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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Die liberalen Denker und die missionarischen Verfälscher

Menschen sind zweigeschlechtlich. Das ist die Wahrheit. Wahr ist aber auch, dass es Denkrichtungen gibt, die das anders sehen.

Nun ist es so: Schreiben wir Autoren von zwei Geschlechter, dann treten wir jenen auf die Füße, die „soziale Geschlechter“ für Realitäten und nicht für Denkmodelle halten. Sie stören sich also daran, dass wir ihre Denkrichtung nicht genügend berücksichtigen.

Sozial korrekt zu sein heißt das Denken zu begrenzen

Und nein, es geht mir nicht nur um dieses Thema – ich streite mich selten darüber, ob ein „anders Denken“ erfolgreicher ist als das eigene. Aber mir geht die überhebliche „soziale Korrektheit“ seit Langem auf den Keks. Heute glaubt jede und jeder, selbst korrekter, bewusster und ethisch besser ausgerichtet zu sein als alle anderen. Das wäre nicht so schlimm, wenn jene keine religionsähnliche Denkweise hätten, die sie wie einst die Missionare unters Volk bringen wollten. Und sie haben mit dieser Methode offenkundig Erfolg. Wir Autorinnen und Autoren haben die Schere schon im Kopf, wenn unsere Finger über die Tastatur huschen: Die Diktatur der Ideologen wirkt offenbar.

All dies ist mit dem liberalen Geist nicht vereinbart. Jeder darf denken, was er, will. Aber missionarisch Ideologien zu verbreiten und andere, damit auf die Knie zu zwingen, ist Willkür.

Woke

Um es mal klar und unmissverständlich zu sagen: Woke ist Slang. Selbstverständlich kann man Slang-Ausdrücke verwenden, aber man muss es nicht. Und das Wort heißt nicht mehr und nicht weniger als „Wachsam sein“. Klingt nur interessanter. Da kann man sich mal so herrlich als Elite fühlen, nicht wahr?

Und damit wären wir schon beim Thema. Mit „Woke“ oder „Wokeness“ kann man besserwisserische Subkulturen aufbauen. Zum Beispiel eine „Kultur für korrektes Verhalten“.

Dazu lese ich in der NZZ:

Wenn es um Wokeness geht, bewegen wir uns im Spannungsfeld zwischen den Forderungen einer medial sehr präsenten politischen Linken, den universitären Diskursen (und …) der politischen Theorie. Woke bedeutet da nicht mehr wie ursprünglich Aufmerksamkeit für rassistische Diskriminierung, sondern gilt als Index für richtige Sprache und korrektes Verhalten.

Mir geht diese vorgebliche „Korrektheit“ seit Langem auf den Keks. Wie können sich Menschen drauf versteifen, im Besitz der allein seligmachenden Wahrheit zu sein? Mich erinnert dies an die dunklen Zeiten des späten Mittelalters oder auch an neue Diktaturen.

Der liberale Geist verlangt danach, sich frei und ohne die Fesseln irgendeiner Ideologie zu äußern. Das nenne ich „wachsam sein“. Und mit dieser Wachsamkeit können wir jene entlarven, die mithilfe von elitären Ideologien die Freiheit der Gedanken beschränken wollen. Damit ist klar, was „Wachsamkeit“ wirklich bedeutet. Wer hingegen „Woke“ verwendet, plappert etwas nach, was in irgendwelchen Elfenbeintürmen ausgebrütet wurde.

Und das muss wirklich nicht sein.

Warum Sprachgendern Unsinn ist und in Wahrheit kein LGBT*-Thema

„Gender“ existiert überhaupt nur, weil Soziologen darauf bestehen. Ein „soziales Geschlecht“ mag ein theoretischer Forschungsgegenstand sein, aber es gibt keinen Beweis dafür, dass es existiert. Heißt im Klartext: keine Ideologie wäre, Soziologen forschen zu lassen, wie sich das Geschlecht des Menschen in sozialen Zusammenhängen verändert. Ideologie ist hingegen, mehrere „soziale Geschlechter“ als vorhanden anzunehmen. Offenbar geht es vielen Soziologen nicht im Mindesten darum, die Wahrheit zu erforschen als vielmehr darum, eine „neue Wahrheit“ zu erschaffen. Und ich bin mir ganz sicher, dass links-ideologische Gedanken dabei die entscheidende Rolle spielen.

Sprach-Unsinn und elitärer Machtanspruch

Den Sprach-Unsinn mit Gendersternchen und der damit verbundenen Gedöns-Sprache könnte man (auch frau und ja, auch ich) noch als Kindereien oder Modeerscheinung abtun. Und ja, ein „D“ bei Stellenangeboten hilft möglicherweise,
doch was ständig als gendern in die Welt geschleudert wird, ist ist der Machtanspruch auf die Sprache, der völlig vermessen ist.

Gendern und LGBT- nicht identisch, und nicht einmal sinnvoll

Ist Gendern nun ein Thema, das mit der sexuellen Präferenz zusammenhängt? Mit Sicherheit nicht. Der homosexuelle Mensch erwartet weiterhin die Anrede des biologischen Geschlechts. Bei Transpersonen mag dies anders sein. Aber sollten wir ausschließlich für sie zu „gendern“ beginnen? Und wollen sie das überhaupt?

