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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Zum Protest der Landwirte – es geht vor allem um Geld

Ich sehe Plakate, die auf mich wie Zeugnisse des rechtsgerichteten Protestes wirken:

Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie düngen nicht – und wissen es trotzdem besser.

Die Frage ist nicht, wofür hier geworben wird, sondern wo einzelne Mitglieder der Gesellschaft das Unheil vermuten: bei den Grünen. Dort allerdings sitzt einer der Weitsichtigsten grünen Realpolitiker aus dem Chefsessel. Und als ich genau hinsah, wo der Ursprung des Spruchs lag, bin ich auf einen Beitrag von Christine Wernicke (freie Wähler) vom 1. Februar 2021 gestoßen – also vor etwa drei Jahren.

Wissen Politiker alles besser, obwohl sie angeblich keine Ahnung haben? Und können wir davon ausgehen, dass jeder Landwirt genau weiß, welche Folgen sein Tun und Unterlassen auf die Volkswirtschaft hat?

Üblicherweise wissen die Inhaber kleiner Gehöfte nur das, was Agrarkonzerne auch wissen: Wie viel Geld sie verdienen und ob sie Gewinne machen. Der Rest wird oben draufgesetzt wie Zierrat. Etwa „Landwirte sind Naturschützer“. Das trifft leider nicht auf alle Landwirte zu, macht sich aber als Slogan vorzüglich.

Wenn wir „Städter ohne Ahnung“ die Landwirte, Genossenschaften und Agrarkonzerne ernst nehmen sollen, dann müssen die Bücher auf den Tisch. Erst dann wird man sehen, wer und was gefördert werden sollte.

Auf der Nase des Kanzlers herumtanzen

Dieser Tage ging es durch die Presse: Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland habe sein Ansehen verspielt. Heißt: Er hat die Zeichen der Zeit missdeutet und viel zu lange gezögert,um klare Worte zu sprechen.

Die „Deutsche Welle“ schreibt, was nüchtern betrachtet als Tatsache gelten kann:

„Er kommuniziere schlecht, seine Regierung streite zu viel, sagen Experten. Lange war kein Kanzler mehr so unbeliebt.“

Und nun? Zumindest eine Gewerkschaft tanzt ihm auf der Nase herum. Die Bauern und die Agrarkonzerne blockieren die Straßen. Spediteure, Handwerksmeister und manche Mittelständler schließen sich an. Die Stimmen der Straße sind eindeutig, und viel zu viele Menschen schielen nach einfachen Lösungen, die ihnen die Rechtsaußen im Volk anbieten.

Müssen wir jetzt über den Kanzler reden? „Die Ampel“ ist so schlecht nicht - und grüne Agrarpolitik ist allemal besser als gar keine Agrarpolitik. Der Kanzler müsste nur klare Worte finden – aber der taucht zu oft unter.

Es scheint, als sei es zu spät, diese Worte zu finden. Ich rede nicht von den Rechtsextremisten – sie sind taub für das Machbare und folgen der Vernunft längst nicht mehr. Ich rede von unserem Volk, in dem Sinne, wie es ein Schweizer sehen würde. Klar sind „wir das Volk“, aber diejenigen, die schreien, sie seinen das Volk, sind es eben nicht. Der Kanzler würde verdienen, dass sich das Volk hinter die Regierung stellt, solange sie amtiert. Und statt Pappschilder herumzuzeigen, sollten die Agrarbosse mit dem Kanzler reden – und sie mit ihm.

Viel wäre an dieser Stelle über die SPD zu sagen. Sie ist altmodisch geworden – taugt nicht mehr als Arbeiterpartei und schon gar nicht mehr als Linkspartei. Die Ressourcen, geistig, emotional oder personell, sind belanglos geworden.

Da fehlen noch ein paar Sätze zur ehemals konkurrierenden Volkspartei, der CDU. Bei ihr mangelt es an ähnlichen geistigen und emotionalen Ideen, und die Personaldecke ist bereits seit Frau Merkels Zeiten zu dünn, um zu überzeugen.

Kurz: Mindestens drei Parteien müssen ich vor der nächsten Wahl überlegen, wem sie dienen wollen: Dem Mittelstand, der die Gesellschaft trägt und in der Lage ist, sie zu verändern? Oder den Menschen und Organisationen, die ständig etwas einfordern, aber nichts zurückgeben? Oder gar den Ideologen links und rechts, die behaupten, die besseren Wahrheiten gepachtet zu haben?“

Vor allem müssen sie alle auf die Bühne – und dort klare Ansagen machen.

