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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Bedenkliche Entwicklungen in "Ostdeutschland"

Einem älteren Ostdeutschen zu sagen, man könne sich doch zunächst einmal als „Deutscher“ definieren, wenn es schon nicht dazu reicht, sich „Europäer“ zu nennen, ist nahezu aussichtslos.

Der „Osten“, also die neuen Bundesländer, haben eine neue Pseudo-Mentalität entwickelt: Seine Einwohner bestehen zu einem übergroßen Teil darauf, in erster Linie „Ostdeutsche“ zu sein.

Sich selbst sein, Mecklenburger oder Thüringer sein - aber Ostdeutscher?

Das ist eine bedenkliche Tendenz, und sie zeigt, wie wenig man sich im Osten auf die eigentliche Herkunft besinnt – denn objektiv bestehen zwischen Sachsen und Mecklenburgern ähnlich große Unterschiede wie zwischen Holsteinern und Schwaben. Von einer tatsächlichen „ostdeutschen“ Mentalität kann also gar nicht die Rede sein. Und neben der eigentlichen Herkunft sind es auch die persönlichen, individuellen Werte, die im Vordergrund stehen sollten. Das gilt völlig unabhängig davon, ob man „Westdeutscher“, „Thüringer“ oder eben auch „Zulu“ ist.

Ungleichheit und politische Hetze

Zu der angeblichen Stimmungslage, sich „abgehängt“ zu fühlen, passen auch ständige Behauptungen, die Ungleichheit wäre „vom Westen“ gewollt. So versuchen mir Polit-Heißsporne in den neuen Bundesländern gelegentlich klarzumachen, dass „der Westen“ im Osten erst einmal „gleiche Lebensverhältnisse“ schaffen müsse.

Unterschiede - zu wenig Arbeitskräfte und "keine Jobs"

Es gibt ohne jeden Zweifel „im Osten“ Orte, in denen es keine Arbeit gibt. Derzeit wartet man allerdings bis zu einem halben Jahr auf Handwerker – auch bei einfachen Handwerksarbeiten. Und das in einer Gegend, die zu den eher „abgehängten“ Gebieten Thüringens zählt.

Wie sich bloggende Damen nennen

Dieser Artikel handelt davon, wie sich bloggende Damen nennen - oder jedenfalls einmal nannten. Dabei war das Wort „Miss“ sehr beliebt, weil es zu Wortspielen anregte.

Einstmals gab es in Österreich eine Bloggerin namens „Miss Understood“, die ziemlich berühmt wurde - auf Deutsch etwa „Miss Verstanden“. Beide Namen kamen in Blogs und Kolumnen häufiger vor, sodass ich am „Erstgeburtsrecht“ der Wienerin zweifle.

Der Witz an all diesen Namen ist ja, dass sie immer doppeldeutig sind. Besonders lustig finde ich:

Miss Behagen
Miss Erfolg
Miss Geschick
Miss Gelaunt
Miss Gunst
Miss Vergnügen

und

Miss Verstehen.


Wobei ich kaum jemanden zugetraut hätte, sich „Miss Gunst“ zu nennen – gibt es aber trotzdem.

Die Idee mit der Doppelbedeutung von Miss als „Fräulein“ und dem Wortteil „Miss-“ für „fehlerhaft“ beziehungsweise „schlecht“ (un-) hat diese Wortspiele ausgelöst.

Fehlt eigentlich nur noch „Miss Fallen“ – der Name ist nicht nur zweideutig, sonder noch weitaus vieldeutiger.

Ist Journalismus wirklich zuverlässig?

Journalismus ist nur noch bedingt zuverlässig - aber das wissen nur Menschen, die sich häufig mit Nachrichten beschäftigen. Wer täglich einige Dutzend Nachrichten durchforstet, merkt bald, worin die Mängel liegen: Man übernimmt beispielsweise ungeprüft Artikel aus der Wissenschaft, oder man konzentriert sich auf wenige Quellen, von denen man annimmt, sie seien „seriös“. Zudem bevorzugt man Verlautbarungen bekannter Persönlichkeiten oder ebensolcher Politiker, auch wenn ihre Kompetenz zweifelhaft ist. Dabei begibt man sich gerne auf das Territorium, in dem sich der Bürger vermeintlich auskennt: in den Mainstream. Aus alldem entsteht eine gewisse, meist ungewollte Einseitigkeit und Oberflächlichkeit.

