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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Tugenfuror - 2021 in neuem Gewand?

Was war das doch noch für ein Aufschrei, als wegen des Aufschreis ausgerechnet Herr Gauck von einem „Tugendfuror“ sprach.

Der legendäre Vorfall und der "#aufschrei

Die Älteren werden sich noch erinnern: Anno 2013 gab es den legendären Vorfall zwischen einer Journalistin und Rainer Brüderle, bei dem dieser verbal übergriffig wurde. Daraufhin startete die Aktivistin Anne Wizorek sozusagen „aus dem Nichts heraus“ über Twitter ihr #aufschrei-Kampagne, auf der letztlich ihr Ruhm basiert. So gut wie alle Medien unterstützten diese Kampagne durch eigene Berichte, sodass Frau Wizorek auch außerhalb von „Twitter“ viel Beachtung fand.

Damals sagte also Herr Gauck (Zitat SPIEGEL):

Wenn so ein Tugendfuror herrscht, bin ich weniger moralisch, als man es von mir als ehemaligem Pfarrer vielleicht erwarten würde.

Was verständlich ist, denn ehemalige Pfarrer wissen zumindest, dass Menschen nicht perfekt sind und dass sie eben dann und wann einmal „sündigen“.

Aber was tat die voreingenommene Presse mit Wonne? Sie schrieb dazu Verrisse ohne Ende.

Kommt der Tugendfuror zurück?

Und nun? Wir befinden uns – acht Jahre nach dem „#Aufschrei“ mitten in einer Diskussion darüber, was gesagt und nicht gesagt werden darf. Die „Gutmenschen“ darf ich so nicht mehr nennen, denn falls ich es häufiger täte, wäre ich ein „Schlechtmensch“. Ich soll das „politisch korrekte Denken“ erlernen, obgleich ich mit Carolin Emcke durchaus der Meinung bin, dass „politische Korrektheit“ eine Beschränkung ist, der sich niemand unterwerfen sollte. Oder im Originalton:

Die Formel “Politisch korrekt” ist das Morsezeichen der Denkfaulen.

Ob dies nun zutrifft oder nicht: Niemand, der schreibt, sollte sich dem Diktat der Horden unterwerfen, die mit religionsähnlichen Parolen durchs Land ziehen. Denn sie erfrechen sich, jeden, den sie nicht mögen, als „Falschmeinend“ zu brandmarken. Vor allem die gegenwärtigen Diskussion um "#allesdichtmachen" beweist nachhaltig, wo wir stehen: am Ende der freien Meinungsäußerung.

Der liberale Standpunkt kommt fast nicht mehr vor

Ob es überhaupt noch einen liberalen Standpunkt geben darf? Jeder, der gegen Meinungsfreiheit polemisiert, sollte sich selbst fragen, was sie ihm wert ist.

Und lasst mich noch dies sagen: Erstaunlich viele Redakteure und Kolumnisten treten heutzutage nur noch dann für die Meinungsfreiheit ein, wenn sie den Ideologien entspricht, die sie im Kopf haben.

Beschwörungen und Versagen in der Pandemie

Die weiteren Aussichten ...
Das gegenwärtige Mantra heißt: Es ist wirklich schlimm, aber habt Geduld ... und vor allem: Nutzt nicht das rosarote Fernglas, sondern … ja, was denn eigentlich? Die grauen Novembertage? Das Abdriften die Depression? Oder gar Selbst-Geißelungen?

Richtig ist: Wir sollen damit aufhören, die Schuld zu suchen. Sie wechselt in der Bevölkerung wie in den Medien zwischen der forschen Kanzlerin, den mahnenden Ministerpräsidenten, der drängenden Wirtschaft und dem Volk, das die Nase voll hat von den ständigen Durchhalteparolen, die umso unglaubwürdiger werden, je öfter die Protagonisten vor die Fernsehkameras treten. Kommentatoren und Politiker ziehen hier durchaus am gleichen Strang: Ich sah und hörte gerade den Meinungsbeitrag von Bettina Schön, die für die ARD kommentierte.

