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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Geh zurück, wo du hergekommen bist …

Der US-amerikanische Präsident hat einen bösen Satz benutzt, der grob vereinfacht heißt: Kritiker(innen) der Obrigkeit oder der gesellschaftlichen Verhältnisse sollten doch bitte das Land verlassen.

In den 1950ern - Hass gegen Aufsteiger und Kritiker

Damit ist er nicht allein. In den 1950er Jahre war es sehr üblich, Frauen, die in der Gesellschaft aufstiegen, an ihre niedere Herkunft zu erinnern, zumal, wenn sie Kritik an der bürgerlichen Verlogenheit übten. Als die 1968er auf die Straße gingen, wurde ihnen barsch geantwortet, sie sollten doch dahin gehen, wo es den Sozialismus gäbe - in die DDR.

Abschottung im Schwabenland in den 1970ern

Das ist längst nicht alles: Als ich in die Schwabenmetropole hineinplatzte, machte man mir erst mal deutlich klar, dass ich dort eigentlich nichts zu suchen hätte. Das konnte nur auf „Fremdenhass“ beruhen, denn zu diesem Zeitpunkt suchte das Schwabenland nach Arbeitskräften aus anderen Regionen. Immerhin war ich Deutscher – Italienern trat man damals mit noch mehr Vorbehalten gegenüber. Später legte sich diese Haltung – und in Südbaden habe ich solche Auswüchse später ebenso wenig erlebt wie während meiner zahlreichen Auslandsreisen.

Erlebnis in Thüringen 2019

Doch nun, vor ein paar Tagen, wagte ich, Kritik an gewissen nationalistischen Einstellungen der Bevölkerung Thüringens zu üben. Die Antwort: „Dann gehe doch wieder dahin zurück, wo du hergekommen bist.“ Gemeint war natürlich: in den Westen. Der Witz daran: Meine Familie hat einen langjährigen Thüringer Stammbaum.

Verkappte Nationalisten sind überall gleich. Sie begreifen nicht, dass wir alle Impulse der vermeintlich „anderen“ benötigen, um den Fortschritt zu ermöglichen.

National

Irgendwie sind gerade alle wuschig. Von rechts kennen wir das ja: Nationalisten von echtem Schrot und Korn, die zwar kaum Ausländer kennen, aber dennoch in jedem „Fremden“ den Feind sehen. Egal, ob seine Hautfarbe braun, gelb oder gar weiß ist. Es reicht, wenn man „irgendwie aussieht, als wäre man nicht von hier.

Und nun die Linken, die mit "Aufstehen" eine neue Masche auffahren. „Wird sind ja so deutsch, wir stolzen deutschen Arbeiter.“ Fehlt nur noch „… und Bauern“. Die Kommunisten werden eben nicht klug – die glauben immer noch, sie hätten einen großen Teil der Arbeiterschaft hinter sich. Gestern noch die „Internationale Solidarität“, heute deutsche Arbeitsplätze schützen. Wie albern.

Rechts? Links? Angeblich hat die „Mitte“ versäumt, „einen deutschen Nationalismus von innen“ aufzubauen. Ach ja? Haben die das? Wie, bitte schön, baut man den „einen Nationalismus von innen“ auf, wenn ein Land zwei Mal am Nationalismus gescheitert ist – und zwar restlos? Mit einer gescheiterten Nationalelf? Mit Kaiser und König, Goethe und Schiller?

Ach, höre ich immer, die Franzosen haben ihn doch, und die Briten … nicht zu vergessen, die Ungarn und Polen, die ständig ihren Nationalismus in den Vordergrund stellen. Na und? Niemand hindert einen Deutschen, zu den positiven Seiten seiner Geburtsstadt, seines Geburtslandes oder gar zu deutschen Bundesrepublik zu stehen. Jeder darf die guten und positiven Eigenschaften Deutschlands ins Ausland tragen. Und wirklich – jeder Deutsche darf sein Land und seine Kultur loben.

Ein neuer Nationalismus, der von innen kommt? Da lachen ja die Hühner.

Oder darf man mal fragen, wie das gehen soll?

Heimat

Straßenkunst an einer Fassade - etwas besseres als den Tod finden wir überall
Nationalismus heißt jetzt Heimatliebe. Jedenfalls nach bayrischer Lesart und leider nicht nur nach bayrischer. Es scheint, als wolle man uns „Heimat“ andrehen, wie es Hausierer tun: Wehe, du akzeptiert den Begriff nicht, dann bist du kein Deutscher, dann hast du auch kein Heimatland.

