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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Der Übergriff der Pseudo-Eliten auf die Sprache

Besserwisser Humpty Dumpty: Symbolfigur für falsche Eliten
Zur Freiheit gehört das Recht auf Selbstdefinition. Dieses Recht wird immer mehr missachtet, und zwar vorrangig von Pseudo-Eliten aus dem Bereich der Geisteswissenschaften.

Der Mathematiker Charles Dodgson hat einen Dialog geprägt, den diese falschen Eliten ungern höre. Beteiligt ist die Kinderreim-Figur Humpty Dumpty als Vertreter falscher und vor Arroganz triefender Schein-Eliten auf der einen Seite und die junge, kritische Wahrheitssucherin Alice (1):

HD: „When I use a word, it means just what I choose it to mean … neither more nor less.”
Alice: “The question is …, whether you can make a word mean so different things.”
HD: “The Question is … which is to be Master. That’s all.”


Es gibt zahlreiche deutsche Übersetzungen, hier unsere:

HD: „Wenn ich ein Wort gebrauche … lege ich fest, was es bedeutet - nicht mehr und nicht weniger.“
Alice: „Die Frage ist … ob Sie den Wörtern so viel unterschiedliche Bedeutungen zuweisen können.“
„Die Frage ist, wer die Macht hat - das ist alles.“


Im Beispiel will eine falsche Autorität also einem Wort eine Bedeutung zuweisen, dessen Unsinn im Prinzip ein Kind beweisen könnte. Die selbst ernannte Autorität setzt aber durch, wie etwas zu benennen ist. Dieses Recht steht ihr nun in einer liberalen Gesellschaft keinesfalls zu – es ist die bloße Anmaßung.

Wozu ich aufrufe, ist nicht, die Psychologie, Soziologie und einige andere, ähnliche Wissenschaften abzuwerten, sondern sie kritisch zu hinterfragen und ihre Begriffe so weit möglich zu vermeiden.

Wir können durchaus andere, neutralere Begriffe verwenden und vor allem solche einer einfachen Sprache. Sie entsteht automatisch, wenn wir etwas sorgfältig beschreiben, statt es zu etikettieren.

Und mit diesem Gedanken zum Wochenende lasse ich euch heute allein.

(1) Quelle: "The Complete Illustrated Works of Lewis Caroll", London 1982
Foto: Schachfigur aus einem Alice-Schachspiel

Reicht die Psychologie, um Persönlichkeiten zu bewerten?

Die Psychologie hinkt der Realität um Jahrzehnte nach. Besonders deutlich wird dies in der Beurteilung der menschlichen Persönlichkeit. Das Problem ist: sie fühlt sich als einzige Wissenschaft dafür zuständig, obgleich sie nur einen Teil der Persönlichkeit erfasst und noch weniger davon klassifiziert.

Die Theorie - mehr als 100 Jahre alt

Es geht um die „Einordnungen“ der Menschen anhand von Persönlichkeitsmerkmalen, aber auch um die Zuweisung dieser Merkmale. In der modernen Psychologie hat Carl Gustav Jung vor mehr als 100 Jahren dazu eine Idee gehabt. Er wollte klare Kategorien schaffen, um die Eigenschaften der Persönlichkeit einzuordnen, gegebenenfalls zu katalogisieren und damit Vergleiche zu ermöglichen.

Die Auffrischung aus kommerziellen Gründen

Viele Jahre später – der Zweite Weltkrieg lag noch nicht lange zurück – gingen zwei Frauen zu Werk, um eine kommerziell nutzbare Persönlichkeitseinstufung zu finden: Frau Myers und Frau Briggs. Das gelang ihnen aus zwei Gründen: Erstens war das System furchtbar simpel, weil im Anschuss ein „Etikett“ aus vier Buchstaben vergeben wurde und zum anderen hatte es den Psycho-Touch des legendären Herrn Jung.

Ich stelle die Frage gar nicht erst, warum man bis 1948 kein solches System benötigte. Waren die Personalchefs plötzlich alle hirnlos? Fehlte ihnen eine der Hauptfähigkeiten für diesen Beruf, nämlich Menschen zu beurteilen? Oder war es ihnen unmöglich, Frauen (um die es angeblich ging) objektiv einzustufen?

Das System der beiden Frauen, das später als „Myers-Briggs-Typenindikator“ bekannt wurde, hat ein zähes Leben. Noch heute definieren sich viele US-Amerikaner über diese vier Buchstaben, statt „in sich zu gehen“ und ihre wahre Persönlichkeit zu erfahren. Denn wie wir das eigene Leben und das Zusammenleben erfahren, beruht nur zum Teil auf „psychologisch nachvollziehbaren“ Aspekten.

Das neue System - das Verhalten in Worte gefasst und bemessen

Eine relativ schwere Geburt hatte das Nachfolgesystem, das heute als „Vier-Faktoren-Modell“ bekannt ist, oder einfach als „Big Five“. Es wird in Wikipedia als „Standardmodell der Persönlichkeitsforschung“ betrachtet, was etwas kühn klingt. Denn in Wahrheit geht die Persönlichkeit über das Beschreibbare hinaus und berührt auch Aspekte, die von der Psychologie nicht behandelt werden.

Das System beruht im Wesentlichen darauf, dass die Persönlichkeitsmerkmale an Begriffe gebunden sind („Lexikalischer Ansatz“) und diese durch lange Traditionen an entsprechende Wörter gebunden sind. Man nimmt also an, dass bestimmte Eigenschaftswörter für alltägliche Verhaltensweisen tatsächlich an die Eigenschaften der Persönlichkeit gebunden sind und dass sich in diesem Bereich nichts oder allenfalls wenig verändert.

Das Modell wurde 1961 geschaffen, kam aber erst rund 20 Jahre später zum Einsatz. Seine Blütezeit begann gegen 1990. Seither ist es, zumindest unter Psychologen, als nahezu unumstößlicher und verbindlicher Standard, an dem wenig oder gar keine Kritik geübt wird.

Das gilt zumal für Deutschland. Wer sich ausführlich für die „Big Five“ interessiert, sollte gleich ins englische Wikipedia gehen, das meiner Meinung nach sinnvoller mit dem Thema umgeht als das die deutsche Version.

Die Persönlichkeit ist mehr als es die "Big Five" sind

Die „Big Five“ werden bis heute kommerziell vor allem im Bereich der HR (Personalwesen) genutzt. Ich selbst habe mich im Rahmen der Partnersuche mit dem Thema beschäftigt, für das man dieses System zumindest angeblich auch verwendet. Allerdings ist die Zuverlässigkeit hier deutlich geringer, weil Arbeitgeber den passenden Bewerber für „den Job“ suchen und nicht dafür, ein Leben gemeinsam miteinander zu verbringen.

Um die eigene Persönlichkeit einzuordnen, nützt kein System wirklich etwas. Hier hilft nur, sich selbst im Alltag zu beobachten und die nötigen Erfahrungen zu sammeln.

Ich bin auch deshalb kritisch gegenüber den „Big Five“ eingestellt, weil wir heute ganz andere Begriffe für das Verhalten benutzen als 1948, 1961 oder 1980. Die Gefühle und die Verhaltensweisen werden heute nicht nur anders benannt, sondern wir stellen mehr und mehr fest, dass sie auf keinen Fall ausreichen, um die Wirkung der Persönlichkeit angemessen zu beschreiben.

Aus vielen Quellen die Beste: Englisches Wikipedia.