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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Das Unterbewusste

Keine Frage - als ein gewisser Herr Freud uns gesagt hat, dass unser Denken und Handeln nicht vom Verstand allein gesteuert wird, brach eine mühsame Konstruktion des Menschseins zusammen. Sie wurden in einen Zusammenhang mit Kopernikus und Darwin gestellt, weil sie die dritte menschliche Illusion raubte. Die Erde ist nicht der Mittelpunkt des Universums, der Mensch ist keine eigenständige Schöpfung und unser Denken kann nicht alle Handlungen erklären.

Der Geburtsfehler einer Theorie

Die Sache hat allerdings einen Geburtsfehler: „Das Unbewusste“ drückt aus, dass dieser Zustand wirklich existiert, das heißt, dass er irgendwie „fassbar ist“. Zudem verlockt der Begriff dazu, das Unterbewusstsein „woanders“ zu verorten als in unserem Gehirn. Dies zeigt sich vor allem daran, dass wie nicht von „unterbewussten Anteilen“ oder „unterbewussten Beeinflussungen“ sprechen, sondern oftmals von „dem Unterbewusstsein“.

Die Fangemeinde des Herrn Freud

Das wäre noch erträglich, wenn dieser Begriff nicht von einer begeisterten Fangemeinde aufgegriffen worden wäre. Nachdem sie sich zu Experten aufgeschwungen hatten, ließen sie ihre Erklär-Bärinnen und Erklär-Bären los, um die Welt zu belehren. Dabei wurde behauptet, unser Dasein (unsere Kommunikation, unser Handeln) würde nur zu zehn bis 20 Prozent vom „sichtbaren Bewusstsein“ bestimmt, aber zum „größten Teil“ von unserem „Unbewussten“.

Was charmant klingt, muss nicht wahr sein

Das kling charmant, vor allem für Esoteriker. Doch die Zuordnungen sind rein willkürlich und stimmen auch theoretisch nur dann, wenn man Freud‘schen Definitionen folgt. Demnach wird das „Es“ unter der Oberfläche vermutet, während das Über-Ich teils oberhalb, teils unterhalb der Bewusstseinsebene herumspukt. Das bewusste “Ich“ ist demnach immer erkennbar, zumindest im Handel.

Die Evolution als Schlüssel für die Wahrheit

Wer die Sache von der menschlichen Evolution aus betrachtet, wird das Modell eher belächeln. Warum sollten uns unsere vitalen Impulse bewusst werden? Sie laufen „automatisch im Hintergrund“ ab, und es ist unser Primaten-Erbe. Selbstverständlich überprüft unser Verstand oftmals, ob es solche Impulse „durchlassen“ soll. Das gilt vor allem für Impulse wie die Gewalt oder die Lust an der Fortpflanzung. Wir lernen im Grunde in unserem ganzen Leben, welche Impulse wir zulassen sollen, dürfen und müssen und welche nicht. Und wir machen dann und wann Fehler dabei. Rechtfertigt dies die Theorien der Freud-Populisten? Müssen wir „Bewusstes“ und „Unbewusstes“ wirklich separieren? Und benötigen wir solche unscharfen Begriffe wie „das Vorbewusste“? Ist die „innere Kommunikation“ nicht viel mehr ein dynamischer Prozess, der nur dann bedeutsam wird, wenn er lebensentscheidend ist?

In einem älteren Werk über das Gehirn heißt es sinngemäß: Je mehr Antworten wir finden, umso mehr Fragen werfen wir auf. Das ist gut und richtig, weil wir später dann ein genaueres Bild bekommen.

Auf ins 21. Jahrhundert!

Indessen: Wenn wir uns an die Freud‘sche Theorie klammern, dann bleiben wir im späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert stecken. Und wenn ich sehe, wie oft das „Eisberg-Modell“ heute kommerziell genutzt wird, dann beginne ich, auch am Inhalt er übrigen Aussagen zu zweifeln. Was muss ich eigentlich von Menschen halten, die mit den Mitteln des späten 19. Jahrhunderts Erfolge im 21. Jahrhundert versprechen?

