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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Was ist normal? Die Bibel, die Natur oder was denn nun?

Wenn Menschen heute über ihr geistiges, emotionales und soziales Dasein sprechen, dann fällt oft das Wort „normal“. Was gemeint ist, sind oft die Werte, die sie bewahren wollen. Und gelegentlichen auch die „Liebesordnung“, oder was sonst für „die guten Sitten“ gehalten wird.

Tatsächlich lässt sich darüber diskutieren – zum Beispiel aus ethischer Sicht. Einfacher: Gibt es irgendeine moralische „Normalität“? Eine klare Antwort gibt der „Deutsche Ethikrat“, denn …

Was als „normal“ aufgefasst wird, steht keineswegs fest, sondern ist kontextabhängig und zudem teils erheblichem Wandel unterworfen.

Gibt es wirklich nichts "Normales"?

Da ergibt sich die Frage: Was ist denn dann bitte normal? Fragt man mit Paul Watzlawick, so würde die Antwort heißen: So etwas wie „normal“ gibt es nicht. „Normal“ nennen wir, was wir miteinander vereinbart haben – entweder in kleinen Gruppen (Ehe, Familien, Organisationen) oder mit den meisten Menschen in unserer Gesellschaft.

Gibt es dennoch Maßstäbe?

Oft wird die Bibel als Maßstab genommen. Das ist schon im Grundsatz falsch, denn die Bibel zeigt uns eine Muster-Sittenlehre an Besipielen, die als Richtschnur dienen konnte – solange nichts Ungewöhnliches passiert. War dies doch der Fall, so änderte sich die Auffassung. Der zweite Mangel des „Alten Testaments“ dürfte jedem bekannt sein: Die vaterrechtliche Gesellschafts- und Besitzordnung verhindert gleiche Rechte für alle. Der Prinzipal, namentlich der wohlhabenden Grundbesitzer, konnte „schalten und walten“ wie er wollte – solange es „um alles, was seins ist“ ging – und „seins“ waren eben auch Menschen.

Auch die „Natur“ eignet nicht wirklich als Maßstab für „Normalität“. Die Natur selbst hat schon sehr unterschiedliche Spezies hervorgebracht. Und sie gefällt sich ebenso darin, immer wieder Abweichungen zu erzeugen. Selbst die Evolution weist uns keinen Weg zur „Normalität“, sondern immer nur zum nächsten Wandel.

Nichts ist, wie es ist - es ist, was du darüber denkst

Und was ist für den Einzelnen normal? Ich bin in einer weltoffenen Hafenstadt aufgewachsen. Was dort „normal“ war, hätte in einer schwäbischen, vielleicht gar pietistischen Provinzstadt Furcht und Schrecken erregt. Heute ist die Freiheit, zu sein, was wir sein wollen das Schreckgespenst der Menschen in kleinen Gemeinden. Sie sehnen sich nach wie vor danach, dass alle „irgendwie“ das Gleiche denken. Und das, was vermeintlich „alle“ denken, ist dann normal.

Nein, das ist es nicht. Wenn etwas „normal“ sein soll, müssen wir schon sagen, was wir unter „normal“ verstehen. Und auch dazu stehen, wenn wir selbst – zumindest innerlich – von dieser Normalität abweichen.

Zitat: Ethikrat.

Warum es keine allgemeine Normalität gibt

Eine Gesellschaftsordnung lebt davon, dass sie sich auf einen gewissen Bestand an Regeln verlassen kann. Die Frage ist allerdings, wie tief diese Regeln in das Leben der Bürger eingreifen. Wird zu viel reglementiert, so geht der Anspruch auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit verloren.

Viele Menschen glauben, dass „Normalität“ etwas ist, dass in Schriften einbetoniert wurde. Also etwa in Gesetze, Verhaltensnormen oder religiöse Vorschriften. In Wahrheit sind es aber „ungeschrieben Gesetze“, nach denen „Normalität“ beurteilt wird. Und diese wiederum sind Meinungen, die eine Gruppe von Menschen für sich gefunden hat. Das dürfen sie, solange es sie nicht stört, wenn andere nach ihren eigenen Richtlinien leben.

Was für dich normal ist, muss nicht für alle "ähnlich normal" sein

Was letztlich heißt: Was für mich persönlich, meine Familie oder die Gruppe, zu der ich mich rechne, „normal“ ist, muss für andere nicht zwangsläufig auch „normal“ sein.

Nehmen wir die Paarbeziehung, also etwas ganz Alltägliches, scheinbar „Normales“. Tatsächlich gibt es im 21. Jahrhundert kaum noch Paare, die in allen Ansichten über die Lebensführung „absolut identische“ Meinungen haben. Um zueinander zu kommen, müsste sie im Grunde „verhandeln“, was absolut sein muss und was auch anders sein kann.

Manche tun es. Andere aber legen sich darauf fest, dass sie den Wohnort niemals verlassen werden oder den sozialen Status niemals ändern wollen. Wenn sie glauben, einer Gruppe anzuhängen, bezeichnen sich als “Heimatverbunden“ oder als „Familienmensch“ oder beharren auf gleiche Bildungsstandards oder gesellschaftliche Konventionen.

