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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Wenn die Zeit stehen bleibt ... offensichtlich immer im Sommerloch

„Erst wollten se uns erzählen, dass wir viel zu wenig arbeiten und jetzt sagen se, dass wir weniger arbeiten sollen.“

Die Aussage eines älteren Herrn folgte offensichtlich einem Leitartikel der Leipziger Volkszeitung von heute. Sie berichtete über den Trend vieler Mitbürger, „verkürzt“ zu arbeiten. Nicht, weil sie es müssen, sondern weil sie es wollen.

Vom ersten Tag an in den neuen Bundesländern fiel mir auf, dass immer von „se“ die Rede ist, so als ob es eine Obrigkeit geben würde, die dergleichen bestimmt. Und übrigens: Zwischen dem, was „se“ sagten und dem was „se“ heute sagen, liegen mehr als 30 Jahre.

Für einige Menschen im sogenannten „Ostdeutschland“ ist offenbar spurlos vorübergegangen, dass sich immer irgendetwas bewegt. Gleich, ob „se“ irgendetwas machen oder nicht.

Apropos Leipziger Volkszeitung - dort öffnet sich offenbar gerade wieder das Sommerloch, denn einen ähnlichen Artikel verfasste man schon im August 2021.

Wo ist eigentlich der "Osten"?

Manchmal sehe ich Spuren der Ost-West-Denkweise bei den Menschen jener Länder, die sich gerne als „der Osten“ darstellen.

Nun ist „der Osten“ für allen irgendwo anders. Zum Beispiel in Mpumalanga. Als alter Hansestädter habe ich noch etwas über „die Levante“ erfahren – das hat ungefähr die gleiche Bedeutung. Politisch hieß das „Nahost“, und „sollte es noch weiter östlich sein“, dann war es eben Fernost.

Der Osten? Den gibt es nicht wirklich

Nein – hier ist mitnichten der Osten. Ja, er kommt hier überhaupt nicht vor. Dieses Ostdeutschland ist Teil der westlichen Kultur, mit allem, was sie dankenswerterweise oder auch leider ausmacht. In ihr vermischen sich germanische, romanische und weitere Einflüsse, die sich im Lauf der Jahre zu dem zusammengemischt haben, was sie heute sind: westliche Lebensweisen.

In ihnen sind alle Menschen frei und gleich, können leben, wo sie wollen, mit wem sie wollen und wie sie wollen. Das ist westliche Kultur – und das ist mindestens ein Merkmal der Freiheit.

Neidhammel und Neidschafe

Ja, ich bin mir bewusst, dass Deutschland (auch die alte Bundesrepublik) eine besondere Spezies beinhaltet: die Neidhammel. Und damit es nicht immer der arme Hammel ist, der da gescholten wird: Und Neidschafe. Die Sätze purzeln nur so: „Warum hat dieser oder jener mehr als ich?“ „Warum gibt man jenen und nicht mir?“. Keiner dieser Sätze hat irgendeinen Nutzen.

Der Staat muss nicht für alles sorgen

Manchmal schwingt ein Hauch Sozialismus mit: „Der Staat muss dafür sorgen, dass …“ Es könnte zutreffen, aber zunächst sind die Bürger verpflichtet, für ihr Wohlergehen zu sorgen – jedenfalls in der westlichen Kultur.

Die Angst vor der freien Presse


Interessante ist, dass die neue, freie, unabhängige Presse oft diffamiert wird. Im Sinne mancher Deutscher hier in den neuen Bundesländern ist die Pressefreiheit schuld. Wie kann es sein, dass die Redaktionen entscheiden, was geschrieben wird? Einer der ersten Sprüche, die ich hier hörte, war: „Jetzt werden schon Kinder indoktriniert, indem die örtliche Zeitung kostenlose Exemplare an Schulen verteilt.“

Oh nein, diese Kinder wurden nicht indoktriniert. Sie lernen, wie eine freie Presse funktioniert. Und wie sie selber die Presse- und Informationsfreiheit für sich nutzen können.

Und damit haben sie inzwischen den entscheidenden Schritt gemacht: ein Stück Freiheit schätzen zu lernen.

Deutschland - wer entzweit, wer eint?

Deutschland - wer entzweit, wer eint? - Mein Artikel zum heutigen Tag der Einheit beginnt kritisch und endet versöhnlich. Die Grundfrage ist, ob wir überhaupt von „Ostdeutschland" und „Westdeutschland“ sprechen sollten.