Die Frage, die sich Frau Schön und alle anderen stellen sollten, die jetzt immer noch Appelle ans Volk richten, wäre nur eine einzige: Was ist so falsch daran, sich jetzt selbst eine Welt voller Hoffnung und Zuversicht, aber ohne Zeitlimit aufzubauen?

Gebetsmühlen mit versteckten Schuldzuweisungen

Das Problem bei den gebetsmühlenartig vorgetragenen Appellen ist ja nicht nur, das sie abnutzen, sondern dass in Ihnen dein Unterton mitschwingt. Denn jene, an die solche Appelle gerichtet sind, werden unterschwellig eben doch bezichtigt, „Schuld“ zu sein. Oder wenigstens an einer „Verschlechterung“ mitzuwirken - und falls das noch nicht reicht, zumindest daran, dass sich nichts “signifikant verbessert“.

Jeder Mensch braucht die Hoffnung auf die Zukunft - in ihr werden wir leben. Ich halte für extrem fahrlässig, die rosarote Brille ganz abzusetzen und stattdessen in grauen Wolken zu versinken - gerade im November.

Bliebe ein Nachtrag: Sehr auffällig ist, dass man den „braven Landeskindern“ noch vor 14 Tagen ein schöneres Weihnachten versprochen hat, nun aber von monatelanger Vergrauung redet. Wen wundert es eigentlich noch, wenn immer mehr Menschen das Vertrauen in die Gesundheitspolitik verlieren? Und was sollen wir von einer Regierung halten, die bei hoher See offenbar ohne Navigation durch dichten Nebel fährt?

Erhellend: DIE ZEIT.

Corona - die eigenartigen Ansichten über UNS

Was mag in die Journalistin Sabine Kinkartz und die Deutsche Welle gefahren sein, nun auch „in Gesinnungsappellen“ zu machen? (1)

Der Anfang ist so dramatisch, dass ich ihn hier einmal in (fast) voller Länge zitieren muss (2):

Viele Deutsche stecken den Kopf in den Sand. Sie wollen nicht wahrhaben, dass die Pandemie uns wieder eingeholt hat und die zweite Welle mit großer Wucht alles hinwegfegt, was in den vergangenen Monaten erreicht wurde. Sie tragen Masken, halten Abstand, lüften, waschen sich die Hände… “

Das klingt seltsam, nicht wahr? Wir machen alles richtig und denken falsch? Aus welcher Kiste der Erleuchtung wird denn so etwas geschöpft?

Wir müssen nicht lange suchen – es ist die Kanzlerin, die nun ins Rampenlicht gestellt wird (3).

Es geht nicht um ein Hygienekonzept für dieses Restaurant oder ein anderes, sondern um ein Konzept, mit dem 75 Prozent aller Kontakte reduziert werden können.


Man kann der Kanzlerin nicht verübeln, solche Sätze auszusprechen. Irgendjemand wird sie für sie aufgeschrieben haben. Doch bitte, muss man als Journalistin nun noch eines draufsetzen und schreiben (2):

75 Prozent! Diese Zahl muss ein Weckruf für alle sein. Auch und gerade für diejenigen, die den Ernst der Lage noch nicht wahrhaben wollen.

Und weil das Zitieren einer Zahl offenbar so viel Freude macht, wird gleich noch mal nachgelegt (2):

75 Prozent weniger Kontakte sind nicht zu erreichen, wenn nicht jeder Einzelne sein Verhalten überdenkt und gegebenenfalls ändert.

Woher werden solche Zahlen bezogen? Haben sie bestand? Und was bedeuten sie wirklich? Fasst euch mal bitte mal an die eigene Nase (ich weiß, das sollte man jetzt auch nicht tun) – aber wie reduzierst DU und DU und DU da drüben eigentlich deine Kontakte um 75 Prozent? Ich überlasse anderen darüber Glossen zu schreiben.