Der Journalismusforscher Florian Zollmann nennt folgende Gründe (1):

Kommerzieller Druck, Nachrichtenwerte, Redaktionsverschlankungen, Personalmangel, Eigentumsstrukturen oder organisationsbedingte Zwänge.

Das führt nun dazu, dass man sich auf leicht zugängliche und bisweilen geschwätzige Quellen verlässt, beispielsweise solche aus Politik, Wirtschaft, Organisationen, Interessengruppen oder Wissenschaften. Was innerhalb der Gesellschaft – sei es fälschlich oder berechtigt – tatsächlich gedacht wird, versinkt in einer Flut von Informationen, die im Grunde genommen Datenmüll sind. Die Abwägungen bei wichtigen Themen – wie auch die nötigen Hintergrundinformationen – findet man heute eher bei der BBC als in unseren deutschen Elite-Blättern.

Es gibt keine „Lügenpresse“

Das alles hat nichts mit „Lügenpresse“ zu tun. Gäbe es eine Lügenpresse, so würde sie zentral von der Politik gelenkt beziehungsweise nachhaltig beeinflusst – oder sie müsste extrem unlautere Motive haben, was man vom deutschen Journalismus nun wahrhaftig nicht behaupten kann.

Fehlende Bildung bei älteren Mitbürgern

Die Mehrheit der älteren Deutschen in Ost und West hat keine Ahnung, wie die Presse wirklich funktioniert oder wie sie sich in den letzten 25 Jahren gewandelt hat. Das führt dazu, dass man besonders den älteren Mitbürgern jeden Unsinn über die Presse auf die Nase binden kann. Wer zudem keine überregionalen Zeitungen liest, keinen Zugang zu deutschsprachigen Auslandszeitungen findet oder wer kein Englisch versteht, ist ohnehin kaum noch in der Lage, die Bedeutung der im regionalen Bereich verbreiteten Nachrichten zu ermessen.

Insgesamt ist es eine Kombination aus Einseitigkeit, fehlender Schulbildung und Fehlleitung durch Scharfmacher, wenn Menschen glauben, es gäbe eine Lügenpresse.

Könnte man etwas ändern?

Anderseits sollte sich unsere Presse wirklich einmal überlegen, ob sie das elitäre Gehabe, insbesondere in den Kommentaren und Feuilletons aufrechterhalten will. Und ob sie wirklich ständig aus den Quellen schöpfen muss, die sich ständig andienen. Denn im Grunde ist Journalismus in Deutschland zuverlässig – und die freie Presse ist und bleibt die beste Garantie für eine demokratische Gesellschaftsordnung.

(1) In der LVZ vom 24. Juli 2019.

Digitalisierung, Sprache und Gefühle

Heute berühre ich ein Thema, das für alle Menschen wichtig ist - und das dennoch zumeist ignoriert wird. Es betrifft die Möglichkeiten, über Gefühle zu sprechen und zu schreiben.

Was ist Digitalisierung?

Digitalisierung ist die Umsetzung weitgehend natürlicher Vorgänge und Prozessen in Zeichen, also in „Digits“. Ursprünglich waren mit „Digits“ alleine Ziffernfolgen gemeint, heute wird meist eine Zeichenfolge in dieser Weise bezeichnet. Entsprechend ist eine „Digitalanzeige“ (beispielsweise an der Uhr) eine Umsetzung der (analog zu verstehenden) Zeit in Ziffern, die sich unmittelbar auslesen lassen. Das ist im Grunde immer und überall so: Der Ablauf natürlicher Vorgänge lässt sich am besten „analog“ verstehen, das heißt, in einer gewissen Abfolge, aber ohne Stufen und nicht in vollständigen Zeichen. Ausnahmen bestehen einerseits im Erbgut, das sehr konkrete Informationen enthält, die sich auch genau beschreiben lassen, und anderseits in der menschlichen Sprache und in der daraus abgeleiteten Schrift. Durch sie wird es möglich, ausgesprochen komplexe Informationen auszudrücken und weiterzugeben.

