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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Besserwisser nun auch in der ZEIT?

An beiden Seiten der gegenwärtigen Lockdown-Diskussion glänzen die Besserwisser. Ich habe immer vermutet, dass die ZEIT dabei nicht mitziehen würde. Aber der Kommentar der Kolumnistin Claudia Wüstenhagen lässt mich daran zweifeln.

Sie schreibt:

Denn wenn auch fünf Wochen nach Beginn des Teil-Lockdowns die Zahlen der Neuinfektionen auf hohem Niveau stagnieren, dann muss man sich eingestehen: Es reicht nicht.

Was reicht nicht - und für was reicht es nicht?

Für die meisten Menschen würde ich nun wohl die Frage stellen: „Was reicht nicht?“ Ist es das Volk, das gar nicht daran denkt, Vernunft walten zu lassen? Oder sind es die Vorschriften, von denen nun angenommen wir, dass sie sinnvoller sind und tatsächlich auch eingehalten werden?

In Wahrheit ist es ein sinnfreies Jonglieren mit Zahlen, zum Beispiel in diesem Zitat der Physikerin Viola Priesemann:

Um die Pandemie unter Kontrolle zu bekommen, um Infektionen wieder nachverfolgen und Ansteckungen effektiver verhindern zu können, müssen die Zahlen viel weiter runter.

„Viel weiter runter?“ – was ist denn an dieser Aussage bemerkenswert? Und ja, es wäre gut, wenn „die Zahlen“ weiter runtergingen. Aber nützt es wirklich etwas, „härtere Vorschriften“ oder gar Strafen zu fordern? Werden sich wirklich mehr Menschen an die Vorschriften halten, wenn verboten wird, einander zu begegnen? Und wie soll das gehen, „die Zahlen“ herunterzubringen? Können wir alles auf Zahlen reduzieren, was in diesem Land geschieht?

Die Autorin würfelt ein paar Zitat zusammen und meint, etwas Wichtiges damit ausgesagt zu haben. Hat sie es wirklich? Am Schluss zitiert sie abermals eine Fachfrau, die uns sagt:

Wenn etwas erlaubt ist, können wir den Menschen nicht vorwerfen, dass sie es tun.

Wenn etwas erlaubt ist, tun es noch lange nicht alle Menschen. Es gibt solche (tatsächlich, man glaubt es kaum, nicht wahr?), die etwas nicht tun, obgleich es erlaubt ist. Und es gibt immer wieder Menschen, die etwas tun, obgleich es verboten ist.

Das Fazit des Artikels kann man einfach formulieren: Je mehr verboten wird, umso eher sinken „die Zahlen“. Das mag stimmen und vielleicht sogar logisch sein. Vielleicht aber auch nicht.

Covid 19: Test, Infektionen und echte Zahlenwerke

Dieser Tage steigt die Anzahl der von den Gesundheitsämtern gemeldeten Covid-19-Infektionen. Aus der Presse und anderen offiziellen Verlautbarungen liegen widersprüchliche Meinungen vor, was dies bedeuten könnte. Während einerseits behauptet wird, die Werte seien nicht mit denen vom April 2020 vergleichbar, weil „mehr getestet würde“, hören wir andererseits, dass die nicht wirklich zutreffend sei. Selbst höchst „offizielle“ und gewöhnlich zuverlässige Quellen verfallen in Widersprüche dieser Art. Was wirklich hilft, ist ein Blick auf verschiedene Zahlenwerke.

Durchseuchung nach verfügbaren Zahlen

Die Durchseuchung bei Covid-19 liegt gegenwärtig nach Infektionszahlen in Deutschland noch unter 0,5 Prozent. Nach Ergebnissen, die von Blutspendern stammten, würde sie bei 1,25 Prozent liegen. Diese Zahl stammt vom August 2020. Zwischen der KW 16 und der KW 39 variierten die festgestellten Zahlen (anhand von Laborproben) um ein Prozent herum.

Mit den festgestellten Werten kann auch der Spekulation vorgebeugt werden, die Durchseuchung sei viel größer oder wesentlich geringer als „offiziell“ bekannt gegeben. Doch bei etwa der gleichen Anzahl von Labortests ergeben sich eben doch Steigerungen bei den „positiv getesteten Fällen“. Die Zahlen dazu sind öffentlich zugänglich.

Haben vermehrte Tests Einfluss auf Infektionszahlen und wie?

