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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Toxische Männlichkeit

Wenn Männer sich für oder gegen etwas einsetzen, das manchen Frauen nicht gefällt, dann entspringt dies angeblich „toxischer Männlichkeit“. Verstanden - aber nicht einverstanden. Nach Meinung der Protagonisten und Protagonisten erwächst aus der „toxischen Männlichkeit“ gegenwärtig alles, was stört: Kapitalismus, Gewalt, Umweltzerstörung und noch viel mehr. Einfach alles.

Bevor ihr euch selbst aufgebt, Männer: Überlegt gut, wer so etwas sagt. Denn wer alle Gründe für das mögliche Versagen der heutigen Gesellschaft bei „den Männern“ sucht, macht es sich zu einfach.

Neue Schimpfwörter für Ideologen und Ideologinnen

Und nein - ich muss die neuen „Deutungen“ der Männlichkeit nicht kennen. Ich erwähne dennoch eineiige dieser Begriffe, die ich jüngst las.

- Breitbeinig sitzen, angebliches („Manspreading“ ).
- Aus männlicher Sicht (überheblich) erklären („Mansplaining“).
- Als Mann etwas äußern, was bereits durch eine Frau gesagt wurde, bei ihr aber ignoriert wurde „Hepeating“ (Er-wiederholen)
- Die Deutungshoheit durch Tricks beanspruchen („Whataboutism“).

All dies hat nicht mit „toxischer Männlichkeit“ zu tun, sondern etwas mit dem Verhalten von einzelnen Personen oder Gruppen, die ständig auf solchen Themen herumreiten und sie dabei ideologisieren.

Hinter den neuen Wörtern steckt nichts Neues

Reden wir Tacheles:

- Natürlich kann eine Sitzhaltung provokativ sein - das ist allerdings die Ausnahme bei Frauen wie bei Männern.
- Gute Erklärer sind ausgesprochen selten. Bei Männern wie bei Frauen. Wer etwas wirklich gut erläutern kann, wird allgemein anerkannt und bewundert. Überheblichkeit und Unwissens schadet hingegen.
- Klar - es ist eine Untugend, einen guten Gedanken als eigenen auszugeben und sich dafür feiern zu lassen. Aber es ist eine Frage der Diskussionskultur, keine Geschlechterfrage. Und dazu gehören auch „Totschlagargumente“ und übergriffig genutzte Definitionen. Allerdings betrifft dies auch die „Deutungshoheit der Wörter“ nach dem Humpty- Dumpty-Prinzip (1). Und wer versucht da, jeden Begriff irgendwie umzudefinieren? Zumeist doch die Wissenschaft, gefolgt von elitären Gesprächsrunden - und nicht der „Mann auf der Straße“.

Der Unsinn, von "toxischen" Persönlichkeiten zu reden

Übrigens ist der Begriff „toxische Persönlichkeit“ völlig willkürlich gewählt und er entstammt eher der „Populärpsychologie“ als einer ernsthaften Forschungsrichtung. Man vermutet, dass „toxische Persönlichkeitseigenschaften“ dazu führen, sich „um jeden Preis durchzusetzen“. (2) Die Behauptung, Männlichkeit sei toxisch, ist deshalb von vorn herein Blödsinn.

Ich selbst habe noch nie den Begriff „toxische Weiblichkeit“ gehört oder benutzt - er existiert aber durchaus. Übrigens ist „toxisch“ in den geschilderten Zusammenhängen völlig absurd - und das ist kein „Mansplaining“, sondern eine anerkannte Definition. Und zudem ist es eine Diffamierung, von einem „vergiftetet“ Menschen zu sprechen. Sind die Ideologinnen und Ideologen nicht sonst so scharf darauf, dass wir Autoren ihr „Neusprech“ benutzen, das auch „soziale Korrektheit“ genannt wird?

(1) Nach Lewis Carroll, " Through the Looking Glass "):

"When I use a word," Humpty Dumpty said, in rather a scornful tone, "it means just what I choose it to mean—neither more nor less." "The question is," said Alice, "whether you can make words mean so many different things." "The question is," said Humpty Dumpty, "which is to be master—that's all.”
(2) Stangl Online

Etiketten statt Erklärungen

In früheren Zeiten waren wir gewohnt, das Verhalten von Menschen anhand unserer Beobachtungen zu beschreiben. Das war schwierig, aber sinnreich.

Heute schlagen wir einander mit Begriffen, bis die emotionalen Wunden bluten. Ich habe gerade meinen großen Zeh (noch nicht mehr) in ein Thema getaucht, das man Vereinnahmung nennt.

Also mal Google her, und erst einmal nachgeforscht, wie sie begründet werden kann, die Vereinnahmung. Wann beginnt sie? Welche Motive haben jene, die sich vereinnahmen lassen? Wie beschreiben Menschen diesen Prozess?