Ich habe schon ein paar Mal gesagt, dass ich nicht „in Deutschland“, sondern in der ursprünglich britischen Besatzungszone, später dann der amerikanischen Enklave der britischen Besatzungszone geboren wurde. Herkunftsbezeichnung also „Made in U.S.-Zone Germany“. „Deutschland“ existierte damals weder in den Köpfen noch Real. Und das war auch gut so, denn so konnte ich mich auf das Hanseatische besinnen. Noch heute glaube ich, dass der Hanseat dem Briten näher steht als dem Bayern. Sogar in der Sprache.

Heimat und Deutschland sind zweierlei

Heimat? Das war der Bereich, so weit man schauen konnte, und das reichte mir. Und Deutschland? Die Schreihälse wollten ein Deutschland, das mindestens so groß war wie – nein, nicht Großdeutschland, aber so groß wie das „Deutsche Reich“ von 1871, oder mindestens so groß wie 1919. Interessant ist, dass es nicht nur nationalistische Fantasten waren, die das Deutsche Reich in den Grenzen von 1919 wieder herstellten wollten, sondern auch Leute, von denen man so etwas gar nicht vermutet hätte. Federführend für allerlei „Heimat“-Kampagnen war das „Kuratorium unteilbares Deutschland“, das den Slogan „Dreigeteilt? Niemals!“ ausgab.

Thüringer sind auch Würstchen

Was bitte sollte daran Heimat sein? Sicher kam meine Familie aus der Gegend von Erfurt, aber ich war schließlich „hinzugeborener“ Hanseat und kein Thüringer. Und die namensgleichen Würstchen gab es schließlich auch auf dem Liebfrauenkirchhof.

Da wo es Würstchen gibt, das ist mein Heimatland? Ach, du liebes Lieschen. Inzwischen ist mancher brennend heißer Würstchenstand schon geschlossen worden, und kein Geisterchor säuselt mehr „schön war die Zeit“. Und was geblieben ist? Das ist eine Erinnerung an eine viel zu heiße Bratwurst nach Thüringer Art im Brötchen mit Senf. Die letzten Bissen sind mir gut in Erinnerung, wenn sich der Geschmack des Brötchens mit dem Senf und den Gewürzen nach „Thüringer Art“ vereinte. Aber ebenso erinnere ich mich an die Mockturtlesuppe, womit wir wieder dem Vereinigten Königreich näher wären.

Heimat ist das Leben im Inneren - keine Gefühlsduselei

Na klar habe ich Erinnerungen an eine Heimat, aber sie besteht doch nicht aus alten Gemäuern, Wiesen, Wasser und sonderbaren Nahrungsmitteln wie Stinten, Braunkohl und Seemannslabskaus.

Die eigentliche Erinnerung ist das Gefühl, erwünscht, lebendig, lebensfroh und neugierig gewesen zu sein. Sich mit dem Guten der Hansestadt wie auch mit dem Bösen auseinanderzusetzen. Alte Nazis verknöcherte Prokuristen, schnöselige Kaufmannssöhne – aber eben auch weltoffene Menschen, die ihren Blick auf die Welt da draußen richteten.

Ein Leben besteht aus einem Job, mit dem man zufrieden ist, einer Wohnung, in der man gerne lebt, und einer Beziehung, mit der man sich verbunden fühlt. Alle drei Komponenten können wechseln – nichts ist so selbstverständlich wie der Wandel.

Und wie war das nun mit der Heimat? Manchmal gehe ich zurück an einen kleinen, urigen und etwas verwunschenen Ort, den ich seit 50 Jahren kenne, und trinke dort ein Glas Wein. Und das ist dann ein bisschen Heimat.

Frankreich – wirklich eine „gespaltene Nation“?

Ach ja – die „Grand Nation“ ist tief gespalten. Seit wann? Seit ein paar Wochen? Seit ein paar Monaten? Schon immer, solange ich denken kann? Doch nichts anderes kam gestern über die Sender, als von Frankreich die Rede war.

Fragt sich doch bitte: Wenn eine Nation tief gespalten ist, warum versucht sie dann nicht, die Spaltung aufzuheben, um stärker und effektiver zu werden? Könnet man sich dort nicht erinnern, dass man einst die Werte von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit schuf?

Möglicherweise, weil die Spaltung herbeigeredet wird. Was zählen würde, wäre wirtschaftliche Stärke. Und die ersten Überlegungen wären wohl, wie man die Strukturen der Wirtschaft so weit modernisieren könnte, dass sie als Lokomotive des Fortschritts wirkt.

Es wäre gut, wenn in Europa (und nicht nur in Frankreich) alle hinter den Erfordernissen der Ökonomie stehen würden – mit Respekt vor der Natur, Gerechtigkeit beim Lohn, aber unter Verzicht auf einen romantisierenden Nationalismus.