Wer in einem „späteren Lebensalter“ zu suchen beginnt oder erneut auf der Suche ist, wird diesen Konflikt kennen. Gelöst wird er zweckmäßigerweise dadurch, dass die Gemeinsamkeiten festgestellt und bewertet werden. Sind die Gemeinsamkeiten groß genug? Und kann das neue Paare mit den Unterschieden leben?

Die Gesellschaft braucht Übereinkünfte - keine aufgesetzte "Normalität"

Genauso verhält es sich mit der „Normalität“ in der Gesellschaft. Üblicherweise gibt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Bewertung von Wirtschaft, Politik und Sozialwesen. Manchmal steht uns ein Mitglied unserer „Ausrichtung“ näher, und wir wenden uns dann an jene Frau oder jenen Mann. Wenn wir aber einen Makler, Handwerker oder Gemüsehändler suchen, werden wir unsere Ausrichtung vergessen und auf die Qualität achten.

Es ist also normal, flexibel zu handeln du zu denken.

Wenn du bis hierher gelesen hast und dir der Artikel gefallen hat, wäre es sehr freundlich von dir, den Inhalt weiterzuerzählen.

Wenn du eine weitere Meinung lesen willst: Deutschlandfunk.

Was ist denn eigentlich „normal“?

Normal ist nur Version (b) - und sie ist zugleich stabil
„Normal“ zu sein bedeutet, in einem stabilen Zustand zu sein. Was „stabil“ ist, muss allerdings definiert werden.

Die Soziologie kann keine für uns gültigen Antworten geben

Oh, ein Satz vorab: Soziologinnen und Soziologen reden gerne über „das Normale“. Doch wenn sie es tun, sprechen sie von „der Gesellschaft“ und damit auch vom Vergleich „unseres“ Normalbegriffs mit dem Normalbegriff der Massen (1).

„(Es gilt) … dass Normalitätsbehauptungen und -begehren immer das politische Problem der Normalisierung mit sich bringen. Egal, in welche Richtung es geht: Es gibt immer einen Konformitätsdruck.“

Wer hat die Antwort, was "normal" ist?

Der Normalzustand als stabiler Zustand? Das gilt nur, wenn wir uns darüber klar sind, was „stabil“ ist. Und bevor ihr dazu ins Lexikon schaut und statische Begriffe wie „haltbar“ oder „widerstandsfähig“ findet, will ich euch sagen, dass ein System nicht stabil ist, wenn es zu starr ist.

Im Jargon der Regelungstechnik spricht man von asymptotisch Stabilität, etwa so (2):

Ein System, welches asymptotisch Stabil ist, kehrt nach Anregung von selbst wieder in den Anfangszustand zurück.
Vereinfachung: Wie ist das, wenn etwas "normal" ist?

Wem das zu kompliziert ist: Es geht dabei um Systeme, die sich selbst regulieren. Dazu gehören nahezu alle Lebewesen und manches andere System. Man sagt auch, dass es sich dabei um „dynamische“ Systeme handelt.

Noch einfacher: Stell dir eine Kugel vor, die am Boden einer Suppenschüssel liegt. Die Suppenschüssel ist das System, die Kugel die Normalität. Solange sie starr auf dem Boden verharrt, interessiert dies niemanden und das System „lebt“ nicht.

Sobald eine Kraft auf die Suppenschüssel ausgeübt wird – also etwa, wenn du sie auf dem Tisch schubst – wird die Kugel angeregt, sich zu bewegen. Man kann sagen: „Es passiert jetzt etwas“. Bei Säugetieren, Menschen und vielen Maschinen gehört das zu den „normalen Prozessen“. Die Kugel wird nach einigen Bewegungen wieder in die Mitte der Schüssel zurückfallen. In der Natur „wartet“ sie darauf, erneut angestoßen zu werden.

Die Suppenschüssel, die Kugel darin und deine Normalität

In vielen Situationen gibt es mehr als eine geringe Verlagerung der Kugel. Sie wird beispielsweise in der Mitte kreisen, bis fast zum Rand hochsteigen oder längere Zeit benötigen, um wieder in den „Normalzustand“ zurückzufallen. Und dennoch ist dieser Zustand in jeder Hinsicht „stabil“ und „normal“ – denn es ist ja die Aufgabe der Kugel, wieder zurückzufallen.

Im wirklichen Leben fällt die Kugel nicht oder jedenfalls äußert selten aus der Suppenschüssel heraus. Sie tanzt dann aber verdächtig nahe am Rand und unser „System“ merkt, dass wir etwas tun müssen, um die Normalität wiederherzustellen.

Das alles sagt noch nicht viel über „unsere Normalität“ aus. Denn die ist für jedes menschliche Wesen anders. Für nahezu alle Geistesarbeiter, insbesondere für die kreative unter ihnen, ist die Kugel ständig in Bewegung und läuft kurz unter dem Rand der Suppenschüssel im Kreis. Das bedeutet für sie „normal zu sein“. Für andere ist es normal, dass die Kugel sich wenig bewegt, ja, sie geraten sogar in Panik, wenn sie bemerken, dass sich Kleinigkeiten verändern.

Halten wir fest: Wir können für uns selbst definieren, was „normal“ für uns ist. Wenn wir das gleiche „für andere“ tun, so begeben wir uns in Gefahr, Fehlurteile abzugeben oder gar Menschen zu verletzen.

(1) Paula-Irene Villa Braslavsky In Deutschlandfunk Kultur
(2) Definition Stabilität.