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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Der Samenkoller

Hoffen, ohne Koller durchs die Pandemie zu kommen?

Kennst du das Wort noch? Es wurde noch in den 1960er Jahren benutzt, wenn es dem jungen Mann nicht gelang, seine sexuellen Begierden zu zügeln, denn die Erfüllung war ihm weitgehend versagt. Eine seriöse Freundin tat „es“ nicht, und selbst Hand anzulegen, war nicht nur „unmännlich“, sondern eine Schade, eine Sünde und noch viel mehr.

Mit den Jahren wurde aus dem Samenkoller der Samenstau, was etwas höflicher klingt. Weniger höflich sagte der Volksmund dann „dicke Eier“ – und dazu und bezog sich auf ein Anschwellen der Hoden, das dem Mann in solchen Situationen wohl dann und wann widerfuhr. Merkwürdigerweise finden sich dazu in den geschwätzigen Frauenzeitschriften immer noch Artikel. Den Mann zu verstehen, bedeutet, seine Hoden zu verstehen.

Die Herkunft des Samenkollers

Nachdem der „Samenkoller“, bei Bildungsbürgern auch „Triebstau“ genannt, über viele Jahrzehnte dem männlichen Geschlecht zugeordnet wurde, lohnt sich ein Blick in ältere Werke, um die Wahrheit herauszufinden.
Wir entdecken, dass der Koller aus der Tierheilkunde stammt und dort einstmals etliche Arten von Verwirrungszuständen bei Tieren beschrieb, namentlich diese:

Rasender Koller, Schlafkoller, Lauschkoller, Schiebekoller, Magenkoller, Samenkoller und Mutterkoller.
Wir erkennen, dass der Koller offenbar eine Art wütiger Wahn ist, und kommen zu der Vermutung, dass eben jener Samenkoller mit dem Geschlechtstrieb in Verbindung steht. Nur, welches Geschlecht wurde bevorzugt davon befallen?

Das aufgestaute sexuelle Verlangen des Mannes

Lesen wir zuerst im heiligen Gral der deutschen Sprache nach, im DUDEN, so erfahren wir: Dieser Koller entstehe beim Mannaufgrund aufgestauten sexuellen Verlangens.“

Also das männliche Geschlecht – dauergeil, Schaum vor dem Mund, feuchte Hände, notirischer Voyeurismus, ständig bereit, die Hose herunterzuziehen.

Gehen wir mal zurück zum Tierreich und betrachten wir das Nutzvieh.

Das weibliche Nutztier und sein Samenkoller

Wenn wir das tun, gehen uns die Augen über, denn wir erfahren, dass der „Samenkoller der Rinder“ vor allem die Kühe befällt. Jener entwickelt sich (Zitat),

wenn gesunde Tiere zu den gewöhnlichen Jahreszeiten brünstig werden und dabei nicht zur Mutterschaft gelangen.
Doch nicht ausschließlich die Kuh brüllt vor Entbehrung – auch Stuten würden „häufig anhaltend rossig, wenn sie nicht befruchtet würde.“ Und noch einmal lesen wir: Der Samenkoller bezeichne den „unruhigen Zustand der rossigen Stuten.“

Von „notgeil“ bis „untervögelt“

Menschenfrauen sollte ich besser nicht als „rossige Stuten“ bezeichnen, das würde einen Shitstorm auslösen. Aber auffällig ist, dass Begriffe wie „notgeil“ oder „untervögelt“ durchaus in der Literatur vorkommen. Und zumindest die wirklich gebildeten unter uns wissen, dass wir nüchtern betrachtet selbst zu den Säugetieren gehören.

Das Tier in dir und die Corona-Pandemie

Ich könnte nun einen Blick in die „einschlägige“ Presse werfen also in Frauenzeitschriften und jenen Tagesgazetten, die notorisch offen oder verdeckt für Online-Dating werben. Was würde ich sehen?

Der Samenkoller wird nicht ausdrücklich erwähnt, er wäre ja ehrverletzend. Stattdessen wird vom Leid der Einsamkeit gesprochen, den Möglichkeiten, „in den Zeiten von Covid-19“ dennoch einen Partner zu finden: „irgendwie“ online, durch Chats, Foren, Soziale Netzwerke, Online-Partnervermittler, ja sogar durch typische Sex-Dating-Seiten.

