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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Du machst mich ganz kirre

Wenn eine Dame einen Herrn kirre macht, dann ist er des Wahnsinns verliebt in die Dame, die sich andererseits nur zähmen lassen wird, wenn er sie dafür entlohnt. Es sei denn, sie wäre selbst schon ganz kirre. Man sieht: dieses Wort hatte es einmal in sich, weil es viele verschleiernde Bedeutungen hatte.

„Kirre machen“ bedeutet, jemanden „ganz verrückt zu machen“, sowohl im eigentlichen Sinne, also der Verwirrung durch das Verhalten wie auch im erotischen Sinne. Benutzt wird das Wort aber fast gar nicht mehr, und auch die Nebenbedeutung, die Zähmung, ist kaum noch in Gebrauch.

Und so werden wir wohl darauf verzichten müssen, dass uns eine Dame mit holdem Augenaufschlag sagt: „Du machst mich ganz kirre.“ Auf den Augenaufschlag verzichten wir schon lange, und er wird auch kaum noch einstudiert. Und „kirre machen“? Es kann heißen: „Nun zähm mich doch endlich“ oder „worauf wartest du noch?“ Aber das zu sagen, wäre natürlich deplaciert.
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Ich wäre so gerne ein Hold – oder besser doch nicht?

Ach, die Unholde sind unter uns, die bösen, bösen Menschen, die alles anderes hold sind. Hold sind ihnen eben nur ihre verbohrten Ideologien. Ich verzichte gerne darauf, Namen zu nennen.

Nun, gelegentlich war (udn ist) mir jemand hold. Eine Dame, ein Gönner, ein Kunde. Wäre sie oder er mir unhold, so besäße ich nicht ihre oder seine Gunst. Und sehen Sie – selbst ich kann nicht auf die Gunst einzelner verzichten, wenngleich ich nicht um die Gunst zu buhlen bereit bin.

Und doch wäre ich gerne ein Hold, und eigentlich bin ich es längst, weil ich kein Unhold bin. Doch was wäre ein Hold?

Holdinnen, so weiß es der Dichter, haben ein weiches Herz, doch wäre anzumerken, dass sie möglicherweise nur dem hold sind, der seine Geldbörse für sie öffnet. Wäre ich also ein Hold – oh nein, dann bitte doch nicht. Obgleich Schriftsteller meiner Art ja stetig jemanden benötigen, der ihnen hold ist.

Die Kunst der Zeichensetzung – ganz profan

Die Kunst der Zeichensetzung – ganz profan

Zunächst das Edle

Ein Schriftsteller wurde einmal gefragt, was er denn so den ganzen Tag getan habe.

Das will ich ihnen gerne sagen. Ich habe sehr intensiv gearbeitet. Heute Morgen habe ich im 16. Kapitel ein Komma herausgestrichen, und gegen Nachmittag habe ich es – nach reiflicher Überlegung – wieder eingesetzt.


Ich weiß nicht, wer es gesagt hat, aber es ist typisch für das Missverständnis, das Menschen über Schriftsteller haben: Sie schreiben, also arbeiten sie. Aber eigentlich arbeiten sie auch, wenn sie nicht schreiben - im Gegensatz zu Lohnschreibern, die nur schreiben, damit sie Geld verdienen.

Nun das Profane

Sie kennen sicher diesen Herrenwitz über die Bedeutung der Zeichensetzung:

Er will sie nicht.
Er will, sie nicht.


Das Komma ändert alles. Es hätte auch ein Semikolon oder ein Bindestrich sein können.

Nun die Findelsatire:

Auf einem Blog für Blogger fand ich folgende Anzeige:

«Blog zum Thema Zwillinge günstig abzugeben»

Es war wohl so gemeint:

«Blog zum Thema „Zwillinge“ günstig abzugeben. »

Und nicht so:

«Blog zum Thema „Zwillinge günstig abzugeben“»

Das Ungeheuerliche am Wunsch nach einem Geheuer

Was uns geheuer ist, ist uns an sich lieb, was so weit geht, dass selbst die Gunst der Damen als „geheuer“ bezeichnet wurde. Man sagte „wild“ und „unzähmbar“ für „ungeheuer“, und „zahm“ oder „zugänglich“ für geheuer.

Ach, wie geheuer ist mir am Abend

Wenn uns heute jemand oder ein Umstand geheuer wäre, so würde uns das befremden, wir wissen aber noch recht gut, was „nicht geheuer“ ist, und würden wahrscheinlich sagen, dies sei eine eher dichterische Formulierung. Was uns „nicht geheuer“ ist, befremdet uns, und wir haben Zweifel daran. Wir wünschen uns aber nicht, dass Menschen, Umstände, Tiere oder Verträge „geheuer“ sind. Das Wort ist einfach verschwunden.