Proteste – unerträgliche Gruppeninteressen und Egoismus

Nun gehen alle wieder dem nach, was sie am besten können: haltlos egoistisch zu sein. Ob der Herr Weselsky nun behauptet, für die Lokführer einzutreten oder ob er seine Mache zum eigenen Ruhm durchzieht, mag jeder selbst entscheiden. Tatsache ist: Das Leid des Streiks ist für die Lokführer minimal, für die Bahnkunden aber nahezu unerträglich.

Bauernproteste nützen vor allem den Agrarkonzernen

Nachdem der Lokführer-Gewerkschaftler „mit seinem Konfrontationskurs gut gefahren“ ist, wie die Frankfurter Rundschau schrieb, versuchen es auch andere. Plötzlich wird „Power to the Bauer“ wieder ein Schlagwort, von dem ich zumindest glaube, es in den 1970er/1980er-Jahren schon einmal gehört zu haben. Nun fahren sie mit riesigen Traktoren und Lkws durch die Straßen, und viele haben Verständnis für sie – ja, die Bauern – wie damals im Arbeiter- und Bauernstaat „DDR“. Oder nach den Studentenprotesten in der damaligen Bundesrepublik („Westdeutschland“), als viele der Protestler selber „vom Leben auf dem Lande“ träumten. Übrigens: Landwirtschaft besteht nicht nur aus Familienunternehmen, in denen die Gewinne schmal sind, sondern auch aus Agrarkonzernen, die hohe Gewinne verzeichnen.

Handwerker folgen den Bauern

Handwerker schlossen sich in Leipzig an – man höre – Handwerker. Das sind die Leute, auf die man meist Monate, teils aber auch Jahre warten muss, bis sie ihre Hände rühren. Mag sein, dass sie gerade Probleme haben – doch wer hätte die nicht?

Probleme und Lösungen - kaum Chancen mehr auf Sachlichkeit

Ach ja – Problem haben sie alle. Vor allem diejenigen, die jeden Politiker von vornherein für einen Deppen halten. Oder wie soll ich solche Sprüche bitte verstehen? „Talent- und Sachkundebefreite Politiker ruinieren unser Land?

Ich bin wirklich gespannt, wo diese Art der Protestierenden diejenigen Leute hervorlocken wollen, die sowohl über Talent wie auch über Sachkunde verfügen. Und noch etwas fällt mir dazu ein: Sie müssten auch die Fähigkeiten haben, einen relativ großen „Laden“ wie ein Ministerium zu führen. Ach, nicht zu vergessen: Wenn sie wirklich „einsame Spitze“ wären – dann wäre da noch die Frage, ob sie wirklich in die große Politik gehen würden. Die meisten „guten Bürger“ überschätzen die Attraktivität dieses Berufs.

Was tust DU für deinen Staat?

Alles zusammengenommen stelle ich mal die Frage: „Und was tust DU jetzt und hier für unser Staatswesen, für den Fortbestand der Demokratie oder für den liberalen Staat?

Ach, auf die Straße gehen und Transparente vorzeigen?

Also – ich glaube das nicht. Und ich stehe gewiss für Demokratie und Liberalismus.

Was ist normal? Die Bibel, die Natur oder was denn nun?

Wenn Menschen heute über ihr geistiges, emotionales und soziales Dasein sprechen, dann fällt oft das Wort „normal“. Was gemeint ist, sind oft die Werte, die sie bewahren wollen. Und gelegentlichen auch die „Liebesordnung“, oder was sonst für „die guten Sitten“ gehalten wird.

Tatsächlich lässt sich darüber diskutieren – zum Beispiel aus ethischer Sicht. Einfacher: Gibt es irgendeine moralische „Normalität“? Eine klare Antwort gibt der „Deutsche Ethikrat“, denn …

Was als „normal“ aufgefasst wird, steht keineswegs fest, sondern ist kontextabhängig und zudem teils erheblichem Wandel unterworfen.

Gibt es wirklich nichts "Normales"?

Da ergibt sich die Frage: Was ist denn dann bitte normal? Fragt man mit Paul Watzlawick, so würde die Antwort heißen: So etwas wie „normal“ gibt es nicht. „Normal“ nennen wir, was wir miteinander vereinbart haben – entweder in kleinen Gruppen (Ehe, Familien, Organisationen) oder mit den meisten Menschen in unserer Gesellschaft.