Fetisch Persönlichkeit

Fetisch, Fassade, Persönlichkeit?
Ein Fetisch ist im Grunde etwas, dem magische Kräfte zugeschrieben werden. Es kann er auch ein Götzenbild des Daseins beinhalten.

Die Persönlichkeit ist einer der populärsten Fetische der modernen Gesellschaft - kein Wunder also, dass sich Psychologen und Scharlatane gleichermaßen damit beschäftigen. Zudem haben viele Geschäftemacher entdeckt, dass mit „Persönlichkeitsbildung“ das große Geschäft zu machen ist. Wer im Internet sucht, kommt sich vor wie auf der „Pararade“ einer Schaubude. Da werden durch die Ausrufer enorme Versprechungen gemacht. (1) Beispielsweise, dass die geheimnisvolle Dame, die ihre Schönheit noch hinter einer Tüllgardine verbirgt, im Inneren alles fallen lassen wird und dann in paradiesischer Schönheit zu besichtigen ist. Real betrachtet und auf die Persönlichkeit bezogen: Wer seine eigene Persönlichkeit wirklich verstehen oder gar verändern will, braucht viel Zeit, Geduld und Umsicht. Und ob das Unterfangen lohnend ist, weiß niemand so recht.

So weit zum „Fetisch Persönlichkeit“ und dem Jahrmarkt, auf dem diese Attraktionen zur Schau gestellt wird.

Vom Jahrmarkt zur Realität des Alltags - was ist "Persönlichkeit"?

Fragt sich, was denn nun die „Persönlichkeit“ ist - und dafür gibt es folgende zuverlässige Quelle (2):

Persönlichkeit ist die Gesamtheit aller überdauernden individuellen Besonderheiten im Erleben und Verhalten eines Menschen.
Falls ihr jetzt sagt „ach so … “ dann denkt ihr genau das, was die meisten denken. Sie vermuten viel zu viel hinter dem Wort, denn die Summe der „Persönlichkeitsmerkmale“ ersetzt heute das früher gebrauchte Wort „Charakter“.

Um eben diesen Charakter, also die Beurteilung und Auswirkung von Persönlichkeitseigenschaften geht es, wenn wir aus den vielfältigen Persönlichkeitseigenschaften einige herausgreifen, die für „relevant“ gehalten werden. Je nachdem, wer sie für relevant hält, werden sie anschließend zu Gruppen zusammengefasst und „etikettiert“. Oder, noch mal mit der klassischen Definition (2):

Neben dieser funktionsorientierten Klassifikation gibt es empirisch begründete Klassifikationen nach Ähnlichkeit der Verwendung von Eigenschaftsbegriffen im Alltag.

Begonnen hat alles mit dem Berühmten, gleichwohl ebenso umstrittenen Carl Gustav Jung. In den USA ist nach wie vor der Myers-Briggs-Test populär, der eine ähnliche Basis hat. Über ihn definieren sich heute noch viele Personen. Vier Buchstaben, und du weißt, wozu die Person taugt - jedenfalls nach Meinung der Anhänger dieser Theorie. In manchen westlichen Ländern glaubt man, das Fünffaktoren-Modell sei der Schlüssel zur Persönlichkeit. Dies ist allerdings hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass „die Persönlichkeit“ bei all diesen Modellen auf bestimmte Eigenschaften reduziert wird, unabhängig davon, ob sie eine tatsächliche, weitreichende Bedeutung haben. Die Kritik wird allerdings weitgehend vernachlässigt, damit das Gedankengebäude, was darüber errichtet wurde, nicht zusammenfällt. Konkret geht es um den „lexikalischen Ansatz“, also die Annahme, dass Begriffe zu Fakten werden und damit nicht mehr infrage gestellt werden dürfen.

Was müssen wir nun mitnehmen von der „Persönlichkeit“?