Immer, wenn das Wort „Ostdeutschland“ fällt, spreizen sich meine Zehennägel. Es beginnt bei den Schmierereien an den Wänden. Und es endet nicht, wenn behauptet wird, „Meinungen“ aus Ostdeutschland würden „nicht ernst genommen“.

Dein Staat heißt weder „Westdeutschland“ noch „Ostdeutschland“

Vielleicht werden Meinungen aus Bayern immer etwas zu ernst genommen, obgleich man in Bayern häufig völlig abweichend vom sogenannten „Westdeutschland“ denkt. Und in Deutschlands „echtem Westen“, dem bevölkerungsreichsten Bundesland“ findet man durchaus kulturelle Unterschiede zum Norden - ich denke da durchaus mal an sogenannte „Pappnasen“ .

Das alles muss der föderale Staat aushalten und auch seine Kultur.

„Westdeutsch“ ist völlig irreführend

Wer „Westdeutschland“ sagt, meint im Osten überhaupt nicht Westdeutschland, sondern er (oder sie) folgt einer ideologieschwangeren Vorstellung über „westliche Überheblichkeit“. Doch was „der Westen“ wirklich ist, heißt eigentlich „Einheit, Freiheit, Brüderlichkeit“, also die Werte des Humanismus, gefolgt vom demokratischen und liberalen Staat. Für manche Deutsche in Ost und West ist dies ein Rosinenkuchen, in dem man sich die süßen Rosinen herausklaubt und den Teig verabscheut. Für andere ist es die Verwirklichung der Menschenrechte. Daran werde ich nichts ändern können. Es ist eben so.

Meinungen und ihr Wert

Und die Meinungen? Ist es eine gute Idee, sich von „Meinungen“ leiten zu lassen? Das Staatswesen, die Gesellschaft und die Wirtschaft interessieren „Meinungen“ nur dann, wenn in ihnen der Gedanke an nachhaltige Verbesserungen wohnt. Aber auch, wenn dies nicht der Fall ist, gelten Meinungen - nur eben nicht für alle. Und wir müssen - wirklich - ein wenig unterscheiden, zu welchem Zweck die Meinungen geäußert werden.

Wer etwas meint, solle auch etwas wissen

Von verantwortlichen Menschen dürfen wir eine minimale Einsicht in die Menschenrechte, die Demokratie, den Liberalismus und andere Essenzen der Freiheit erwarten. Wer nichts davon versteht, darf auch Meinungen haben - aber wir müssen ihm oder ihr nicht folgen.

Einigkeit, Recht, Freiheit und Menschenwürde

Tausende Menschen in Ost und West praktizieren die Deutsche Einheit - in Beziehungen, Ehen, Freundschaften und Nachbarschaften. Sie fragen sich nicht, was an den Menschen bayrisch, sächsisch oder holsteinisch ist. Und sie schmieren auch keine Parolen an die Wand, radikalisieren sich nicht und beklagen sich nicht. Denken wir heute, am Tag der Deutschen Einheit, daran, dass es sie gibt. Und freuen wir uns, dass die Wiedervereinigung uns ermöglicht hat, einander in Freiheit und Rechtssicherheit zu begegnen und miteinander Deutschland zu repräsentieren.

Ostdeutsche und Demokratie

Heute titelte die Leipziger Volkszeitung, nur noch 39 Prozent der „Ostdeutschen“ seien mit der Demokratie zufrieden. Und Redakteur Markus Decker legt im Leitartikel noch eine Schippe drauf: „Westdeutsche müssen begreifen, dass ihre Dominanz ein Problem ist.“

So, so ... da muss jemand etwas begreifen - eine anonyme Masse, nämlich Westdeutsche. Die moralische Keule herausholen - Schuldige finden - das zieht immer.

Der Westdeutsche als Fremdling und ewiger Buhmann

Nein, ich spreche sogenannten „Westdeutsche“ nicht frei von Überheblichkeit. Aber in jeder Diskussion mit ebenfalls so genannten „Ostdeutschen“ fällt das Wort von westlicher Arroganz gegenüber ostdeutscher Gutherzigkeit. Mich erinnert das stark an meinen langjährigen Aufenthalt im Schwabenland. Da sind auch alle „brave Glasmännlein“, während der schreckliche Kaufmann mit dem „kalten Herzen“ aus dem Norden kommt. Solche Zuweisungen kennt jeder Norddeutsche, jeder Kaufmann, jeder Autor und mancher andere, der mit Innovationen in ein anderes Land oder eine andere Region kommt.