Doch Google hält - wie offenbar die meisten Menschen, die im Internet publizieren - nahezu nur Schlagwörter für mich bereit. Zwei, die derzeit besonders populär sind heißen „toxisch“ und „narzisstisch“.

Wie das Internet die Welt in ein Irrenhaus verwandelt

Wenn ich alldem glauben würde, dann wäre die Welt (insbesondere die der Männer) ein Irrenhaus, das von Männlichkeitswahn und (gleichfalls männlichen) Vereinnahmungsfantasien dominiert wird. Und natürlich wissen die meisten der Autorinnen und Autoren: Das kann irgendwie nicht sein. Aber so ein Begriff ist nun einmal schnell in den Mund genommen, und jeder, der über eine gepflegte, akademisierte Sprache verfügt, kann ihn glaubwürdig über die Lippen bringen. Schade für die, die es lesen und daran glauben.

Vereinnahmung ist ein Thema, das bei der Partnersuche eine große Rolle spielt, so sehr, dass sich manche Menschen (und diesmal auch Männer) sogleich „vereinnahmt“ fühlen.

Aber das Thema ist wirklich zu schade, um es den Labervögeln zu überlassen, die mit Etiketten um sich werfen und so Klugheit vortäuschen.

Was meint ihr?

Die Suche nach Gegensätzen

Die Puristen dieser Erde behaupten, dass es zu einem Zustand immer auch einen Gegensatz geben würde, und sie wollen die Welt möglichst darauf reduzieren.

Da ich nicht so recht in das Schema „Christ“ passe, wurde ich schon ein „Heide“ genannt. Das ist ein Beispiel dafür, wie die Mehrheit die Minderheit etikettiert. Üblich ist neuerdings, dass die Minderheit die Mehrheit definiert. Menschen, die diversen sexuelle Strömungen anhängen, haben für sich selbst den Begriff „Queer“ gefunden. Das ist ihr gutes Recht. Aber ist es auch ihr Recht, sozusagen als Revanche, die anderen Menschen als „CIS“ zu bezeichnen? Haben sie überhaupt ein Recht, andere zu etikettieren?

Neulich wurde ich gefragt, ob es einen wirklich korrekten Gegensatz zu „Veganern“ gäbe. Nun kenn ich den Unterschied zwischen Veganern und Vegetariern, und sie können sich nennen, wie sie wollen. Sie könnten sich auch einfach über das definieren, was sie essen oder nutzen. Das wäre oft hilfreicher als das Etikett.

Doch nun muss eben das „Gegenteil“ her. Demnach wäre ein „Karnist“ das Gegenteil zum Vegetarier, aber es passt den Veganern nun wieder nicht recht, obgleich eine ihrer Protagonistinnen (Melanie Joy) ihn für das Gegenteil von „Veganismus“ hält. Das Ganze ist plumpe Ideologie und zudem logischer Unsinn. Denn unter dieser Voraussetzung würde sich ein Karnist ausschließlich von Fleisch ernähren. Der Trick aller Ideologen wir auch für diesen Begriff angewendet: Karnismus wird als Ideologie bezeichnet, Veganismus als Normalität.


Die Über-Ideologie besteht allerdings darin, dass es zu jeder Haltung oder Einstellung einen Gegensatz geben müsse. Die angebliche Logik, die dahintersteckt, ist eine veraltete Betrachtungsweise. So wie bei Volkmar Sigusch:

Wenn es Transsexuelle gibt, muss es logischerweise auch Zissexuelle geben.

Jener Herr Sigusch begründet das im typischen Gelehrtendeutsch, das ich euch hier ersparen möchte.

Ähnlich erging es den „Heterosexuellen“, die erst durch den Begriff „Homosexuelle“ zu solchen wurden. All diese Begriffe sollen verhindern, dass irgendjemand auf die Idee käme, die überwiegende Anzahl als „normal“, zu bezeichnen, denn innerhalb der Ideologie der Gegensätze wären sie dann „unnormal“.

Abweichungen sind weder "Unnormal" noch sind sie "Gegensätze"

Das soll natürlich nicht sein. Niemand, der sich als etwas bezeichnet, was abweicht, ist deswegen unnormal. Er ist nur anders, und das „Anderssein“ ist oft schwieriger als das „Sosein“ - nicht nur in der Sexualität. Würde jeder sagen, wie er ist und was es für ihn bedeutet, würden wir genauer wissen, was er fühlt und denkt. Klebt er/sie sich ein Etikett auf, so wissen wir gar nichts über die Person, sondern schauen auf ihr Etikett. Ob wird das wirklich wollen? Ich bezweifle es.

