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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Ist Verführung als Wort nicht mehr zeitgemäß?

Der Frühling ist die Zeit, in der die Natur selbst als Verführerin auftritt, auch, wenn dies wissenschaftlich nicht haltbar sein mag.

Im oberschlauen „Wiktionary“ wurde das Wort bereits „verabschiedet“. Ob es einen Ersatz dafür gibt? Die Sprache, das haben wir oft gehört, wird gegenwärtig von der Neusprech-Bewegung gesäubert. Da hat die Verführung offenbar keinen Platz mehr, aber auch sonst deutet kein deutsches Wort mehr auf den Umstand hin, jemand zu etwas zu „verleiten“. (1) Wobei „verleiten“ in meinen Ohren noch wesentlich angejahrter klingt als „verführen. Im Übrigen ist das Wort in der Alltagssprache hochmodern. In der Literatur mag man „becircen“ (bezirzen) sagen, in der Gelehrtensprache sagte man „Seduktion“, und Mayers historisches Lexikon übersetzte dies knapp mit „verleiten“ oder verführen. Die Juristen jener Zeit kannten noch den Begriff der „strafbaren Verführung eines unbescholtenen Mädchens.“
Er mischt immer mit: die angebliche Ursache der Verführung

Als Faust mit dem Teufel diskutiert, dass dieser zu lange benötige, um die von ihm begehrte junge Frau herbeizuschaffen, fällt der selbstherrliche Satz:

Hätt’ ich nur sieben Stunden Ruh,
Brauchte den Teufel nicht dazu,
So ein Geschöpfchen zu verführen.


Der Teufel kennt sich besser aus - er weiß, was Faust eigentlich plant.

Was hilft’s nur g’rade zu genießen?
Die Freud’ ist lange nicht so groß,
Als wenn ihr erst herauf, herum,
Durch allerley Brimborium,
Das Püppchen geknetet und zugericht’t
Wie’s lehret manche welsche Geschicht’.


Goethe einerseits, die Bibel andererseits

Die Verführte, Umgeben von Schlangen
Der schlechten Ruf des Wortes „Verführung“ in der heutigen Zeit mag darauf zurückzuführen sein, jedoch wurde auch die Schlange als Verführerin bezeichnet. Und in der Folge leider auch Eva, die auf die Schlange hereinfiel, die ihrerseits nichts mehr als der Satan selbst sein sollte.

Mit dem Negativen ausgestattet, konnte dem Begriff „Verführung“ kaum noch etwas Gutes passieren. Die Maid, die verführen ließ, war dem Verderben preisgegeben - da lässt Goethe grüßen.

Sind Verführungen nicht mehr aktuell?

Doch was sind Verführungen wirklich? Was sind sie in den Zeiten des 21. Jahrhunderts? Bedeutet das Wort mehr als das, was Mephisto und ein paar moderne Trickverführer (PUAs) uns einflüstern wollen? Läuft die Verführung überhaupt von Mann zu Frau? Vielleicht auch von Frau zu Mann? Von Frau zu Frau? Von Mann zu Mann? Oder von Werbeaussage zu Mensch?

Und wie, um alles in der Welt, können wir in Zukunft das Wort „Verführen“ weiterhin gebrauchen?

Ich stelle die Frage nicht nur - ich kann sie auch beantworten. Und ein Teil dieser Antwort ist: Wir sollten uns von Wörtern nicht verabschieden, sondern sie sinnvoll nutzen.

Faust-Mephisto-Dialoge: hier.

Bilder: Vom Autor, © 2020 by sehpferd.de

(1) Möglicherweise meint "Wiktionary", dass nur noch die Bedeutung (5) " jemanden zum Geschlechtsverkehr verleiten" gebräuchlich ist. Dann wäre aber auch die Bedeutung (2) nicht "veraltet", nämlich "auf einen falschen Weg führen, in eine falsche Richtung führen.", die wieder mit der Bedeutung (3) in Zusammenhang gebracht wird, nämlich "jemanden derart gezielt beeinflussen, dass dieser etwas ... gegen seine ursprüngliche Absicht tut."

Die Ciskriminierungswelle

Die Ciskriminierungswelle - ja, ihr habt recht gelesen.Ich fühle mich ciskriminiert. Das ist natürlich Blödsinn - aber wa sist derzeit kein Blödsinn?

Mit „Weiß“, so lese ich jetzt vielfach, ist eine Einstellung gemeint. Und mit „Schwarz“ auch. Die Presse betont es. Das heißt, sie übernimmt Formulierungen von Ideologen.

Da zitiere ich doch mal:

Das Wort „Schwarz” (mit großgeschriebenem S) ist in diesem Interview eine Bezeichnung, die nicht die Hautfarbe meint, sondern eine Verbundenheit mit ähnlichen rassistischen Erfahrungen.


Können wir das bitte noch mal präzisieren?

Also sind Schwarz und Weiß keine Hautfarben, sondern Einstellungen. Die Schattierungen von Grau? Oh, hätte ich besser nicht erwähnt, dabei handelt es sich um Soft-Pornografie für Frauen in mittleren Jahren“. Ich nenne sie hier mal nicht MILFs. Demnächst ist ja Frauentag, da ducke ich mich mal weg.

Grau ist so witzlos. Weiß auch. Schwarz ebenso. Und farbig?

Nur nicht farbig! Da könnet ja die Schwarz-Weiß-Malerei auf der Strecke bleiben. Ich hörte schon lange nichts Differenziertes mehr.

Irgendwie verliere ich die Orientierung. Bin ich nun „weiß“, weil meine Hautfarbe recht hell ist? Oder weil man Haar mittlerweile die gleiche Farbe angenommen hat? Pardon, weiß ist gar keine Farbe. Die Gegenstände in „weiß“ reflektiert nur das gesamte Spektrum des Sonnenlichts. Also ist weiß alles, weil weiß alles widerspiegelt. Und Schwarz ist ebenso wenig eine Farbe, weil „schwarz“ die Abwesenheit von Licht repräsentiert. Und mit der Haut hat das recht wenig zu tun.

Die Ciskriminierung des Weißen Mannes

Letztes Jahr war ich also Mann, Weiß und CIS. Das ist in summa der letzte Dreck. Ich lese und lese aber ich kann nicht finden, dass Frau, Schwarz und queer durchgehend positiv bewertet wird - großgeschrieben oder nicht.

Ich diskriminiere dich, du diskriminierst mich ...

Bei mir überschneiden sich mehrere Arten von Diskriminierungen. Die Schlimmste ist, dass ich alt bin. Das ist wirklich ein Manko. Die Zweitschlimmste, dass ich anders denke als die meisten - das macht mich verdächtig. Und und die Drittschlimmste, dass ich in Ostdeutschland wohne - noch dazu in der Provinz. Oder vielleicht, dass ich einst IT-Fuzzy war. Ich muss also gar nicht weiß, männlich und CIS sein. Die übrigen Vorurteile reichen auch. Für die Ostdeutschen bin ich übrigens ein Exot, mehr noch als andere Wessis, die man hier zähneknirschend duldet.

Merkwürdigerweise fühle ich mich nicht diskriminiert, selbst wenn ich gelegentlich angeschaut werde, als sei ich ein Besucher vom Mars. Man fragt sich: Was will der hier, wo doch fast alle von hier wegwollen?

Ich lasse die Leute denken, was sie wollen. Hier jedenfalls werde ich nicht Ciskriminiert.