Oft wird bei Gesprächen bei Kränzchen und Stammtischen behauptet, die vermehrten Tests hätten einen erheblichen Einfluss auf die Anzahl der Fälle. Um dies zu überprüfen, muss man genauer hinsehen – dazu stehen inzwischen Zahlen zur Verfügung. Ein Vergleich zwischen den Wochen 37 und 41 schafft Klarheit. In dieser Zeit wurden ungefähr gleich viel Tests durchgeführt. In Woche 37 wurden 10.025 Fälle als „positiv getestet“ gemeldet, in Woche 41 waren es 29.003 entsprechend 2,5 Prozent. Inzwischen (KW 42) liegt diese Quote bei 3,6 Prozent. Das ist ohne Zweifel eine deutliche Steigerung der Fälle – kann also nicht auf „vermehrte Tests“ zurückgeführt werden. Es könnte noch andere Gründe für die Steigerung geben – aber sie würden sicherlich keine so erheblichen Veränderungen verursachen. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten.

Was war wirklich los im April 2020?

In der Kalenderwoche 14 (erste Aprilwoche) gab es eine Quote positiv getesteter Laborproben von etwa neun Prozent (9,03) - die höchste, die bisher festgestellt wurde. Unterstellt man gleiche Bedingungen (was nicht sicher ist), dann hätten wir es nun mit etwa 107.850 positiven Labortest pro Woche zu tun (tatsächlich waren es 43.208). Dies unterstützt die seit vorgestern in der Presse und im Rundfunk veröffentlichte Information, die Zahlen von heute seien mit denen vom April 2020 nicht zu vergleichen.

Was heißt das nun für uns?

Zum einen, dass die Situation (nach Zahlen) nicht so dramatisch ist wie im April 2020. Dann aber auch, dass innerhalb von zwei Wochen eine erhebliche Steigerung der Positivquote bei Laboruntersuchungen festzustellen ist - und sie hält an. Man wird sie beobachten müssen. (1)

Drei Anmerkungen zum Verständnis:

1. So ungewöhnlich sind plötzliche Abweichungen bei Labortests nicht: In der Woche 18 und der Woche 20 gab es eine ähnliche Tendenz in Gegenrichtung, nämlich von 3,9 Prozent auf 1,7 Prozent.

2. Labortests sagen nicht aus, wie viele Menschen infiziert wurden, sondern, wie viele Proben positiv getestet wurden. Der Unterschied kommt dadurch zustande, dass manche Personen mehrfach getestet wurden.

3. Die Zahlen, die von den Gesundheitsämtern gemeldet werden, sind zunächst auch „nur“ Zahlen, die an dem betreffenden Tag weitergeleitet wurden. Sie sagen recht wenig darüber aus, wann sich die Personen infiziert haben, wann die Tests durchgeführt wurden und ob es Verzögerungen bei der Bearbeitung gab. Letzteres ist zu vermuten, kann aber nicht verifiziert werden.

Generell, Quellen
(1) Nachtrag: In der Folgewoche (43) waren es 5,6 Prozent)
In diesem Artikel wurden nur verlässliche Zahlen verwendet, die sorgfältig analysiert, verglichen und aufbereitet wurden. Irrtum vorbehalten.
Die verwendeten Zahlenwerte stehen nachvollziehbar und öffentlich zugänglich in der offiziellen Verlautbarung des RKI.

Die Sensationspresse, die Zahlen und das RKI

Die neueste Masche der Sensationspresse: Man bezweifelt Zahlen - und neuerdings auch das RKI, das zuvor noch hoch gelobt wurde.

Ich weiß ja nicht, ihr Pressefuzzis von der Radaupresse, wie oft ihr euch eine „Aktualisierung“ der Zahlen wünscht ... mal eben kurz vor der Mittagspause raufgucken und danach wieder? Was soll der Schwachsinn?

Journallistenkrankheit Zahlenfetischismus?

Angeblich „hochaktuell“: die unterschiedlichen Zahlen zwischen dem RKI und der „ renommierten JHU in Baltimore im US-Bundesstaat Maryland“, die solche Daten in „Echtzeit“ auswertet.

Hallo? Echtzeit? Das klingt so echt, als ob der Klapperstorch die Kinder bringt. Nein, ich zweifele nicht an der JHU - nur daran, ob man in einem fahrenden Zug Passagiere zählen kann, wenn man nicht drin sitzt. Denn will man vergleichen, so wertet man besser, bis der Zug hält: Genau das macht das RKI.

Gerade höre ich aus der Sensationsschleuder, das RKI habe sich „mehrfach geirrt“. Hallo, bitte Gehirn einschalten, bevor ihr so etwas behauptet: Auch Virologen sind tatsächlich Menschen, und Menschen sind keine Hellseher. Was Menschen vielleicht könnten, wäre auf Zahlen und Fakten einer ehemaligen Epidemie oder Pandemie zurückgreifen. Aber die gibt es erstens kaum, und zweitens sind sie nicht vergleichbar.

Und ja ... es gibt vermutlich mehr Fälle, als diejenigen, die dem RKI gemeldet werden, weil manche Infizierte einfach unter dem Radar abtauchen. Aber das Phänomen der „Dunkelziffern“ sollte eigentlich jeder kennen, der sich jemals mit irgendwelchen Statistiken beschäftigt hat.