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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Rotkäppchen – die Lügenbrüder Grimm und das Mädchen

Junge Frau in sinnlichem roten Umhang, verschlagener Wolf voller Begierde - Rotkäppchen
Es war zu den Zeiten, als den Franzosen noch alles Schlechte zugeschrieben wurde und den Deutschen alles Edle. Die Grimms versuchten, im Deutschtum herumzugraben und beschäftigten sich daher mit Märchen und Sagen, die zum Ruhme des deutschen Volkes verwendet werden konnten.. Die Brüder erweckten dabei den Eindruck, ihre Märchen dem Volk entrissen zu haben – und so hörten wir es nicht nur in der Schule, sondern können es auch bis heute nachlesen, wenn wir den unkritischen Quellen glauben.

Die Grimms haben selber dafür gesorgt, dass die wahre Herkunft ihrer Geschichten verschleiert wurde. Sie sagten beispielsweise, sie hätten als glaubwürdige Quelle „einfache Frauen aus dem Volke“ erzählen lassen, beispielsweise eine „Bäuerin aus dem bei Cassel gelegenem Dorfe Zwehrn.“ Es handelte sich um Dorothea Viehmann, einer Frau mit hugenottischen Vorfahren. Doch schon zuvor hatten die Grimms Kontakt zu anderen Frau mit hugenottischen Wurzeln: Marie und Johanna Hassenpflug sowie weiteren Mitgliedern der Familie Hassenpflug. Und was sie erzählten, hatte ihre Wurzeln nicht im „Hessischen“, sondern in Frankreich.

Die Grimmschen Lügenbrüder waren nicht dumm, sondern sehr belesene und gebildete Menschen, die gewusst haben müssen, was sie da aufschrieben – und der französische Ursprung eines der bekanntesten Märchen, Rotkäppchen, war ihnen sicherlich bewusst. Es klang natürlich besser, dieses Märchen dem deutschen Märchenschatz zuzuschreiben, wenngleich die französischen Wurzeln teils wortwörtlich erkennbar waren.

Die Brüder Grimm versuchten, dem Zeitgeschmack entsprechend, auch das Märchen vom Rotkäppchen kindgerecht, aber durchaus noch abschreckend darzustellen. Die Kinder sollten es gerne lesen, und dabei doch (nach damaliger Auffassung) kindgerecht belehrt werden. Der Wolf wurde ein leibhaftiger, böser Wolf, und kein Zweifel sollte an seiner Tiergestalt bestehen. Und um sich mit lesenden Kindern und Eltern zu versöhnen, musste es eine Wiedergeburt aus dem Bauch des Ungeheueres geben. Das Mädchen selbst wurde von einer neugierigen, heranreifenden Frau auf ein „kleines, naives Mädchen“ reduziert, das nicht wissen konnte „was für ein böses Tier“ ein Wolfs ist.

Was für ein Unsinn. Das Märchen „Rotkäppchen“ war nie eine Schöpfung des hessischen Bauernstandes, sondern es wurde bei dem Franzosen Charles Perrault abgekupfert – ob es abgeschrieben wurde oder ob es tatsächlich aus einer präzisen mündlichen Überlieferung der hugenottischen Erzählerin stammt, ist dabei völlig unerheblich. Die Brüder Grimm mussten sich nur dumm stellen – und schon konnten sie ihre Hände in Unschuld waschen.

Bild: Teil einer Illustration von Paul Woodroffe.

Quellen: Unter anderem: ZEIT, DW und eigenes Archiv.

Unwort: Frühsexualisierung

Frühblüher - doch wann ist eigentlich "früh"?
Es gibt Frühblüher und Spätblüher, wie der Gärtner weiß. Der Mensch – nun ja, er blüht unglaublich lange, doch das ist gar nicht die Frage: wenn ist für ihn früh?

