Seit langer Zeit verfolge ich die Berichterstattung der NZZ. Sie war und ist für mich eine der besten Informationsquellen, wenn es um eine neutrale Sichtweise der Welt geht. Oder sagen wir mal: Sie war es einmal. Denn ein Land hat es der NZZ in letzter Zeit angetan: Deutschland. Dort, so kann man fast täglich in Kommentaren lesen, läuft alles schief.
Und natürlich weiß man es in den Alpen besser. Wie so oft. Nein, nichts gegen die Schweiz. Aber die Deutschschweiz weiß nach der Meinung gewisser Kommentatoren offenbar genau, dass sie das bessere Deutschland repräsentiert. Wenn man es als „ultrakonservativ“ bezeichnet, wäre das zu viel, obgleich die Sichtweise der NZZ-Kommentatoren in der Beurteilung Deutschlands dahin tendiert. Was die Kommentatoren befürchten? Wir wissen es nicht. Glauben sie, dass Tendenzen über die Grenze schwappen könnten? Und sind sie überheblich genug, diese zumindest für die Schweiz noch zu stoppen?
Was besonders schwerwiegt, sind die ständigen Vorwürfe gegen die deutsche Politik oder die Gesellschaftsordnung in Deutschland. Sie ist nun mal anders. Anders als in der Schweiz, anders als in Österreich und sogar anders als im ländlichen Bayern.
Im Gegensatz zu vielen andere Menschen mit „Grundeinstellungen“ wünscht sich der liberale Denker eine Meinungs- und Ideenvielfalt. Nicht alle Liberalen sind dabei vom „Laissez-faire“ Prinzip überzeugt, und auch ich wünsche mir „Weichenstellungen“, die uns möglichst in eine bessere Zukunft führen. Im Prinzip deckt auch die liberale Haltung den Wunsch nach Korrekturen ab.
Ich verstehe die Konservativen, die nicht immer alles „neu aushandeln wollen“, und vor allem jenen, die sich bevormundet oder gestört fühlen. Doch wenn alle so bliebe, wie es ist, würde man Innovationen verhindern und die Vielfalt unterdrücken. Also muss es ein Gegengewicht geben, die Progressiven, die möglichst rasch möglichst viele Änderungen wollen.
Wenn wir Glück haben oder entsprechen dafür sorgen, pendeln sich die kontroversen Meinungen schnell auf das ein, was nötig, sinnvoll und logisch erscheint. Aber dann und wann müssen wir dem Neuen eben auch etwas Nachdruck verleihen.
Mehr desselben ist der falsche Weg
Was selten diskutiert wird: Mit dem Grundsatz „wir müssen mehr desselben fordern“ rennen inzwischen alle gegen die Wand. Mehr Verkrustung? Mehr Verhinderungen? Mehr Gleichberechtigung? Mehr Akademiker? Mehr soziale Leistungen? Mehr Freiheitsrechte?
Eigentlich müssten „wir“ uns die Frage beantworten können: „Was müssen wir tun, um (setze ein Ziel ein) zu erreichen?“ Mit den „alten Rezepturen?“ Mit neuen Ansätzen? Müssten wir vielleicht Kernbereiche wie die Bildung oder die Forschung ganz neu überdenken? Müssten wir nicht wesentlich konsequenter sein, um moderne Technologien schnell und unbürokratisch umzusetzen? Hochgeschwindigkeitszüge auf ganz neuen Trassen, zum Beispiel? Damit würde die Debatte um den Sinn von Inlandsflügen weitgehend überflüssig.
Keine geistigen Ruinen stehen lassen
Wenn ich durch die Straßen in der Stadt gehe, in der ich seit Jahre leben, sehe ich neben neuen, ausgesprochen gut geplanten Wohnungen und renovierten Altbauten auch zahllose Häuser, die demnächst zu Ruinen verkommen.
Wenn ich dies auf die Einstellungen der Menschen projiziere, sehe ich einige neue, sinnvolle und zukunftsweisende Gedanken. Und ja, ich kann damit leben, dass es „Bestandsdenken“ gibt, solange der Putz nicht restlos abbröckelt. Aber ich kann kaum damit leben, dass so viele Gedanken stehen bleiben, die nicht mehr „bewohnbar“ sind - und die niemandem nützen.
Und noch ein Gedanke kommt mir dabei: Ich lese immer wieder von Menschen, die sozusagen „flehentlich“ darum bitten, doch die alten Gebäude nicht abzureißen, weil sie doch eigentlich so hübsch sind.
Ja, und die Ruinen überkommener Gedanken, Meinungen und Ideologien? Lassen wir die auch noch stehen, weil sie so hübsch sind?
Wir werden uns davon trennen müssen. Möglichst bald.
Was ich so über den Herrn Laschet und den Herrn Ziemiak aus der Entfernung höre, klingt ungefähr so wie CDU 1.0. Oder für Internetfremdlinge: Wie Heiratsanzeigen in den 1960ern. Irgendwann vor Frau Merkel, vielleicht sogar noch vor dem Herrn Kohl.
An wen wendet sich die Partei eigentlich jetzt im sogenannten „Kampfmodus“? An die Nostalgiker? Die „ewig Gestrigen“? Oder gar an noch frühere Zeiten, als Kleinkariert, Katholisch und Konservativ noch Hand-in-Hand gingen?
Und nein, ich denke da gar nicht an mich. Ich denke an all die Menschen, die in der Zukunft leben wollen und nicht in der dösigen Vergangenheit.
Ich gebe keine Begründung für meine Meinung - aber ich meine, die ganze Chose aus ferner Vergangenheit zu kennen.
Die WELT lässt den CDU-Mann Michael Heym zu Wort kommen. Der ist zwar stellvertretender Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion, ansonsten aber her ein unbeschriebenes Blatt – so jedenfalls wirkt seine Webseite. Zitat aus der WELT:
Auf die Frage, ob die AfD für ihn eine bürgerliche Partei sei, antwortet er, er sehe sie als „konservative Partei“. „Wenn über die AfD gesprochen wird, sehe ich zuerst die fast 25 Prozent Wähler, die dieser Partei ihre Stimme gegeben haben“, so Heym, der zum vierten Mal in Folge in den Landtag gewählt worden ist.
Ach liebe CDU, schickt diesen Mann doch bitte mal auf einen Lehrgang, was „konservativ“ ist. Michael Heym wurde jetzt „zum vierten Mal in Folge in den Landtag gewählt“ – offenbar einmal zu viel.
Jedenfalls braucht der Mann keine Brille. Er „sieht“ ja die „25 Prozent AfD Wähler.“ Ach, lieber Herr Heym, andere sehen sie auch – mit und ohne Brille. Aber nichts als Mehrheitsbeschaffer für die CDU.
Und: Weder „bürgerlich“ zu sein noch „konservativ“ zu sein ist Selbstzweck. Das haben recht viele CDU-Anhänger noch nicht begriffen – im Osten wie im Westen.