Fehlt da nicht etwas? Richtig – eine Regierung, die appelliert und irgendwie versucht, Aktionismus zu zeigen, um davon abzulenken, dass sie völlig unvorbereitet in die „zweite“ Welle hineingeschlittert ist – und noch heute fehlen zeitgerechte Konzepte für Gesundheitsämter. Und überhaupt – wäre man auch auf den „Worst Worst Case“ vorbereitet, falls die Maßnahmen nicht halten, was man sich davon verspricht? Stattdessen schreibt die Hauptstadtjournalistin (2),

„Würde die Politik dem Infektionsgeschehen tatenlos zuschauen, würde das deutsche Gesundheitssystem in 20 bis 30 Tagen kollabieren.“

Da läge doch nahe, mal nachzufragen: Und was wäre, wenn es dennoch zusammenbrechen würde vor lauter Appellen, Schwarze-Peter-Spielen und Planlosigkeit?

Als besonders infam empfinde ich allerdings, dass gleich zu Beginn des Artikels die Gutwilligen diskreditiert werden.

Und woran erinnert mich das alles? An bestimmte Herrscher und Feldherren, die vor der Schlacht zu ihren Soldaten sprechen, wohlwissend, dass es „Verluste“ gibt.

Apropos 75 Prozent - auch nicht sehr erhellend (4):

Die renommiertesten Expertinnen und Experten bestätigen, dass das Virus von Kontakten lebt und wir daher persönliche Kontakte um 75 Prozent reduzieren müssen.

Ach du liebes bisschen – klar leben Viren von Kontakten, bestreitet das etwa jemand?

(1) Mir ist bewusst, dass es ich um einen Meinungsbeitrag handelt, aber er steht an exponierter Stelle im Online-Auftritt der Deutschen Welle)
(2) Deutsche Welle - Kommentar der Journalistin.
(3) Kanzlerin, aus dem vorgenannten Artikel zitiert.
(4) Baden-Württemberg - Service.

Ist Journalismus wirklich zuverlässig?

Journalismus ist nur noch bedingt zuverlässig - aber das wissen nur Menschen, die sich häufig mit Nachrichten beschäftigen. Wer täglich einige Dutzend Nachrichten durchforstet, merkt bald, worin die Mängel liegen: Man übernimmt beispielsweise ungeprüft Artikel aus der Wissenschaft, oder man konzentriert sich auf wenige Quellen, von denen man annimmt, sie seien „seriös“. Zudem bevorzugt man Verlautbarungen bekannter Persönlichkeiten oder ebensolcher Politiker, auch wenn ihre Kompetenz zweifelhaft ist. Dabei begibt man sich gerne auf das Territorium, in dem sich der Bürger vermeintlich auskennt: in den Mainstream. Aus alldem entsteht eine gewisse, meist ungewollte Einseitigkeit und Oberflächlichkeit.

Der Journalismusforscher Florian Zollmann nennt folgende Gründe (1):

Kommerzieller Druck, Nachrichtenwerte, Redaktionsverschlankungen, Personalmangel, Eigentumsstrukturen oder organisationsbedingte Zwänge.

Das führt nun dazu, dass man sich auf leicht zugängliche und bisweilen geschwätzige Quellen verlässt, beispielsweise solche aus Politik, Wirtschaft, Organisationen, Interessengruppen oder Wissenschaften. Was innerhalb der Gesellschaft – sei es fälschlich oder berechtigt – tatsächlich gedacht wird, versinkt in einer Flut von Informationen, die im Grunde genommen Datenmüll sind. Die Abwägungen bei wichtigen Themen – wie auch die nötigen Hintergrundinformationen – findet man heute eher bei der BBC als in unseren deutschen Elite-Blättern.

Es gibt keine „Lügenpresse“

Das alles hat nichts mit „Lügenpresse“ zu tun. Gäbe es eine Lügenpresse, so würde sie zentral von der Politik gelenkt beziehungsweise nachhaltig beeinflusst – oder sie müsste extrem unlautere Motive haben, was man vom deutschen Journalismus nun wahrhaftig nicht behaupten kann.

