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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Die künstliche Wiedergeburt des Bösen

Was sollen wir von einer Psychologie halten, die „das Böse“ zu einem komplexen Strauß von Persönlichkeitsfaktoren gebunden hat?

Die dunkle Triade - der Beginn des "neuen Bösen"

Der Vorgänger des „neuen Bösen“ war die Behauptung, es gäbe eine „Dunkle Triade“ von Persönlichkeitseigenschaften, also drei „negative“ Eigenschaften, die man sicher benennen könne. (Narzissmus, Machiavellismus (1) und Psychopathie). Allerdings haben alle drei eine große Bandbreite und wir finden Elemente davon im Leben der meisten Menschen wieder. Die Behauptung an sich ist relativ neuen Datums – sie wurde zuerst 2002 veröffentlicht.

Der Blütenstrauß des Bösen in der Psychologie - seit 2018

Doch die eigentliche Sensation, die wie ein Lauffeuer durch die Presse verbreitet wurde, war eine noch kühnere Behauptung. Denn gegen 2018 wurde angeblich ein Faktor gefunden, der nun ein vollständiges Abbild des Bösen liefern sollte: der D-Faktor. Neben den drei schon bekannten Begriffen kamen noch ein paar hinzu, nämlich Egoismus, Gehässigkeit, moralische Enthemmung, Sadismus, Selbstbezogenheit und übertriebene Ansprüchlichkeit. (2,3).

Die Faszination der Leserinnen und Leser - wo sitzt es denn nun, das Böse?

Was mag die Leserinnen und Leser an dieser These so fasziniert haben? Ware sie froh, dass nun „durch die Wissenschaft“ festgestellt wurde, wo „das Böse“ im Menschen haust? Hatte man nun wirklich herausgefunden, wie all das Böse entsteht und wie es in die Welt kommt? Wurde die Gründe für einen „schlechten Charakter“ herausgefunden? Oder gar die ultimativen ethischen Grundlagen „in uns“ und ihre Gegenspieler entdeckt? Und wie viel religiöse Überzeugung muss man mitbringen, um tatsächlich vom D-Faktor überzeugt zu sein?

Wer etwas Konkretes von der Forschung erwartete, wurde - wie so oft in der Psychologie - enttäuscht. Harte Fakten gibt es nicht, wohl aber eine Vermutung, nämlich dass „Menschen mit einem hohen D-Faktor zum Regelverstoß“ neigen. Heißt konkret: Wer eine Regel bricht, wird auch eine andere brechen. (4)

Ich frage gar nicht erst, welche Regeln. Auch nicht wo sie gelten oder nicht gelten und wann und wie sie für wen erstellt wurden.

Das dürft ihr euch fragen. Und auch, wie die Welt ohne den „Regelbruch“ von Kopernikus, Darwin oder Freud aussehen würde. Ganz zu schweigen von den vielen anderen Autoren, Fachleuten und Laien, die mutig genug sind, das Bekannte infrage zu stellen – und damit eben auch die Regeln zu brechen.

(1) Erläuterung nötig, zum Beispiel hier.
(2) Offenbar ist Anspruchsdenken gemeint
(3) Essenz des Bösen - Deutschlandfunk
(4) Forschung Uni Ulm



Dark Traits – neuer Modebegriff aus der Psychologie?

Die „Traits“ der Persönlichkeit sind ihre „Merkmale“. Und sie sind normalerweise weder „dunkel“ noch „hell“, weder negativ noch positiv, sondern sie existieren eben.

Brauchen wir Begriffe wie "Dunkle Triaden"?

Wer mal schauen will, was Psychologen „an sich“ meinen, der sollte sich mit den „Big Five“ beschäftigen. Etwas angestaubt sind sie auch, die „Großen Fünf“, die sich auf Deutsch „Fünf-Faktoren-Modell“ nennen. Ein kurzer Blick darauf lässt uns ahnen, dass damit unsere Persönlichkeit vermessen wird. Dabei wird nicht zwischen „Gut und Böse“ unterschieden, sondern versucht, die Persönlichkeit hinreichend zu beschreiben. Nun aber kommen „moderne“ Psychologen daher und versuchen, mit ihren „Dark Traits“ oder „dunklen Triaden“ bekannt zu werden.

Warum das „Dunkel“ nun ans Licht gezerrt werden soll? Ich kenne die Ziele der „modernen“ Forscher nicht und kann nicht hoffen, dass sie halbwegs wissen, was sie tun.

Worum ich mich eher kümmere, ist die Frage: „Kann man in einfachen Worten erklären, worum es geht?“

Einfache Worte gesucht - was bedeutet der Fremdwörtersalat?