Gefühle und Empfindungen stehen "analog"

Die Schwierigkeiten, die wir mit der Umsetzung von rein analogen Informationen in digitale Informationen haben, zeigen sich, wenn wir Empfindungen in Sprache umsetzen wollen. Empfindungen zwischen Menschen werden üblicherweise, wie bei allen Säugetieren, zunächst analog übermittelt. Der Kybernetiker spricht dann von „analoger Kommunikation“, der Psychologe von „non-verbaler Kommunikation“. Beide Begriffe treffen nicht ganz das, was geschieht. Das Problem non-verbaler Kommunikation besteht darin, dass dem Zivilisationsmenschen ein Teil des Zeichenvorrats abahnden gekommen ist, insbesondere, was das Erkennen von Zeichen betrifft. Das heißt: Ein Pferd oder ein Hund kann noch die Zeichen erkennen, die der Mensch aussendet, Menschen können aber oft nicht mehr erkennen, welche differenzierten Zeichen ein anderer Mensch sendet. Man sagt daher, analoge Kommunikation sei im Grundsatz „redundant“, also mehrdeutig.

Wir kommunizieren weiterhin auch "analog"

Diese Art der Kommunikation muss man so verstehen: Sie ist dauernd vorhanden, aber sie erfordert nicht immer eine bewusste Reaktion. Zwar ist es „unmöglich, nicht zu kommunizieren“, aber es ist möglich, dadurch zu kommunizieren, dass man sich entfernt (den Raum verlässt) und die anderen im Unklare darüber lässt, warum. Die non-verbale Kommunikation hat viel mit Grundsituationen zu tun: Aufmerksamkeit, Interesse, Paarungsbereitschaft, Sozialisierung, aber auch Gefahrenabwehr.

Wie Gefühle, Empfindungen und dergleichen sich überhaupt „digitalisieren“ lassen, wissen offenbar nur wenige Autoren: Indem sie „verbal“ von „nonverbal“ trennen, so als ob es Zustände aus zwei Welten wären, verhindern sie, dass Bücken gebaut werden können.

Die menschliche Sprache wurde nicht erfunden, um Gefühle auszutauschen

Der ursprüngliche Sinn der Sprache, wie auch schon der anderer künstlicher Zeichen (Höhlenmalerei), war vor allem, sich über Vorgehensweisen zu verständigen. Dazu eignet sich die Sprache vorzüglich, denn die Jäger, die Umgebung und die Tiere, die gejagt wurden, konnten genau bezeichnet werden. Auch viel später wurde die Sprache überwiegend dazu benutzt, um Vorgehensweisen zu vermitteln. Wann genau abstrakte Begriffe, Philosophien und Religionen sprachlich übermittelt werden konnten, ist nicht ganz sicher – jedenfalls wurde mit der Ausweitung der Sprache auch versucht, Gefühle zu übermitteln.

Die meisten Forscher sind sich sicher: Je komplexer ein Gefühl ist, umso weniger ist digitalisierbar. Früher sprach man in der Psychoanalyse auch von der Schwierigkeit, Gefühle zu „verwörtern“. Einen Schmerz im Knie mögen wie noch leicht „verwörtern“ können, die inneren Hemmungen beim Absprechen einer Frau aber kaum noch. Solche Gefühle entziehen sich teilweise der Beschreibung – und genau hier beginnt eines der Probleme unserer Sprache.

