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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Christen, körperliche Züchtigung und Nähmaschinenriemen

Nähmaschine mit doppeltem Riemenantrieb - Pedale und Elektromotor, Deutschland gegen 1910
Zwischen der Nähmaschine und dem Antrieb durch Pedale befindet sich eine Transmission, die auch als „Nähmaschinenriemen“ bekannt ist. Dieses Instrument hatte einen Durchmesser von 5 mm und eine Länge von bis zu zwei Metern. Und da in den meisten Haushalten niemals etwas weggeworfen wurde, besaßen fleißige, von Näharbeiten begeisterte Hausfrauen bald mehrere Riemen, die eigentlich zu nichts nütze waren.

Die „Nähmaschinentreibschnur“, wie sie auch hieß, ging in verschiedene Werke über die Züchtigung ein. Sie solle sich, so diese Aussagen, doppelt genommen und mit einem Handgriff versehen, besonders für junge Erwachsene eignen. Und da evangelikale Christen in den USA besonders eifrig um die Disziplin bemüht waren (und immer noch sind), haben sie solche Methoden auch gutgeheißen.

Im Internet finden wir zahllose Beiträge, die sich als auf die „Sprüche Salomons“ (Proverbien) beziehen. Sie sind ein Teil der Apokryphen, also mit absoluter Sicherheit keine „heiligen Schriften“, sondern Menschenwerk. Darin heißt es beispielsweise:

Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber lieb hat, der züchtigt ihn beizeiten.

Doch das ist nur die Wurzel. Denn daraus wurde eine besonders menscheverachtende Pseudo-Religion konstruiert, die den Mann als Vollstrecker von Gottes Willen sieht. Sie ignoriert die Menschenrechte, verachtet Frauen und Liberale schlechthin und enthält Elemente brutaler Gewalt und gottähnlicher Überheblichkeit. Trotz gegenteiliger Behauptungen fördert diese Religion den Sadismus und die Verachtung Andersdenkender.

Da diese Väter sich anmaßten, die „Söhne“ (und wohl auch die Töchter) in jedem Alter zu schlagen, war die Rede davon, mit steigendem Alter nicht mehr die Rute zu benutzen, sondern auch auf Riemen und „Klopfpeitschen“ („Siebenstriemer“) auszuweichen. Allerdings wurde die Erziehung oft auch an die (häufiger anwesende) Mutter delegiert.

Ein Zeuge erinnert sich an den Nähmaschinenriemen:

Er konnte sich daran erinnern, dass seine Mutter den gebrauchten Riemen einer Nähmaschine im Badezimmer aufgehängt hatte, den sie als ‚Vollstrecker‘ nutzte.

Ich bin bei Recherchen darauf gestoßen, als ich die Glaubwürdigkeit einer Aussage überprüfte - zwar hatte ich von den entsprechenden „christlichen“ Bewegungen schon gehört, aber ich konnte einfach nicht glauben, dass es sich um Tatsachen handelte.

Zitate aus der Lutherbibel. Weitere Quellen: Internet, Bücher über "häusliche Disziplin", z.B. Dobson, "Dare to Discipline" zitiert nach "Redeeming America: Piety and Politics in the New Christian Right" und "Bibelkommentare".
Bild: Nach einem Photo über die Nutzung der Elektrizität für die Hausfrau, gegen 1910.

Disziplinierte Menschen und moralinsaure Spinner

Die Menschen, die heute „zu Fuß“ unterwegs waren, haben sich sehr diszipliniert verhalten - hauptsächlich handelte es sich um Marktgänger, Jogger, Kinderausfahrer(innen) oder Hundeausführer(innen).

Ist dies meine Schlange?

Recht lustig war, dass manche Menschen auf dem Markt nicht wussten, in welcher Schlange sie standen - und so kam es, dass sich jemand in die Metzgerschlange verirrt hatte, der glaubte, in der Bäckerschlange zu stehen. Und auch ich muss gestehen, dass ich einige Menschen falsch einschätzte, die in eben jener Metzgerschlange standen, die sich inzwischen auf gut 15 Meter ausgedehnt hatte. Ich hielt sie tatsächlich für verstreute Passanten und kreuzte die Schlange versehentlich diagonal. Sorry, Folks ... auch ich muss mich erst an sehr lang gezogene Schlangen gewöhnen.

Weitaus weniger lustig fand ich, dass einige der verbliebenen Autofahrer inzwischen jede innerstädtische Fahrbahn als Rennstrecke ansehen.

Moralisaure Entschleuniger

Und die Presse? Inzwischen habe ich mehrere Artikel gelesen, in denen die schreckliche Pandemiezeit mit moralinsauren Kommentaren verunreinigt wird. Dann ist es gut, dass wir uns gerade unter dem Druck der tatsächlichen oder vermeintlichen Ausgangssperren entschleunigen. Warum? Weil nun „endlich wieder ausführliche Begegnungen“ stattfinden könnten - virtuell, versteht sich.

Abblitzen lassen nach Art des Burgfräuleins

Na klar, wenn das Burgfräulein bisher Mann für Mann abblitzen ließ, tat sie das, weil sie „Ansprüche“ hatte. Nun wird sie die entsprechenden Kandidaten am langen Arm verhungern lassen, weil sie länger nachdenken muss. An ihrer Arroganz wird sich dadurch nichts ändern - auch nicht an ihrem Beziehungsstand.

Ja, ich las auch über „schnelle Kontakte“, die sich angeblich ebenfalls entschleunigen. Angeblich hemmt der Druck der Krise den Druck, unbedingt sofort zum Flüssigkeitsaustausch überzugehen. Doch wozu dann überhaupt treffen? Dem Virus ist es weitgehend egal, wie es übertragen wird - also gilt: Abstand ist Abstand und gar nicht treffen ist derzeit allemal besser als „einander keusch gegenüberzutreten“.

Na denn. Man sagt ja, in Krisenzeiten würden die Röcke wieder länger und die Moralprediger würden aus allen Ritzen herausgekrochen kommen.

Verstopft die Ritzen, wenn ihr noch Verstand habt.

Euer Sehpferd