Demokratie lernen - ach, das geht auch?

Weil von der Demokratie die Rede ist: Der liberale Staat, der demokratische Staat und die Gesellschaftsordnung, die darin gewachsen ist - das sind die Themen, die in den Regionen, die sich so gerne mit dem Etikett „Ostdeutschland“ schmücken, noch nicht recht bewusst geworden ist. Ja, es kann stimmen, was der Ostbeauftragte sagt: „Demütigungserfahrungen der 1990-er Jahre sind immer noch Teile des Bewusstseins.“ Ich glaube, dass dieser Satz fällt, weil er einem ständig um die Ohren gehauen wird, wenn man als „Westdeutscher“ eingestuft wird. Aber: Wäre es dann nicht Zeit, am Bewusstsein zu arbeiten? Am demokratischen, liberalen und offen Verständnis für die Werte, die es zu verteidigen gilt? Wer steht denn ein für eine wehrhafte Demokratie, wer lehrt Demokratie?

Es gibt zu viele Fragen, und zu wenig Antworten. Und die Unzufriedenheit? Ist sie ein Argument, die eigenen Hände in den Schoss zu legen und über andere zu meckern?

Nein - ich erwarte gar keine Antwort. Mir reicht schon, wenn mehr Menschen nachdenken würden.

Zitat aus: LVZ, Printausgabe, Donnerstag, 29. September 2022.

Leistet ihr euch euer Leben noch?

Die LVZ ist bekannt für Überschriften, die vor allem „Ostdeutsche“ ansprechen. Das ist kein Wunder, weil sie in Leipzig erschient. Doch gestern habe ich mir die Augen gerieben - da las ich in bester Boulevardzeitungsmanier:

„Ist das Leben noch bezahlbar?“

Solche saloppen Sprüche kann man vielleicht am Stammtisch ablassen, aber als Überschrift?

Es bleibt nicht dabei, denn nachdem man dort über Kaffee (das sächsische Nationalgetränk), Bier (nicht ausschließlich sächsisch, aber sicher unheimlich wichtig) und Nudeln wie auch Gemüse sprach, wurde der Satz noch einmal ähnlich wiederholt:

Können wir uns unser Leben noch leisten?

Worum es geht, sind die Preise. Sie ziehen zweifellos an, und das ist auch verständlich, denn die Produktionskosten sind in der Pandemie gestiegen. Und ja, man wird sich überlegen müssen, wie man erstens die Teuerung stoppen kann und zweitens, wie man sinnvoll helfen kann.

Ostdeutsche Sichtweisen, Polemik und Realitäten

Und natürlich steht es jedem Redakteur frei, dafür „die Ampel“ verantwortlich zu machen, die in den ostdeutschen Bundesländern ohnehin wenig Ansehen genießt, weil sie dort als nicht „rot“ genug gilt. Und um sie verantwortlich zu machen, reichen der LVZ schon Feststellungen wie „die Preisspirale dreht sich immer weiter nach oben“.

Krisen dieser Art gab es seit 1950 immer wieder, so 1973 mit einer Teuerung von 7,1 Prozent, 1974 mit 6,9 Prozent (Kabinett Brandt) , und in den Jahren 1975 und 1981(Kabinett Schmidt) mit über sechs Prozent. Die letzte größere Teuerung ergab sich im Vereinigten Deutschland in den Jahren 1992/1993 (Kabinett Kohl). Die gegenwärtige Teuerung wird vor allem auf die Corona-Krise und die Energie-Krise zurückgeführt.

Wer sich in dieser Situation fragt, ob „wir uns das Leben noch leisten können“ ist von der Polemik nicht weiter entfernt als ein Federstrich.

Zitate aus der Print- und Onlineausgabe der LVZ/OVZ vom 12.02.2022 - leider werden bei der LVZ auch allgemein interessierende Artikel benutzt, um für Abonnements zu werben.. Damit wird den normale Internetbenutzern die Informationsmöglichkeit entzogen. Das Fragment kann hier eingesehen werden: LVZ