Skip to content
Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Ansprachen und plakative Gefühlswelten

Kürzlich gab es einen Anlass für mich, eine mit Gefühlen angereicherte Ansprache zu analysieren. Sie war – mit einem Wort – erbärmlich. Ein festes Redekonzept, in das nur noch die Namen eingefüllt werden mussten, zahllose Wiederholungen, die oft sinnlos erschienen. Dazu eine seltsame, hölzerne direkte Ansprache an die Teilnehmer, die dennoch leer und unpersönlich wirkte.

Plakativ wirksam oder sinnreich für die Betroffenen?

Diejenigen, die es unmittelbar betraf, waren dennoch gerührt – und ich denke, wenn die Rede von einer KI ausgedacht worden wäre, wäre sie kaum schlechter gewesen.

Wobei wir bei der Vermittlung von Gefühlen wären. Wenn die Sprache ein Transportmittel für Gefühle sein soll, dann ist es gut, sie mit Vorsicht einzusetzen. Von einem Standesbeamten erwarten wir, dass er eine sinnreiche und glaubwürdige Rede über die Ehe hält. Aber wir erwarten nicht, dass er uns in der Rede darüber belehrt, wie sie zu führen ist. Bei der Beendigung einer Schul-, Lehr- oder Studienzeit dürfen wir auf einen optimistischen Blick in die Zukunft hoffen, aber nicht darauf, welchen Weg wir nun einschlagen müssen. Selbst in einer Trauerrede sollte keine Lehre erteilt werden, wie jemand zu trauen hat.

Die wahren Gefühle gehören jedem Menschen selbst

Die Gefühle der Menschen zeichnen sich dadurch aus, dass sie jede Person für sich selbst hat. Wir glauben, „mitzufühlen“ und wissen doch nur, wie wir „ähnlich“ gefühlt haben. Um ein einfaches Beispiel zu nennen: Wenn ein junger Mensch das Elternhaus verlässt, entsteht eine neue Situation für Eltern und Kinder. Das ist eine Tatsache. Wie sich Eltern und Kinder dabei fühlen – dafür gibt es keine Regel.

Behutsamer Umgang mit Gefühlen

Einfühlsam zu sein, heißt nicht einfach, „auf Mitfühlen zu machen“. Im Bewusstsein, die Gefühle anderer nicht wirklich teilen zu können, bedeutet dies, Gefühle sanft zu unterstützen. In die Gefühlswelt anderer einzugreifen, bedeutet hingegen häufig, deren Gefühle zu verletzen. Und sich dagegen zu wehren, fällt besonders Menschen schwer, die tatsächlich Zuspruch, Verständnis und Perspektiven für die nahe Zukunft benötigen.

Mit einem Satz: Der Inhaber der Gefühle ist immer derjenige, der sie hat. Mit etwas Glück findet er oder sie Verständnis bei anderen. Menschen, die zuhören können zum Beispiel.

Und diese Eigenschaft ist oft besser als das plakative Mitfühlen, das kaum jemandem nützt.

Was willst du eigentlich sagen?

Seit ich im Osten Deutschlands lebe, höre ich eine einzigartige, höchst umständliche Ausdrucksweise:

„Also, ich will einmal sagen, da sag ich mal, also wen dass so ist, dann sag ich dazu …

Wie auch immer: Ich muss warten, bis ich weiß, worum es eigentlich geht. Für Inländer mag dieser Gesprächsnebel noch erträglich sein, für Ausländer ist er so gut wie undurchschaubar. Übrigens gehört dazu auch, irgendetwas zu erzählen, was mit dem vorher Gesagten in keinem erkennbaren Zusammenhang steht.

Mit einer Formel lässt sich Klartext reden

Ich habe gelernt (und oft gelehrt) eine Formel zu verwenden. Sie heißt: Merkmal -Funktion – Nutzen oder allgemeiner: Was ist es? Wie ist es? Was könnte das bedeuten?

Wer sie benutzt, muss zwangsläufig ganze Sätze bilden. Damit umgeht er den populären Mangel,, nur noch Fragmente zu verwenden.

Das gute Beispiel:

Du beginnst damit, Probleme zu lösen, indem du sie beschreibst.
Um das zu tun, verwendest du die Fragewörter für offene Fragen, also „wie, was, wann und wo“.
Indem du so fragst, grenzt du die Probleme auf die Situationen ein, in denen sie auftreten können.

Sprecher(innen) und ihre Probleme

Gerade las ich, wie Rundfunksprecher(innen) ihre Texte betonen – ich weiß nicht genau, welcher Sender gemeint war, aber bislang fand ich die Nachrichten des Deutschlandfunks sehr verständlich. Sie wenden sich beispielsweise auch an Menschen, deren Muttersprache eben nicht Deutsch ist.

Im Artikel geht es auch um die inflationäre Verwendung des Wortes „genau“, das bereits Harald Martenstein anprangerte. Denn „genau“ heißt heutzutage sehr genau, „mir gehen jetzt die Argumente zum Thema aus.“ (Falls es jemals welche gab).

Warum GENAU verblödet

Darüber hinaus führt dieses „genau“ auch zur Verblödung. Denn kaum etwas, was sprachlich als „genau“ übermittelt wird, stimmt in der Realität wirklich überein – und es wurde so gut wie niemals auf „Genauigkeit“ geprüft. Die Spatzenhirne reden ja sogar davon, dass sie etwas „genau“ erfühlen können. Und diese Sätze hat keinesfalls erst die Generation „Y“ erfunden.

Bist du meiner Meinung? Oh, falls du „genau“ sagtest – denk bitte noch mal nach.

Gar nichts Tun

Seitenblicke
Ich versuche heute etwas sehr schwieriges: Gar nichts zu tun. Und bevor jemand fragt: Es muss sein. Fünf Tage benötigen die Damen und Herren, die sich um mich bemühen, um etwas an mir zu reparieren und das Ergebnis zu beobachten.

Es ist für mich unglaublich schwierig, gar nichts zu tun. Vor allem, weil ich sonst mindestens sechs bis acht Stunden über etwas nachdenke, sei es, dass ich recherchiere, lese, einordne, nachdenke oder schreibe.

Eben bot man mir Kaffee an – die Kaffeezeit und die anderen Mahlzeiten scheinen die einzigen Abwechslungen zu sein, die man mir gönnt – oder zumutet.

Dann und wann gehe ich ein paar Schritte, und vielleicht werde ich morgen auch mal mit jemandem reden. Richtig reden, meine ich. Es fällt mir schwer, weil ich genau zuhören muss, um den hiesigen Dialekt zu verstehen.

Es mag sein, dass ich mich einige Tage nicht melde, weil es mir gefällt, gar nichts zu tun.