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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Pfötchen geben

Gestern war ich erstmalig nach Beginn der der „Krise“ bei einem kleinen gesellschaftlichen Anlass. Ich musste tatsächlich gelegentlich betonen, dass ich gegenwärtig nicht „Pfötchen gebe“, wenn mir die Grußhand entgegengestreckt wurde.

Mit liegt ohnehin fern, den Händedruck „echter Männer“ mit Riesenpranken zu genießen, und das säuselnde Wangenberühren der zarten Damen befremdet mich inzwischen auch.

Wikipedia, Quora, Wahrheit und Versagen

Heute habe ich versucht, eine Quara-Anfrage über den Begriff des Versagens zu beantworten. Ich war etwas überrascht, dass einer der Kollegen behauptete, „alles, was es dazu zu sagen gäbe“ stünde bei Wikipedia.

Das erweist sich meist als Trugschluss. Wikipedia ist ohnehin keine gültige Quelle für Begriffe, sondern es handelt sich um ein Lexikon, das auf Expertenmeinungen zu Sachgebieten beruht. Doch was in vielen Fällen hilfreich ist, erweist sich hier als Achillesferse.

Zudem hat Wikipedia selbst entdeckt, dass der Artikel etwas eigenartig ist. Das liegt einerseits daran, dass „Versagen“ ein Wort mit mehrfacher Bedeutung ist - andererseits aber auch daran, dass von Wikipedia-Autoren eine übertriebene „Reinheit“ der Wissenschaft verlangt wird. Heißt konkret: Man will perfekt sein und formuliert dann diesen kritischen Satz:

(Der Artikel sollte ...) Komponenten des Misserfolgs und des Scheiterns sowie deren Ursachen und Auswirkungen berücksichtigen. Es fehlen völlig die psychologischen und pädagogischen Aspekte.


Unscharfe Begriffe bleiben unscharf

Schon haben wir das Problem erkannt: Um ein Wort zu erklären, benötigen wir weder Soziologen noch Psychologen oder Pädagogen. Und wenn wir einmal damit anfangen, ein Wort wie „Versagen“ durch Psychologen analysieren zu lassen, dann verlassen wir völlig festen Boden und begeben uns ins Reich der Spekulationen. Das ist leicht zu beweisen, weil wird für alles, was „Versagen“ oder „Scheitern“ ausmacht, müssen wir zunächst wissen, was Erfolge sind. Und schon sind wir mitten drin: Erfolg ist ein ebenso vielschichtiger wie schwammiger Begriff.

Was ist nun „Versagen“? Den meisten Flachdenkern fällt sofort ein, dass es ein Synonym für Scheitern ist - „er ist an einer Aufgabe gescheitert, also versagte er.“

Wer Journalist oder Schriftsteller ist, weiß, dass „versagen“ eigentlich etwas anders bedeutet. Wer sich etwas „versagt“, der verbietet sich etwas. Wer einem andern also etwas versagt, der gebietet ihm, etwas nicht zu tun oder er ist nicht bereit, für ihn einen Dienst auszuführen.

Die großen Versager - Stoff für hübsche Spekulationen

Gut, da wäre noch das Substantiv: „Das Versagen“. Wer gleich die großen Brocken aufnehmen will, der mag sich am Versagen eines Volkes, einer Gesellschaftsordnung oder an einer Regierungsform versuchen. Darüber kann man wild Spekulieren und dann dicke Bücher schreiben.

Die Ehe versagt - oder war es das Rechtschreibprogramm?

Wenn wir es ein paar Nummern kleiner sein darf, aber immer noch spekulativ, dann darf man sich nächtelang damit beschäftigen, warum man als Ehefrau oder Ehemann versagte, warum also beispielsweise die Ehe scheiterte. Abgesehen vom beklagenswerten aktuellen Zustand finden wir darin eine hübsche Spielweise für Spekulationen.

Ich hab’s noch eine Nummer kleiner: Meine teure Korrekturfunktion versagt gelegentlich. Und dann findet jemand einen Grammatikfehler, wie schrecklich!

Der Schrecken alle Schrecken: das persönliche Versagen

Wer ein Projekt, das man ihm zugetraut hat oder das er sich selbst zugetraut hat, nicht ins Ziel führen kann, der hat es nicht geschafft. Schade - und manchmal teuer. Ob es sich dabei um ein „Versagen“ handelt und wessen „Versagen“ es war, steht noch nicht fest - doch der Projektleiter steht nun als Versager da.

Wahrscheinlich ist diese Person kein Versager, und möglicherweise sind nicht einmal Indizien für das Versagen vorhanden. Und dennoch sieht ihn seine Umgebung so. Im schlimmsten Fall wird er geächtet, verliert seinen Job, soziales Ansehen oder Geld.

Keine Versagenskultur? Schade eigentlich!

Ich rede mal Tacheles: Warum ist unsere Kultur so entsetzlich dumm, das Versagen zu brandmarken, zumal, wenn alles mit „rechten Dingen“ zugegangen ist? Warum haben wir keine „Kultur das Versagens“? Und die Steinewerfer, die jederzeit bereitstehen, den Versager sozial zu steinigen, haben die nicht auch schon dutzendfach versagt?

Gut - ich versage mir, Fakten von jenen einzufordern, die ihre Fachmannschaft für das Versagen mit psychologischen Mitteln beweisen wollen. Und ich gestehe, nicht viel von sportiven Wettkämpfen zu verstehen. Und doch habe ich oftmals gehört, dass man dort nicht versagt hat, wenn man „nur“ unter den ersten Zehn der Weltrangliste steht.