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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Eine Matinee im Gewandhaus

Eine Matinee in einem großen und berühmten Konzertsaal, in dem die besten der Welt die Bühne betreten, ist ein besonders Ereignis. Nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Publikum. Kaum schwarz-weiße Pinguine, nur wenig graue Elefanten und auch kaum Damen, die gerne mal ihren teuren Schmuck vorzeigen. Ich denke oft: Wer da morgens um 11 Uhr die Musikkathedrale betritt, der will vor allem lauschen.

Zu Lauschen gab es viel: das Orchester reichlich bestückt, inklusive Lärmmaschinen aller Art, Instrumenten, die zum Bedröhnen eingesetzt werden und solchen, die für die sinnlicheren Klänge gedacht sind. Der eigentliche Effekt der großen Orchester besteht ja darin, sowohl extrem dramatisch und lautstark zu sein wie auch höchst sensibel. Dazu dann noch ein hervorragender Solist auf der Trompete und der neue Dirigent, den das Leipziger Publikum nach und nach zu lieben beginnt: Andris Nelsons.

Man muss die Musik nicht verstehen - nur lauschen

Lassen Sie mich damit beginnen, wovon ich gar nichts verstehe: von der Musik Gustav Mahlers. Seine Fünfte Sinfonie ist wahrhaftig überwältigend, und sie klingt auch heute noch sehr modern. Dennoch ist sie längst Repertoire, und das Interessante daran ist: Den Zeitgenossen des aufkommenden 20. Jahrhunderts war sie zu zickig – und die letzte Fassung, so erfuhr ich, ging gar erst 1964 in Druck. Insgesamt passt also alles ins 20. Jahrhundert. Warum ich nichts über die Ausführung sage? Weil dies keine Musikkritik ist. Musikkritiker hören Tonaufnahmen, gehen in Konzerte, vergleichen dies und jenes, und loben oder verwerfen nach eigenem Gusto. Ich lausche neugierig den Ereignissen, Tönen und Geräuschen. Davon kann man wahrhaftig beeindruckt sein, und auch ich war es.

Das kurze, wunderbare Trompetenkonzert

Bei Mahler waren dann auch alle Reihen nahezu durchgehend mit Zuhörern bestückt. Einige hatten offenbar beschlossen, sich das Stück vor der Pause zu schenken. Nämlich ein Konzert für Trompete und (großes) Orchester, das von Bernd Alois Zimmermann stammt und damit nun aus der Mitte des 20. Jahrhunderts. Es hat den ungewöhnlichen Namen „Nobody Knows de Trouble I see“ und ist (zumindest für „gewöhnliche“ Konzertbesucher) eigenartig instrumentiert – unter anderem wird ein kompletter Saxofonsatz benötigt. Ach so: Versuchen Sie gar nicht erst, etwas mehr darüber im Internet zu finden. Sie werden erschlagen von all den Sängerinnen und Sängern, die das textlich ähnliche klingende Spiritual interpretiert haben. Teils auch sehr schön – aber diese Künstler spielen in einer anderen Liga.

Nun nehmen Sie mal hin, was Ihnen der Banause, der dies schreibt, zu sagen hat: Das Stück ist jede Minute wert, die sie zum Lauschen übrig haben. Es ist ein Trompetenkonzert mit Zwölfton- und Jazzelementen, wie es im Beiheft des Gewandhausorchesters heißt. Das mag so sein oder auch nicht, aber es ist jedenfalls ein wirklich schönes Stück, das sehr bewegt und zugleich versöhnlich klingt. Der Trompeter entlockte seinem Instrument die schönsten Töne, und gerade Trompenliebhaber– egal aus welcher musikalischen Ecke – kommen hier voll auf ihre Kosten. Der Trompeter Håakan Hardenberger (und da staunte ich Bauklötze) gab das Konzert im Gewandhaus schon 1993 – was dafür spricht, dass man Gewandhaus schon einmal äußerst experimentierfreudig war.

Angeblich – so höre ich häufiger – goutiert das Publikum die Musikauswahl des neuen Gewandhauskapellmeisters nicht sonderlich. Wie schade, denke ich noch beim Hinausgehen. Und höre noch eine Stimme hinter mir zu Bernd Alois Zimmermann: „Also, so schrecklich war das Stück doch gar nicht.“

Nein, es war – im Gegenteil – schrecklich schön.