Zunächst einmal, dass nur wir selbst genau wissen können, was uns ausmacht, den wir sind die einig zuständige Instanz. Dabei können wir irren - der Psychologe redet ja von Unterschieden im Selbst- und Fremdbild. Auch solche Aussagen sind allerdings mit Vorsicht zu behandeln. Sogenannte „facettenreiche“ Persönlichkeiten lassen sich nur schwer einordnen, und das moderne Leben fordert uns mehrere Rollen ab, die wir alle „in Person“ spielen.

Wenn dies gesagt ist, fehlt noch ein Satz: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Persönlichkeit wird von unserer Umgebung als Ganzes wahrgenommen und nicht anhand der Bestandteile zerpflückt. Und weil dies so ist, sollten wir uns wenig Gedanken um unsere Persönlichkeit machen, sondern versuchen, mit ihr zu leben.

(1) Praxis der Schaubude.
(2) Dorsch.
Bild: Liebesverlag-Archiv, Schaubühne auf einem Volksfest, nachkoloriert.

Dienen und Knicksen

Mädchen machen einen Knicks, wenn sie Erwachsene begrüßen, Jungen machen einen Diener. So wusste es die vom Bürgertum durchseelte Großmutter, und sie bestand darauf, dass ihre Enkelin und ihr Enkel solche Rituale aufführten. Man sagte dazu „zeremonielle Höflichkeitsetikette“, und sie war erstaunlicherweise vor allem in jenem Teil des Bürgertums verbreitet, der sich vornehmer gab, als er war: Untere Mittelschicht, kleine Angestellte und Beamte.

Klammern an längst vergangene Bürgerherrlichkeit

Die sogenannte „Nachkriegszeit“ war eine Periode, die sich an die Gebräuche klammerte, die vor der Nazizeit galten, und denen man im Innersten von der Jugend bis ins Alter anhing. Daran hatte niemand etwas geändert, denn das Bürgertum versuchte nach wie vor, den Adel nachzuahmen. „Du musst nach oben schauen“, sagte die Großmutter, doch „oben“ herrschte eher die übliche Doppel- und Unmoral jener Jahre. Und die Menschen, zu denen ich aufblickte, waren eher Musiker, Kaufleute, Redakteure und derjenige Teil der jungen Generation der 1960er, die ganz bewusst „anders leben“ wollten.

Der "neue" Knigge

Dieser Tag liest man wieder von Menschen, die eine Art „Knigge“ zurückwollen, wobei der Herr Knigge mit dem Knigge nicht viel zu tun hatte. Das, was sie wirklich wollen, sind eigentlich: „Verlässliche Verhaltensweisen“. Das ist einerseits verständlich, andererseits aber auch nicht: Im Verhältnis zwischen den Geschlechtern, aber auch in anderen Situationen des Alltags, wird das Verhalten heutzutage verhandelt - das sehen viele nicht ein.

Nostalgie der Sprache und des Seins - der Gentleman

Und so verlangen Frauen von Männern nach wie vor, sie sollten sich wie Gentlemen verhalten, ob wohl sie keine „Gentlemen“ kennen. Würden sie sagen, er solle sich „chevaleresk“ verhalten, würden alle loslachen, also nehmen sie ein gebräuchliches gleichwohl ebenso unsinniges Wort in den Mund. Allein dies zeugt davon, nicht in der Zeit zu leben, sondern weiterhin in einer Scheinwelt zu hausen.

Niemand verlangt von einer Frau, sich wie eine Lady zu verhalten, oder eben „ladylike“ wie man sonst auch sagt, und die „große Dame“ ist auch nicht mehr gefragt.

Was „geht und was nicht geht“ - heute sollte es verhandelt werden, sobald mehrere akzeptable Wege offenstehen, miteinander umzugehen.

Ja, und was ist aus den überzeugt dienernden und knicksenden Kindern der frühen 1960er geworden? Dienernde und knicksende Untertanen? Bewunderer von Stars und Prominenten? Speichellecker und Ja-Sager? Neider und Hasser? Moralisten und Erbsenzähler?