Ungeheuerlich!

Ungeheuerlich, nicht wahr? Das hieße dann eigentlich befremdlich, meint aber eher, dass es die üblichen Grenzen überschreitet. Da musste man also „Ungeheuerliches leisten“, um ans Ziel zu kommen, oder man findet es ungeheuerlich, dass eine Dame von 50 sich einen 18-jährigen Lover hält. Das heißt dann eigentlich „unziemlich“, aber das Wort gibt’s ja auch fast nicht mehr.

Das Ungeheuer in Mensch und Tier

Ja, und dann kam das Ungeheuer, auf ursprünglich in der normalen Ableitung ein Schicksalschlag, der wild und dreist ins Leben hineinschlägt. Aus ihm wurde das Ungeheuer in der Gestalt des Tiers und des Menschen.

Ach, Sie wünschen sich ein liebevolles Geheuer? Wer wünschte es sich nicht? Aber Sie suchen vergeblich, denn es gibt keine Geheuer auf dieser Welt – es sei denn, sie gäbe es doch.

Besorgen, besorgend, besorgt

Besorgen, besorgend, besorgt - und angeblich "besorgte" Bürger

Ach ja, das Besorgen. Eigentlich heißt es „Sorge tragen für“, und damit „versorgen“ im Sinne von „für etwas verantwortlich sein, für etwas zuständig sein“. So musste also früher jemand sein Land besorgen oder ein Haus. Wenn etwas „besorgt“ ist, dann ist es getan – was heute nur noch in dem unverschämt-frotzeligen Männerjargon „die braucht jemanden, der es ihr mal richtig besorgt“ rüberkommt (1). Sehr zum Leidwesen der Frauen, die nun gar nicht glauben, dass dies aus Sorge geschieht und solche Sätze mit recht verdammen.

Ach, besorg' mir doch mal ...

Besorgen – das steht auch etwas abwegig für „beschaffen“. Meist legal in dem Sinne: „Ach, besorg doch noch mal 100 Gramm Hackepeter“, aber auch in illegalem Sinne, wenn etwas nicht legal erworben, sondern „irgendwie beschafft“ werden soll. Dann wird es „besorgt“.

Wer ist "besorgt"?

Wer sich Sorgen um seine persönliche Zukunft, sein Volk oder gar die Welt macht, der kann auch sagen, er sei „besorgt“ – nur nützt ihm das herzlich wenig. Besorgt zu sein, heißt ja, in Sorge um etwas zu sein, was sehr wahrscheinlich gar nicht eintrifft, aber schlimmstenfalls eben doch eintreten könnte. Jeder Junge und jedes Mädchen hat schon gehört, dass sie die Eltern „Sorgen machen“. Mal, weil sie einfach Eltern sind, dann, weil das Kind sich in die vermeintlich falsche Richtung entwickelt, und mal, weil die schulischen Leistungen zu wünschen übrig lassen. Von der „schiefen Bahn“ einmal ganz abgesehen.

Besorgt zu sein ist verständlich, aber keine sinnvolle Eigenschaft

„Besorgt“ zu sein ist also zwar belastend, aber eigentlich keine sehr positive Eigenschaft, ja, nicht einmal eine wünschenswerte. Menschen, die mitten im Leben stehen, ja, das Leben gar gestalten, sind nicht „besorgt“. Es ist wie mit der Zukunft: Sie gehört nicht den „Besorgten“, sondern denen, die mutig voranschreiten und die teilhaben wollen an ihrer Entwicklung.

Besorgte Bürger - Labervögel an Wurstständen?

Wenn ich von „besorgten Bürgern“ höre, dann sind es nicht diejenigen, die das Leben gestalten und ausgestalten, mit Leben füllen und der Welt Innovationen, Lust oder Glück schenken. Es sind für mich alte Männer und Frauen, die an Würstchenständen herumstehen und in Kneipen herumhängen, weil sie nichts Besseres zu tun haben – und weil sie ihr Leben eigentlich längst gelebt haben und vor allem keine Änderungen mehr wollen. Das ist verständlich, und sie können sie gerne tun – solange sie sich nicht „besorgte Bürger“ nennen. Denn dazu müsste sie nicht besorgt sein, sondern aktiv und aus Überzeugung für den Erhalt der Demokratie und der Freiheit sorgen.

(1) In historischen Quellen ebenfalls vorhanden, also nicht aus neuester Zeit.