Fehlende Bildung bei älteren Mitbürgern

Die Mehrheit der älteren Deutschen in Ost und West hat keine Ahnung, wie die Presse wirklich funktioniert oder wie sie sich in den letzten 25 Jahren gewandelt hat. Das führt dazu, dass man besonders den älteren Mitbürgern jeden Unsinn über die Presse auf die Nase binden kann. Wer zudem keine überregionalen Zeitungen liest, keinen Zugang zu deutschsprachigen Auslandszeitungen findet oder wer kein Englisch versteht, ist ohnehin kaum noch in der Lage, die Bedeutung der im regionalen Bereich verbreiteten Nachrichten zu ermessen.

Insgesamt ist es eine Kombination aus Einseitigkeit, fehlender Schulbildung und Fehlleitung durch Scharfmacher, wenn Menschen glauben, es gäbe eine Lügenpresse.

Könnte man etwas ändern?

Anderseits sollte sich unsere Presse wirklich einmal überlegen, ob sie das elitäre Gehabe, insbesondere in den Kommentaren und Feuilletons aufrechterhalten will. Und ob sie wirklich ständig aus den Quellen schöpfen muss, die sich ständig andienen. Denn im Grunde ist Journalismus in Deutschland zuverlässig – und die freie Presse ist und bleibt die beste Garantie für eine demokratische Gesellschaftsordnung.

(1) In der LVZ vom 24. Juli 2019.

Was ist eigentlich los mit diesem "Bremer" und seinen "50 Frauen"?

Angeblich hat ein „Bremer“ bei Tinder über 50 Frauen angeschrieben und musste sich dann bei „Jodel“ anhören, was für eine Pflaume er ist.

Was steht dahinter? Eine Mitteilung des „Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerks. Sie steuert vor allem drei Sätze bei (Zitat):

• Bei Tinder schreibt ein Mann aus Bremen mit über 50 Frauen.
• Das Ergebnis der Partnersuche auf dem Dating-Portal verblüfft.
• Jetzt sucht der Tinder-Nutzer aus Bremen dringend Hilfe bei Jodel.


Mal der Reihe nach: Ob es den „Mann aus Bremen“ wirklich gibt, und ob er sich „mit 50 Frauen geschrieben hat“, ist unsicher. Die Redakteure „wissen“ es nur aus den Eigenaussagen, die dieser auf dem Ratgeberportal „Jodel“ veröffentlicht hat. Der Name Jodel erscheint im Artikel 15 Mal – also viel zu oft für einen Artikel mit ca. 770 Wörtern.

Auf „Tinder“ Bezug zu nehmen, erweist sich immer als publikumswirksam. Der Name der populären Dating-App erscheint insgesamt 21 Mal – diese Häufung eines Markennamens ist ebenfalls ist ausgesprochen merkwürdig.

Sich „mit 50 Frauen zu schreiben“ klingt viel – wir wissen aber nicht so genau, was er jeder der 50 Frauen schrieb. Jedenfalls hatte er keinen Dating-Erfolg damit. Das ist bei einem Großteil der männlichen Tinder-Nutzer nicht ungewöhnlich – und ist schon gar nicht „verblüffend“. Schließlich „sucht der Mann Hilfe“. Und was macht er? Jodelt seinen Misserfolg in die Welt hinaus – bei Jodel. Dabei handelt es sich sich um ein sogenanntes „Soziales Netzwerk“, das nur als App existiert.

Warum braucht er eigentlich „dringend“ Hilfe? Kann er nicht einfach hinnehmen, dass Tinder sich für ihn nicht eignet? Und warum sucht er Hilfe bei „Jodel“? Kann er nicht einen Kumpel fragen, wie er vorgehen soll? Hat er kein Umfeld, in dem man so allgemeine Fragen stellen kann?

Kann er offenbar nicht. Er wird, wie auf Foren oder Netzwerken ja nun mal nicht unüblich, beleidigt und diffamiert. Damit hätte er rechnen müssen.

Ich denke mir da so meinen Teil.

Übrigens muss ich gestehen, dass ich „Jodel“ zuvor nicht kannte. Und ich will es auch nicht kennenlernen.