Als „früh“ wird alles bezeichnet, was vor dem Termin liegt, der eigentlich dafür vorgesehen war. Der „Termin“ für das erotische Interesse am anderen Geschlecht hängt zwar mit der Pubertät zusammen, fällt aber nicht bedingungslos in die gleiche Zeit. Hinzu kommt: die offenkundige „Sexualisierung“, das heißt, das Erkennen der Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen, beginnt schon viel früher. Ob es sich dabei um körperliche Unterschiede oder Verhaltensunterschiede handelt, ist zunächst zweitrangig.

Wenn die Sexualisierung aber damit beginnt, jemanden als „Jungen“ oder „Mädchen“, alternativ „feminin“ oder „maskulin“ im Verhalten zu erkennen, und dies in sehr frühem Alter ganz normal ist, was bedeutet dann bitte „Frühsexualisierung“?

Die Fraktion aus Adligen, Sektierern und politischen Populisten, die den Begriff benutzt, ist der Meinung, die Frühsexualisierung entstehe durch „Indoktrination“. Man benutzt offensichtlich das Fremdwort, um sich als klug auszuweisen. Doch Indoktrination ist geistige Gehirnwäsche, die an keiner Schule stattfindet – und dort auch gar nicht stattfinden darf. Grundlage muss eine Ideologie oder Religion sein, die Menschen ganz bewusst manipulativ auf einen Irrweg führt.

Nun wäre die Luft heraus. Doch in Wahrheit geht es gar nicht um das Thema „Indoktrination“, sondern um Kenntnis und Erkenntnis. Insofern ist die Behauptung, „Kinderseelen“ würden durch den neuen Sexualkundeunterricht belastet, absoluter Unsinn. Menschen (nicht nur Kinder) belastet immer nur etwas, dem sie ausgeliefert sind und dem sie nicht entfliehen können. Etwas, für das sie keine Erklärung und keinen Gesprächspartner finden.

„Frühsexualisierung“ ist ein Unwort, das gar nichts bezeichnet. Und je früher es aus dem deutschen Vokabular verschwindet, umso besser.

Ins Gesicht gespuckt - das postfaktische Zeitalter

Die Post-truth-Ära bezeichnet das Zeitalter, an dem die Aufklärung sozusagen aufs Altenteil geschickt wurde. Nicht mehr Tatsache und Wahrheiten, würden gelten, sondern die bloße Meinung.

Das allerdings war schon 2004, also vor 12 Jahren, als US-amerikanischen Medien von ihrer Regierung die Hucke voll gelogen wurde, um den Irakkrieg anzuzetteln und Journalisten solche Entscheidungen als "post truth" bezeichneten.

Das Wort des Jahres - aus der Sicht vorgeblich "Gebildeter"

Nun hat das Oxford Dictionary just dieses Wort zum „Wort des Jahres 2016“ erklärt. Nicht postfaktisch, sondern post-truth, was man je nach Gusto als „Zeit nach der Aufklärung“ oder „Zeit nach der Wahrheit“ nennen könnte. Oder eben als deutsches Universal-Schimpfwort für alle Menschen, die keine Fakten kennen, keinen Fakten berücksichtigen oder nicht nach der Faktenlage handeln.

Es wird Zeit, den „Gelehrten“ einmal ins Gesicht zu spucken, die jetzt alles als „postfaktisch“ (post truth) bezeichnen, was gerade in ihr Zeitgeist-Menu passt.

Haben die Menschen sich früher an Fakten gehalten?

Die Menschen früherer Zeiten – und ich kannte noch einige Generationen bis hinein ins 19. Jahrhundert persönlich – haben sich so gut wie niemals an Fakten orientiert, wenn es um ihr Wohl und Wehe ging. Sie haben sich auf eine Art Gemisch aus gesellschaftlichen Mantras und eigenen Erfahrungen verlassen. Gerade das angeblich so gebildete Bürgertum verließ sich auf Überlieferungen, so gut oder schlecht sie nun mal waren. Man hatte ein festes Schema von Abwehr und Verherrlichung, das es durchzusetzen galt. Das galt neben den rein persönlichen Belangen auch für Musik, Literatur, Malerei und Politik.