Die Psychologie hat zu meinem Leidwesen die Eigenschaft, unverständliche Begriffe mit anderen, ebenso seltsamen Wörtern zu beschreiben. In diesem Fall mit „Narzissmus, Machiavellismus sowie subklinischer Psychopathie.“ Ich müsste also drei Wörter erklären, deren Bedeutung höchst unscharf ist. Über „Narzissmus“ fabuliert heute jeder – man müsste also zum Kern zurück. „Psychopathie“ klingt im Volksmund so wie „dem fehlen ein paar Tassen im Schrank“. Der Herr Machiavelli mag ja Namensgeber des Machiavellismus gewesen sein, aber selbst die Psychologie liefert nur diese dürftige Erklärung: (Quelle: Dorsch)

... relativ geringe affektive Beteiligung bei interpersonellen Beziehungen, geringe Bindung an konventionelle Moralvorstellungen (Moral), Realitätsangepasstheit, geringe ideologische Bindung.

Frei erfundene Neuschöpfung - Machiavellismus?

Wenn das alles wäre, könnten wir den Begriff durchaus als „frei erfunden“ abhaken. Ich frage mich wirklich, warum die Anpassung an die Realität negativ sein soll – sie ist mithin ein Naturgesetz. Übrigens lohnt es sich, die Gegenprobe zu machen:

Was hältst du von einem Menschen, der sehr mitfühlend ist, aber eine konservative Moralvorstellung hat, realitätsfremd ist und Ideologen anhängt? Möchtest du ihm begegnen?

Wenn ich diesen Begriff wirklich verwenden wollte, würde ich einen solchen Menschen als „Individualisten“ bezeichnen, die nicht so gut in „zwischenmenschlichen Beziehungen“ sind. Klar, dass dies manche ganz anders sehen.

Dunkle Eigenschaft Narzissmus - und was bedeutet sie?

Bleiben die beiden anderen „negativen“ Eigenschaften. „Narzissmus“ hat viele Bedeutungen – einmal im Volk, dann aber auch im Bereich der Psychologie. Der „Dorsch“ nennt:

Selbstüberschätzung, Überempfindlichkeit gegen Kritik, Suche nach Bewunderung und dominantes Interaktionsverhalten.

Also haben wir Selbstüberschätzung – damit kann man etwas anfangen. Was wir sonst noch wissen, ist profan: Viele Narzissten (Narzisstinnen) haben wegen oder trotz dieser Eigenschaften Erfolg. Und ein bisschen Selbstliebe schadet auch nicht. Und: „Krankhafter Narzissmus“ bedeutet etwas anderes als die „gewöhnliche“ Selbstbewunderung im Alltag.

Kling ganz schrecklich: Psychopathie

Die dritte „böse“ Eigenschaft ist die Psychopathie. Das Wort „Psychopath“ zu sein, klingt schon böse. Da vermutet der Volksmund schon deutlich mehr als ein paar „Fehlende Tassen“ im Schrank. Wir lesen dazu mal kurz (diesmal aus einer anderen Quelle):

„Psychopathie ist eine Persönlichkeitsstörung, bei der Betroffene sich äußerst manipulativ und skrupellos ihrem Umfeld gegenüber verhalten.“

Wir erkennen: Mit denen ist nicht „gut kirschenessen“. Nur dass „äußerst manipulativ und skrupellos“ im Grunde auch unscharf definiert ist. Und wir erfahren durchaus, dass die meisten Beobachtungen innerhalb der „Kriminalpsychologie“ gemacht wurden - also ziemlich abseits dessen, was uns normalerweise betrifft.

Das "Dunkle" wohnt in uns alle - mal mehr, mal weniger

Was müssen wir also unbedingt von den „dunklen Seiten“ unseres Wesens wissen?

Die Antwort finden wir in einem wenig spektakulären Absatz bei Hogrefe:

Entgegen einer klinischen Persönlichkeitsstörung sind sogenannte „dunkle Persönlichkeitseigenschaften“ dimensional verteilt. Das heißt, dass alle Menschen eine bestimmte Ausprägung der Dunkle Triade-Eigenschaften haben. Ob dies letztlich problematisch ist, hängt davon ab, wie stark die Eigenschaften ausgeprägt sind und das Verhalten bestimmen.

Das Fazit - ziemlich viel Lärm um fast nichts

Womit ich am Ende meiner Ausführungen bin. Die „dunklen“ Eigenschaften sind also weder dunkel noch schlecht, weder negativ noch problematisch. Sie liegen auf einer Skala und bestimmen unser Leben und das Leben anderer manchmal mehr und mal weniger.

Und was dich betrifft, liebe Leserin / lieber Leser: Lass dich nicht von Medien manipulieren, auch wenn darüber steht, dass sie „psychologisch gesicherte“ Erkenntnisse verbreiten. Und eine Bitte hätte ich auch noch: Nenn deinen Mitmenschen nicht grundlos einen Narzissten, Machiavellisten oder einen Psychopathen.

Hinweis: Im "Dorsch" wurde für die meisten Zitate und Hinweis gefunden Aus technischen Gründen wurde er nur einmal verlinkt.