Faktor. Neben den drei schon bekannten Begriffen kamen noch ein paar hinzu, nämlich Egoismus, Gehässigkeit, moralische Enthemmung, Sadismus, Selbstbezogenheit und übertriebene Ansprüchlichkeit. (2,3).

Die Faszination der Leserinnen und Leser - wo sitzt es denn nun, das Böse?

Was mag die Leserinnen und Leser an dieser These so fasziniert haben? Ware sie froh, dass nun „durch die Wissenschaft“ festgestellt wurde, wo „das Böse“ im Menschen haust? Hatte man nun wirklich herausgefunden, wie all das Böse entsteht und wie es in die Welt kommt? Wurde die Gründe für einen „schlechten Charakter“ herausgefunden? Oder gar die ultimativen ethischen Grundlagen „in uns“ und ihre Gegenspieler entdeckt? Und wie viel religiöse Überzeugung muss man mitbringen, um tatsächlich vom D-Faktor überzeugt zu sein?

Wer etwas Konkretes von der Forschung erwartete, wurde - wie so oft in der Psychologie - enttäuscht. Harte Fakten gibt es nicht, wohl aber eine Vermutung, nämlich dass „Menschen mit einem hohen D-Faktor zum Regelverstoß“ neigen. Heißt konkret: Wer eine Regel bricht, wird auch eine andere brechen. (4)

Ich frage gar nicht erst, welche Regeln. Auch nicht wo sie gelten oder nicht gelten und wann und wie sie für wen erstellt wurden.

Das dürft ihr euch fragen. Und auch, wie die Welt ohne den „Regelbruch“ von Kopernikus, Darwin oder Freud aussehen würde. Ganz zu schweigen von den vielen anderen Autoren, Fachleuten und Laien, die mutig genug sind, das Bekannte infrage zu stellen – und damit eben auch die Regeln zu brechen.

(1) Erläuterung nötig, zum Beispiel hier.
(2) Offenbar ist Anspruchsdenken gemeint
(3) Essenz des Bösen - Deutschlandfunk
(4) Forschung Uni Ulm