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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Unwürdiges Theater von FDP und CDU inThüringen

Ich habe für journalistischen Übermut gehalten, was gestern in der LVZ (1) stand. Und was gestern da stand, waren je die Informationen von vorgestern, also vor der Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten.

(Thomas Kemmerich ...) hatte am Montagabend angekündigt, im dritten Wahlgang antreten zu wollen, wenn neben Ramelow noch ein AfD- Bewerber im Rennen ist. Vor einer solchen Kandidatur wolle man sich auch kurzfristig mit der CDU absprechen ... in der Vergangenheit hatte die AfD mehrfach signalisiert dass sie einen Kandidaten von CDU oder FDP mitwählen würden.
Also wusste Thomas Kemmerich genau, welches Spiel am Mittwoch stattfinden würde, und die thüringische CDU wusste es auch.

Die Lüge von der bürgerlichen Mitte

An diesem Tag wurde vielfach der Begriff der „bürgerlichen Mitte“ gebraucht - ein antiquiertes Wort aus dem Sprachgebrauch der Bildungsbürger, das vielleicht noch im letzten Jahrhundert galt. Inzwischen ist die „bürgerliche Mitte“ ein schwammiger Begriff ohne Inhalte geworden.

Zudem sollte man sich wirklich überlegen, wo man gerade in Thüringen und anderen „neuen Bundesländern“ die „bürgerliche“ Mitte einstanden sein soll. Soll sie etwa ererbt worden sein von jenen, die vor 1945 weder Deutschnational noch NSDAP-infiziert waren? Oder von den Standhaften, die in der Ex-DDR heimlich zur Mitte oder zur Liberalität neigten? Oder soll der Begriff gar die Jugend in den neuen Länder ansprechen, die sich für vieles interessieren mag, nur nicht für konservatives Bürgertum?

Schon 1951 gab es Zweifel an der „bürgerlichen Mitte“

Die „bürgerliche Mitte“ existierte schon im Mai 1951 nicht mehr - das kann ich nicht „wissen“, weil ich damals noch zu jung war. Aber ich kann lesen. Damals schrieb Marion Gräfin Dönhoff in der ZEIT:

Es ist also ganz fraglos eine gewisse Unruhe in der Wählerschaft und ein Gefühl des Unbefriedigtseins und der Leere. Und daher löst sich die bürgerliche Mitte immer mehr auf und die großen weltanschaulichen Parteien – mindestens sofern sie an der Regierung sind und ihren Wahlkampf nicht ausschließlich mit Kritik bestreiten können – zerfallen in kleine Interessentengruppen.
Wie schon gesagt - das war 1951, in einer Zeit, als Westdeutschland noch weitgehend im Aufbruch war und man nicht so genau wusste, wohin der Weg einmal gehen würde. Aber Gräfin Dönhoff hatte wenigstens den Mut, den konservativen Kräfte jener Zeit zu sagen, dass sie mit ihren Hohlworten nicht weiterkommen.

Die eigentliche „Mitte“ ist nicht bürgerlich, sondern will ein Leben in Freiheit und Wohlstand. Das reicht ihnen normalerweise völlig aus. Inzwischen gibt es konservative Randgruppen, die sich auch „bürgerlich“ nennen, die aber vor allem jene im Auge haben, die auf Illusionen ansprechbar sind. Im Grunde sind dies alle, die den Menschen versprechen, sie selbst könnten ohne Veränderungen leben, während sie Welt sich weiterdreht. Sie wollen also eine Verlässlichkeit, die ihnen niemand garantieren kann, die aber viele Demagogen versprechen.

Nicht das Bremserhäuschen besetzten, sondern die Lokomotive

Die Wahl in Thüringen zeigte bereits, dass dieses Konzept zunächst aufgeht. Aber es hält nicht, weil sich die Welt auch dann weiterdreht, wenn sich jemand ins Bremserhäuschen setzt.

Die Demokratie wird Mühe haben, die Bremser, die es ja nicht nur in CDU und AfD, sondern auch in der SPD, der FDP, bei den Grünen und - nicht zuletzt - auch bei der Linkspartei gibt, wieder loszuwerden. Und vor allem braucht die Demokratie Menschen mit Mut zur Ehrlichkeit, die nicht ständig Phrasen dreschen wie „die bürgerliche Mitte“.

(1) Printausgabe von Mittwoch, 5. Januar 2020.
(2) Die Zeit": Der Zerfall der bürgerlichen Mitte (historisch)

Kommentare (Auswahl) im Deutschlandfunk - Presseschau.

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