Die meisten dieser Vorschläge stammen aus Frauenzeitschiften, und sie wurden für Frauen geschrieben. Ihr Wahrheitsgehalt ist fragwürdig, ihr Vorwand, Trost und Rat zu spenden, fadenscheinig. Aber klar ist: Das wird der Samenkoller angesprochen, wenngleich äußert höflich verklausuliert.

Gut - außer dem Samenkoller mag es noch den Lagerkoller geben, Dem weiblichen Homo sapiens wird dabei empfohlen, den Frühjahrsputz in Angriff zu nehmen.

Ich hoffe, ihr alle bekommt heute keinen Koller -und einen schönen Sonntag für euch.

Bild: Comic, © 2016 by Liebesverlag.de

In den 60ern war alles besser? Hört endlich auf damit!

Dieser Tage musste ich lesen, dass in den 1960er Jahren alles viel besser war, was mich lebhaft an meine Großmutter erinnerte, für die zu ihren Lebzeiten die ersten 13 Jahre des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg als „Die gute alte Zeit“ galt.

Die vermeintlich Liebe zu den Eltern

Ich höre, dass wir in den 1960ern noch alle unsere Eltern geliebt und geachtet haben. Irrtum. Die meisten wollten, so schnell es ging, dem Elternhaus entfliehen, eine eigene Familie gründen und alles viel besser, jedenfalls aber ganz andres machen. Denn das Gemisch aus Nazi-Zeit-Resten, bürgerlichem Dünkel und den damals noch ultrakonservativen CDU-Kanzlern hatte Deutschland gespalten. Hier die jungen Menschen, die endlich ein wirklich liberales Deutschland wollten, dort die versteinerten Konservativen, die vor allem die „alte“ Kultur beinhalten wollten- und damit war die Kultur vor dem Jugendaufbruch in den 1920er Jahren gemeint – kurz: die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, nur ohne Kaiser.

Kein Unterschied zwischen arm und reich?

Sodann vernahm ich, dass es damals keine Unterschiede zwischen arm und reich gab. Liebe Mitmenschen, entweder ihr habt Matsch in der Birne oder ihr lügt euch die Zeit schön. Es gibt allerdings einen Unterschied: Damals kannte man sie noch, die Reichen und die Armen, weil sie noch unsere Nachbarn waren. Die wohlhabende Diplomatenfamilie wohnte im selben Haus auf zwei Stockwerken, zwei Straßen weiter hausten die alte, verhärmte und wirklich nahezu mittellose Witwe in einer nahezu lichtlosen Souterrain-Wohnung – ganz zu schweigen von den Menschen in der Barackensiedlung. Heute vermuten die eher Pseudo-Armen, die angeblich Reichen seien unermesslich reich, weil sie dies in Statistiken im Internet nachlesen können. Aber sie kennen niemanden, der gegen Ende des Monats kein Brot mehr zu essen hat – ebenso wenig wie jemanden, der jedes Wochenende ein paar Flaschen Champagner mit einschlägigen Damen köpft.

Und die Moral? Sie galt nur, wenn man nicht schwieg

Von der verkommenen Moral will ich gar nicht reden. Öffentlich propagiert wurden die reinen Seelen in reinen Körpern, die uns angeblich die griechische Kultur geschenkt hatte. Enthaltsame Männer, keusche Frauen. Wer davon abwich, wurde abgekanzelt, ausgegrenzt oder verachtet -freilich nur, wenn sie oder er arm war und die Sache ruchbar wurde. Hielten Frau oder Mann alles gedeckelt, oder gehörten sie „gewissen Kreisen“ an, dann war ohnehin alles möglich: Ein gemeinsamer Lover für sie und ihn, ein kleines Zusatzeinkommen für die Kontoristen, Friseuse, Schuhverkäuferin oder Krankenschwester. Unauffällig-elegante Kleidung, gute Manieren, etwas Verbindlichkeit – und schon kam die junge Frau an jedem Hotelportier vorbei. Nur die eine oder andere Bardame wusste, wie viel Geld dabei über den Tisch ging. Und Bardamen schwiegen damals wie heute.