Die Menschheit und das Novum

Ich lese gerade einige Beiträge über Beziehungen und war verblüfft (Quelle 1):

In der Geschichte der Menschheit hat das eher keine Tradition, sondern ist ein Novum.

An anderer Stelle lese ich sehr ähnlich (Quelle 2):

In der Geschichte der Menschheit hat das keine Tradition, sondern ist etwas gänzlich Neues.
Die Liebesheirat als "Novum"?

Was ist gemeint? Ich verrate es euch: die Liebesheirat, auch Neigungsehe genannt. Ich darf als bekannt voraussetzen, dass sie zur Mitte des 19. Jahrhunderts aufkam, dann weitgehend propagiert wurde und sich schließlich aus ökonomischen wie auch emotionalen Gründen durchsetzte.

Als die Mitgift nach und nach verschwand

Um es klar zu sagen: Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein galt es als üblich, eine Geldzahlung auszuloben, wenn man die Tochter verheiraten wollte, die sogenannte „Mitgift“. Das führte zu etlichen Konvenienzehen, in denen die Frauen ihre Rolle zu finden hatten, ob sie wollten oder nicht.

Kein Novum für fast niemanden

Nun wäre die Frage: Wie kann man eine Entwicklung als „Novum“ bezeichnen, wenn die Tradition der Neigungsehe etwa (je nach Zählung) 100 bis 150 Jahre zurückreicht? Die meisten Menschen, die heute noch leben, haben ausschließlich Neigungsehen oder Liebesheiraten kennengelernt. Und wieso werden dann die „alten Zeiten“ beschworen, zu denen der moderne Mensch keinen inneren Bezug mehr hat?

Manipulationen mit Worten

Es gibt nur einen Grund: Solche Aussagen werden manipulativ verwendet, um Menschen zu überzeugen, dass die Liebe keine Grundlage für eine Beziehung ist. Das mag gelegentlich sogar stimme, schließlich ist die Liebe an sich nur ein recht unbestimmtes Gefühl. Aber es ist immer „die Liebe und noch etwas anderes“, was eine Beziehung ausmacht. Aus diesem Grund hat beispielsweise auch Arnold Retzers Buch „Lob der Vernunftehe“ seine Berechtigung. Aber er sagt mindestens noch „Die Ehe ist eine auf Vernunft gründende Lebensform, die wir aus Liebe eingehen.“

Was die Trivialautoren hingen schreiben, abschreiben oder sonst wie verfassen, ist Murks. Und der Hinweis darauf, dass etwas „keine Traditionen“ in der Menschheitsgeschichte hat, ist billiger Populismus. Viele Erscheinungen des 19. Und 20. Jahrhunderts hatten „keine Traditionen“, und dennoch haben sich die Menschen ihr Leben in dieser oder jener Weise eingerichtet. Und en „Weg zurück“ in die angeblichen Traditionen will kaum jemand gehen.

Das Emotionale, das Sentimentale

Dieser Tage fragte man mich, ob ich den Unterschied zwischen „Sentiment“ und „Emotion“ erklären könne. Für einen Schriftsteller sollte dies leicht sein, nicht wahr?

Und es ist wirklich ganz einfach: Die Emotion ist die Gefühlregung, die nicht näher definiert sein muss. Das „Sentiment“ hingegen ist die Auswirkung, die sich der eigenen Erkenntnis oder dem Blick der Anderen öffnet. Übrigens ist das Wort „Emotion“ ziemlich neu. Es fristete noch im späten 19. Jahrhundert ein kümmerliches Dasein, und erst im Rausch des aufkommenden Interesses für die Psychoanalyse wurde es populär. Auf Deutsch hieße es: „Gefühle“, das ursprüngliche „Sentimentale“ nennt man „Empfindungen“.

Wenn sich die Bedeutung eines Worts wandelt

Nun ist die Sprache allerdings wandelbar, und schon im 18. Jahrhundert wurde aus dem, was aus den Gefühlen heraus zu den Sinnen gelangt, als „übermäßig“ oder gar „unecht“ beschrieben. Das hat etwas mit der Einstellung jener Zeit zu tun, die der Gefühlswelt im Alltag wenig Raum gab – wenn man einmal von Dichtung und Musik absieht. Im 19. Jahrhundert trat dann ein, was viele Denker schon zuvor befürchtet hatten. Die Romantik verkleisterte mit ihrer Rührseligkeit die echten Gefühle – und dies führte endgültig dazu, das „Sentimentale“ abzuwerten und in die Abteilung „Kitsch“ zu verfrachten.

Die moderne Sprache ist wesentlich klarer: für Emotionen sagen wir „Gefühle haben“ und für das Sentimentale „Gefühle zeigen“.