Warum es ausgesprochen schwierig ist, über Gefühle zu sprechen

Um im traditionellen Sinne Gefühle zu verstehen oder gar Rat zu geben, wenn uns jemand über ungenaue Gefühle berichtet, müssten wir dies tun:

1. Jemand müsste in der Lage sein, seine Gefühle vollständig zu digitalisieren.
2. Wir müssen (als Zuhörer, Berater) die digitalisierten Gefühle sowohl digital wie auch analog nachzuvollziehen. Das ist technisch so gut wie nicht möglich – über die Gründe zu sprechen, würde zu viele Zeilen erfordern.
3. Die Rückkoppelung (also mögliche Antworten) müsste in Sprache erfolgen, aber so, dass die Gefühlsebene getroffen wird. Das ist sehr unwahrscheinlich- in jedem Fall erfordert es viel Übung.

Was ich beschrieben habe, gilt für alle Dialoge, aber auch für das Schreiben oder Lesen von Texten. Dabei zeigt sich, wie schwierig es immer wieder ist, von digitalem Denken (Denken in Sprache) auf analoges Denken (denken in Gefühlen und Empfindungen) „umzuschalten“ und das eine in das andere zu übersetzen.

Dieser Umstand hat Auswirkungen auf das Leben jedes Einzelnen. Und ich wundere mich wirklich, warum er in der Öffentlichkeit kaum jemals erwähnt wird. Welche Auswirkungen dies hat , und was wir tun können, um unsere Kommunikation zu verbessern oder aber auch in anderer Weise über Gefühle zu schreiben, wäre weitere Artikel dieser Art wert - vorausgesetzt, sie würden auch gelesen.

Warum sind Gefühle so schwer zu beschreiben?

Gefühle - so "vollkommen" wiedergegeben wie auf einer 78er?
Wer sich in Kybernetik, Nachrichtentechnik und Datenverarbeitung auskennt, weiß, warum es so schwer ist, Gefühle zu beschreiben: Sie lassen sich nicht digitalisieren, weil sie in Bildern (also analog) stehen. Und weil es keine verlässlichen „Wandler“ in die eine wie in die andere Richtung gibt.

Wenn du vergleichen willst: Nimm Musikübertragung. Man kann Töne in mechanische Bewegungen verwandeln und die mechanischen Bewegungen zurück in Töne. Natürlich geht das mit einer modernen Schallplatte oder einer CD wesentlich exakter. Und warum geht es bei der CD? Weil wir auf beiden Seiten verlässliche Wandeler haben – analog in digital und digital in analog.

Für unsere nicht näher definierbaren Gefühle haben wir keine solchen Wandler. Wir bemühen uns zwar gelegentlich, Gefühle zu beschreiben, aber wir entdecken dann sehr schnell, dass es uns nahezu unmöglich ist. Gewusst hat es der österreichische Arzt und Psychoanalytiker Dr. Wilhelm Steckel. Er schrieb 1925:

Viel schwieriger ist der … (Umsetzung-) … Prozess der Verwörterung bei Gefühlen, Stimmungen, Affekten, abstrakten Begriffen. Hier sind die Worte deutliche Kompromissbildungen die in verschiedenen Lagen und bei verschiedenen Personen differente Bedeutung haben. Man denke nur, an die komplexe Bedeutung des Wortes ,,Liebe“, um zu verstehen, wie selten sich Wort und Gefühl decken können.


Die Verwörterung würde man heute wohl als „Digitalisierung“ bezeichnen, doch erfahren wir aus diesen Sätzen vor allem:

Wir haben keine absolut sicher zutreffenden Worte (oder auch Wörter) für Gefühle. Wir benutzen Wörter, die unsere Gefühle nur ungenau treffen. Das sind dann Worte, die bei jedem etwas anderes bedeuten können.

Und das bedeutet: Seid vorsichtig mit der Beschreibung von Gefühlen. Und lasst euch nicht alles als Gefühle verkaufen, was in Wahrheit Anbiederung ist – oder gar Kitsch.

Bild: Werbung für Grammophone.
Zitat: Dr. Wilhelm Steckel, „Störungen des Trieb- und Affektlebens, Wien 1925.