Pseudo-Erfahrungswissen als Faktenersatz

Um Ihnen das zu verdeutlichen, will ich ein einfaches, persönliches Beispiel wählen: Einmal, auf einem Familienfest, unterhielten sich mein Großvater und mein Onkel Fritz darüber, ob denn nun die „Bremer Nachrichten“ oder der „Weser Kurier“ die meist verbreitete Zeitung in der Stadt sei. Ihre Argumentation beruht im Wesentlichen darauf, wie viele Menschen auf dem Weg zur Arbeit in der Straßenbahn die eine odere andere Zeitung lasen. Nachdem sie sich etwas eine halbe Stunde darüber stritten, stand ich auf und sagte: „Aber Opa, du musst doch nur die Auflage ansehen.“ Was Opa und Onkel gleichermaßen verblüffte – schließlich war ich damals erst neun Jahre alt.

Komfortzone statt Fakten für den "Normalbürger"?

Auch heute werden Entscheidungen oft noch unter dem Aspekt des Hörensagens, des Zeitgeistes oder der komfortablen Gefühlswelt getroffen. Man bewegt sich gerne in der Komfortzone, so wie die alternden Konzertbesucher, die Gershwin oder Rimski-Korsakow für „zu modern“ halten.

Fakten zerstören die eignen Illusionen vom Leben

In der Gefühlswelt, beispielsweise bei der Partnersuche, spielen Fakten ohnehin kaum eine Rolle. Wenn Sie einem Partnersuchenden etwas von den „Marktgegebenheiten“ erzählen, dann klappt er seien Ohren sofort zu, weil er nicht will, dass seine Illusionen zerstört werden. Fakten sind ausgesprochen gefährlich für all jene, die ihre eigene kleine Welt für das Universum halten. Und dabei spielt es keine Rolle, ob sie Sektierer, politische Hitzköpfe oder verblendete Partnersuchende sind. Fakten zerstören Illusionen – und machen wird uns nichts vor – die meisten Menschen leben damit, Illusionen zu haben.

Die Arroganz der Klugscheißer und die "Fakten"

Kommen wir auf die „Gelehrten“ zurück, die uns jetzt das Wort „postfaktisch“ um die Ohren hauen und dabei das Wort gebrauchen, wie es ihnen gerade gefällt. „Postfaktisch“ handeln demnach Brexit-Befürworter, Trump-Wähler oder AfD-Enthusiasten. Klar handeln diese Leute auf der Basis merkwürdiger Gefühlswelten, aber das heißt nicht, dass alle anderen Gruppen den „Fakten“ verpflichtet wären.

Der Mainstream sorgt dafür. dass wir Fakten zum Aussuchen vorfinden

Wer erwartet eigentlich, dass der ganz gewöhnliche Deutsche, Brite oder US-Amerikaner sich an Fakten orientiert? Und wenn ja, an welchen Fakten? Sogenannte „Fakten“ sind doch längst zum Spielzeug von Gauklern aus Wissenschaft, Kultur und Politik geworden. Es gibt Fakten zum Aussuchen – und sie nähren mal diese, mal jene Ideologie. Gibt es wirklich Fakten, die eine Pkw-Maut rechtfertigen? Gibt es Fakten für einen ausgeprägten Sexismus? Gibt es Fakten dafür, dass der Sozialismus die bessere Gesellschaftsordnung schafft?

Nein, aber es gibt dahin gehende Behauptungen, die mit einem Faktenkorsett zusammengehalten werden – und es gibt immer wieder Menschen, die diese Behauptungen verbreiten.

Wahl verloren, weil sie eine Frau ist?

Ach nee – Frau Clinton hat die Wahl nicht verloren, weil sie die falsche Strategie hatte und nicht genügend Ansehen genoss – sondern weil sie eine Frau ist.

Soweit zur Logik des Feminismus. Nein, die Frauenbewegung ist nie zu Ende. Der Sozialismus auch nicht … von anderen politischen Extremen einmal ganz zu schweigen. Und Ideologien leben ewig, weil sie Ideologien sind.

Originaltext:

But the toxic narrative about women that emerged from this election … is more proof than we could ever want that the women’s movement is unfinished everywhere.