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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Versaute Wahrheiten - "Dating" als Tierschau und andere Ungereimtheiten

Irgendwie versauen viele Zeitungen und Zeitschriften, soziale Netzwerke und auch das Fernsehen alle Themen, indem sie diese auf eine „volkstümliche Unterhaltungsebene“ herunterbrechen.

Als Beispiel nehme ich gerne das Thema „Partnersuche“. Als es gegen die letzte Jahrhundertwende nur noch „Dating“ hieß. Importierte man so gut wie alle Ausprägungen und Inhalte aus den USA, und dazu gehörten auch all diese Dating-Tipps, die besser nur auf Toilettenpapier gedruckt worden wären – dann hätte sie vermutliche nicht jeder Schwachkopf (m/f/d) vom Vorgänger abgeschrieben. Bis heute funktioniert dieses Geschäft ganz vorzüglich, nur dass es jetzt um Dating-Trends geht, die von publicitygeilen Bloggern (m/f/d) in die Netzwerke und von dort in die Presse wandern.

All dies hat jenen geschadet, die nichts als einen Partner oder eine Partnerin wollten. Denn plötzlich gab es „Dating-Regeln“. Die Äußerlichen stammten ebenfalls aus den USA, die Innerlichen wurden alsbald von „Psychologen“ nachgereicht. Sie enthielten wenige Fakten, aber ein unendliches Potenzial an Geschwafel. Man tat so, als ob man etwas wisse. In Wahrheit wurden ein paar reichlich angejahrte Tests auf dem Gebiet der Personalrekrutierung (HR, Human Ressources) auf Paarbeziehungen angewandt. Damit wäre man kläglich gescheitert, wenn es nicht einen Trick gegeben hätte, den auch Nicht-Psychologen recht gut kennen. Sie empfehlen Menschen, es einmal mit ganz bestimmten, „handverlesenen“ Personen zu versuchen. Soweit das Online-Dating, das nach wie vor am erfolgreichsten ist. Dazu kamen noch ein paar Theorien, die deutlich haarsträubender waren – ich will euch nicht damit langweilen.

Vorgeführt werden wie die Zirkustiere?

Mittlerweile hatte auch das Fernsehen die Faszination des „kriegen sie sich oder kriegen sie sich nicht“ entdeckt. Immer schrägere Formate wechselten sich mit den eher betulichen „Dates“ der braven Bürger ab, die im Fernsehen „vorgeführt“ werden wie die Zirkustiere. Und es ist noch nicht vorbei. Immer wieder wird etwas neu aufgelegt, mal auf der Sexschiene, mal auf der Resterampe, mal auf spießbürgerlichen Grundlagen.

Ich frage heute mal: Wollen wir das wirklich? Sollen wir uns von diesen falschen Informationen, diesen dummen Sprüchen und gestelzten Dialogen, diesen Selbstdarsteller(innen) mit großer Schnauze oder „peinlichen Schweigern“, wirklich beeinflussen lassen?

Was dort genährt wird, ist die Vorstellung, es gäbe den perfekten Partner, man habe ihn nur noch gefunden. Oder die perfekte Partnerin.

Nein, das sollten wir nicht. Partnersuche ist in Wahrheit etwas völlig anderes – und etwas sehr Intimes, das durch jede neue „Datingshow“ abgewertet wird. Und die Regeln? Die machen wir uns selbst, denn eines steht fest: Nur nach unseren Regeln werden wir glücklich und erfolgreich sein. Und was uns dabei zur Verfügung steht, sind die Menschen, die es gibt. Und noch etwas: Ja, ich kann wirklich verstehen, wenn einige davon abgelehnt werden. Aber ich kann nicht verstehen, wie man sich für so großartig halten kann, es nicht wenigstens mit dem /der einen oder anderen zu versuchen.

Disziplinierte Menschen und moralinsaure Spinner

Die Menschen, die heute „zu Fuß“ unterwegs waren, haben sich sehr diszipliniert verhalten - hauptsächlich handelte es sich um Marktgänger, Jogger, Kinderausfahrer(innen) oder Hundeausführer(innen).

Ist dies meine Schlange?

Recht lustig war, dass manche Menschen auf dem Markt nicht wussten, in welcher Schlange sie standen - und so kam es, dass sich jemand in die Metzgerschlange verirrt hatte, der glaubte, in der Bäckerschlange zu stehen. Und auch ich muss gestehen, dass ich einige Menschen falsch einschätzte, die in eben jener Metzgerschlange standen, die sich inzwischen auf gut 15 Meter ausgedehnt hatte. Ich hielt sie tatsächlich für verstreute Passanten und kreuzte die Schlange versehentlich diagonal. Sorry, Folks ... auch ich muss mich erst an sehr lang gezogene Schlangen gewöhnen.

Weitaus weniger lustig fand ich, dass einige der verbliebenen Autofahrer inzwischen jede innerstädtische Fahrbahn als Rennstrecke ansehen.

Moralisaure Entschleuniger

Und die Presse? Inzwischen habe ich mehrere Artikel gelesen, in denen die schreckliche Pandemiezeit mit moralinsauren Kommentaren verunreinigt wird. Dann ist es gut, dass wir uns gerade unter dem Druck der tatsächlichen oder vermeintlichen Ausgangssperren entschleunigen. Warum? Weil nun „endlich wieder ausführliche Begegnungen“ stattfinden könnten - virtuell, versteht sich.

Abblitzen lassen nach Art des Burgfräuleins

Na klar, wenn das Burgfräulein bisher Mann für Mann abblitzen ließ, tat sie das, weil sie „Ansprüche“ hatte. Nun wird sie die entsprechenden Kandidaten am langen Arm verhungern lassen, weil sie länger nachdenken muss. An ihrer Arroganz wird sich dadurch nichts ändern - auch nicht an ihrem Beziehungsstand.

Ja, ich las auch über „schnelle Kontakte“, die sich angeblich ebenfalls entschleunigen. Angeblich hemmt der Druck der Krise den Druck, unbedingt sofort zum Flüssigkeitsaustausch überzugehen. Doch wozu dann überhaupt treffen? Dem Virus ist es weitgehend egal, wie es übertragen wird - also gilt: Abstand ist Abstand und gar nicht treffen ist derzeit allemal besser als „einander keusch gegenüberzutreten“.

Na denn. Man sagt ja, in Krisenzeiten würden die Röcke wieder länger und die Moralprediger würden aus allen Ritzen herausgekrochen kommen.

Verstopft die Ritzen, wenn ihr noch Verstand habt.

Euer Sehpferd