Gibt es dennoch Maßstäbe?

Oft wird die Bibel als Maßstab genommen. Das ist schon im Grundsatz falsch, denn die Bibel zeigt uns eine Muster-Sittenlehre an Besipielen, die als Richtschnur dienen konnte – solange nichts Ungewöhnliches passiert. War dies doch der Fall, so änderte sich die Auffassung. Der zweite Mangel des „Alten Testaments“ dürfte jedem bekannt sein: Die vaterrechtliche Gesellschafts- und Besitzordnung verhindert gleiche Rechte für alle. Der Prinzipal, namentlich der wohlhabenden Grundbesitzer, konnte „schalten und walten“ wie er wollte – solange es „um alles, was seins ist“ ging – und „seins“ waren eben auch Menschen.

Auch die „Natur“ eignet nicht wirklich als Maßstab für „Normalität“. Die Natur selbst hat schon sehr unterschiedliche Spezies hervorgebracht. Und sie gefällt sich ebenso darin, immer wieder Abweichungen zu erzeugen. Selbst die Evolution weist uns keinen Weg zur „Normalität“, sondern immer nur zum nächsten Wandel.

Nichts ist, wie es ist - es ist, was du darüber denkst

Und was ist für den Einzelnen normal? Ich bin in einer weltoffenen Hafenstadt aufgewachsen. Was dort „normal“ war, hätte in einer schwäbischen, vielleicht gar pietistischen Provinzstadt Furcht und Schrecken erregt. Heute ist die Freiheit, zu sein, was wir sein wollen das Schreckgespenst der Menschen in kleinen Gemeinden. Sie sehnen sich nach wie vor danach, dass alle „irgendwie“ das Gleiche denken. Und das, was vermeintlich „alle“ denken, ist dann normal.

Nein, das ist es nicht. Wenn etwas „normal“ sein soll, müssen wir schon sagen, was wir unter „normal“ verstehen. Und auch dazu stehen, wenn wir selbst – zumindest innerlich – von dieser Normalität abweichen.

Zitat: Ethikrat.

Themenstaubsauger und Themengebläse

Jeden Morgen geht die Sonne auf „in des Blätterwalds“ wundersamer Runde. Das Themengebläse wird angeworfen, und etwas wird wichtig. Was da aufgewirbelt wird, ist fast gleichgültig. Man sah eine Riesenstaubwolke, die nach drei Tagen wieder zerfiel, nicht mehr. Ist sie aus dem Blick der Redakteure verschwunden, ebbt das Interesse schnell ab. Ach so? Ja, darüber hatten wir berichtet – auf gehts zum nächsten Thema. Irgendein Hirsch hebt immer mal wieder sein mächtiges Geweih und röhrt, dass die Nadeln zittern.

Der Schlamm bleibt

Soweit, so gut. Falls es regnet, gibt es immer noch die zu Schlamm verkommenden Staubwolken der Politik: offene Fragen. Migration. Klima. Fachkräftemangel. Und natürlich, ob eine Partei nur konservativ oder schon rückwärtsgewandt ist (ja, die eine). Oder nur antikapitalistisch oder schon kommunistisch ist (die andere).

Und da lacht mich ein Kommentar von Alexander Kissler in der NZZ vom 23.10.2023 an, der sich mit dem „Bündnis Wagenknecht“ beschäftigt. Ein einziger Satz macht klar, was Sache ist:

Das «Bündnis Wagenknecht» ist bisher nur ein Themenstaubsauger für Unzufriedene ....

Nur: Ist das so neu? Haben nicht schon viele versucht, sich als „Staubsauger der Nation“ anzubieten?

Was, wenn der Staubsaugerbeutel platzt?

Ist doch ganz einfach: Man saugt alles weg. Und wenn es weg ist, ist es nicht mehr da. Ist ja ganz einfach. Nur blöd, wenn der Staubsaugerbeutel früher oder später platzt. Und die Staubwolke, die es dann gibt … ich mag nicht einmal daran denken. Aber ich huste jetzt schon.

Hinweis: In den Text wurde das Volkslied "Jeden Morgen geht die Sonne auf" mit dem Text von Hermann Claudius zitiert und auf den "Blätterwald" abgewandelt.