Feministinnen lieben Gender-Sternchen - und nutzen damit niemandem

Nun weiß ich, wer in diesem Moment die Backen ausbläst: Links-Feministinnen, die glauben, dass Frauen durch das Gender-Sternchen oder den anderen Sprachunsinn aufgewertet würden. Nein, das werden sie nicht. Wer dringend einen guten Arzt sucht, dem ist wirklich piepegal, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt. Und „aufwerten“ können wir andere Menschen nur durch Respekt, nicht durch Gender-Lametta.

Respekt vor der Person - nicht vor dem Geschlecht

Was mich dazu bringt: Es dürfte an der Zeit sein, den Sanitäter, den Arzt, den Lehrer und den Polizisten wieder zur Person werden zu lassen. Das heißt, sie in ihrer Arbeit zu respektieren und nicht ständig anzugreifen. Und dabei ist es völlig gleichgültig, ob es sich um Frauen oder Männer handelt oder welchem Geschlecht sie sich ansonsten zuordnen würden.

Und nein - ich bin nicht „rechts“. Ich bin liberal, und ich verteidige das Recht auf eine eigene, unabhängige Meinung.

Würde, Tugend, Zurückhaltung als Waffen gegen den Liberalismus?

Der Angriff auf den Liberalismus kommt von ungewöhnlicher Seite: Die Journalisten und Autorin Louise Perry hat ein Buch geschrieben, dessen Klappentext klar aussagt, wer die Verlierer einer „zeitgenössischen, hypersexualisierten Kultur“ sind: Frauen, die gezwungen sind, die Exzesse männlicher Lust zu akzeptieren. Lesen sollten ihr Buch Frauen und Männer, die sich über die „abgeschmackten Denkweisen“ unserer „ultraliberalen“ Gesellschaft Sorgen machen.

„Ultraliberale Gesellschaft“? Ich muss lange suchen, um in Deutschland ein „ultraliberale Gesellschaft“ zu entdecken oder eine andere übertrieben freiheitliche Gesinnung. Übrigens ist interessant, was im Klappentext ihres Buches als Alternative zur freiheitlichen Gesinnung angeboten wird: Würde, Tugend und Zurückhaltung. Das klingt auf den ersten Blick natürlich sehr „edel“ – doch was passiert, wenn wir unsere Emotionen wieder zurückfahren? Kommen wir dann auf die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts zurück, in der genau diese Werte auf den Etiketten standen, während im Inneren durchaus häufig Willkür, Gewalt und Unterdrückung herrschten?

Ihr Buch: The Case Against the Sexual Revolution

Ostdeutsche und Demokratie

Heute titelte die Leipziger Volkszeitung, nur noch 39 Prozent der „Ostdeutschen“ seien mit der Demokratie zufrieden. Und Redakteur Markus Decker legt im Leitartikel noch eine Schippe drauf: „Westdeutsche müssen begreifen, dass ihre Dominanz ein Problem ist.“

So, so ... da muss jemand etwas begreifen - eine anonyme Masse, nämlich Westdeutsche. Die moralische Keule herausholen - Schuldige finden - das zieht immer.

Der Westdeutsche als Fremdling und ewiger Buhmann

Nein, ich spreche sogenannten „Westdeutsche“ nicht frei von Überheblichkeit. Aber in jeder Diskussion mit ebenfalls so genannten „Ostdeutschen“ fällt das Wort von westlicher Arroganz gegenüber ostdeutscher Gutherzigkeit. Mich erinnert das stark an meinen langjährigen Aufenthalt im Schwabenland. Da sind auch alle „brave Glasmännlein“, während der schreckliche Kaufmann mit dem „kalten Herzen“ aus dem Norden kommt. Solche Zuweisungen kennt jeder Norddeutsche, jeder Kaufmann, jeder Autor und mancher andere, der mit Innovationen in ein anderes Land oder eine andere Region kommt.

Demokratie lernen - ach, das geht auch?

Weil von der Demokratie die Rede ist: Der liberale Staat, der demokratische Staat und die Gesellschaftsordnung, die darin gewachsen ist - das sind die Themen, die in den Regionen, die sich so gerne mit dem Etikett „Ostdeutschland“ schmücken, noch nicht recht bewusst geworden ist. Ja, es kann stimmen, was der Ostbeauftragte sagt: „Demütigungserfahrungen der 1990-er Jahre sind immer noch Teile des Bewusstseins.“ Ich glaube, dass dieser Satz fällt, weil er einem ständig um die Ohren gehauen wird, wenn man als „Westdeutscher“ eingestuft wird. Aber: Wäre es dann nicht Zeit, am Bewusstsein zu arbeiten? Am demokratischen, liberalen und offen Verständnis für die Werte, die es zu verteidigen gilt? Wer steht denn ein für eine wehrhafte Demokratie, wer lehrt Demokratie?

Es gibt zu viele Fragen, und zu wenig Antworten. Und die Unzufriedenheit? Ist sie ein Argument, die eigenen Hände in den Schoss zu legen und über andere zu meckern?

Nein - ich erwarte gar keine Antwort. Mir reicht schon, wenn mehr Menschen nachdenken würden.

Zitat aus: LVZ, Printausgabe, Donnerstag, 29. September 2022.