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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Gesprächsführung und Kommunikationstraining - neu betrachtet

Seminare für Gesprächsführung setzen auf einer sehr einfachen Ebene an: Sie zeigen, wie man Gespräche aufbauen, fortführen und sinnvoll beenden kann. Dazu nutzen sie bestimmte Strukturen, behandeln Frage- und Antworttechniken und beschäftigen sich mit dem Zuhören.

Kommunikationstrainings sind etwas anderes – sie setzen bei den Beziehungen der Menschen zueinander an und lehren, wie man sinnvollere Dialoge führt.

Beide haben ihre Berechtigung – nur haftet den Seminaren für Gesprächsführung immer noch an, manipulativ und über weite Teile „unwissenschaftlich“ zu sein. Kommunikationsseminare hingegen versprechen oft, dass am Ende eine „verbesserte Kommunikation“ herauskommt, was sich mit „mehr Verständnis für einander“ übersetzen ließe.

Wie entstand eigentlich die Idee für Kommunikationsseminare?

In seinem Buch „miteinander reden“ schreibt der bekannte Psychologe und Sachbuchautor Schulz von Thun, sein Modell der zwischenmenschlichen Kommunikation sei „aus der Begegnung von Wissenschaft und Praxis allmählich entstanden“.

Ähnlich ging es fast allen Seminarleitern für Kommunikation der damaligen Zeit (ab 1970): Sie versuchten, auf den Grundlagen von klasssicher Rhetorik, Kybernetik sowie Steuerungs- und Regelungstechnik Fakten zu schaffen. Auf der Seite der wissenschaftlichen Grundlagen standen die Ansätzen von Claude Shannon und Warren Weaver einerseits und Paul Watzlawick andererseits. Das Ziel war allerdings eindeutig: Kommunikation sollte entflochten werden, um sie effektiver zu nutzen.

An wen wenden sich Kommunikationsseminare?

Auch der Einsatz der Seminare verwunderte zunächst: Es ging nicht um Gruppen, mit denen sich Psychologen traditionell bemühen, sondern um Anfragen aus der Wirtschaft, besonders aus dem Bereich des Personalwesens und der Unternehmensführung. Eine „schlanke“, möglichst ehrliche und unmittelbare Kommunikation war das Ziel, das übrigens durchaus wirtschaftliche Gründe hatte. „Kommunikation“ wurde neben Arbeit und Kapital mehr und mehr zum Wirtschaftsfaktor.

In diesen ersten Seminaren tauchten dann auch die beiden Begriffe auf, die bis heute Bestand haben: Jede Kommunikation hat einen Sachaspekt und einen Beziehungsaspekt (nach Pau Watzlawick).

Die Aspekte und die Frage ihrer Bewertung

Die Frage, die sich nach und nach herauskristallisierte, war und ist allerdings, welches Gewicht diese (und mögliche weitere) Aspekte für das Gelingen der Kommunikation hatten. Und in diesem Punkt gehen die Meinungen weiter auseinander. Denn der „Sachaspekt“ ist sozusagen der Angelpunkt der Kommunikation, um den sich die anderen Aspekte versammeln. Der Beziehungsaspekt besteht im Wesentlichen darin, wie jemand angesprochen wird und wie er sich dabei fühlt, in dieser Weise angesprochen zu werden. Also nach Schulz von Thun „akzeptiert und vollwertig“, oder aber „herabgesetzt und bevormundet“.

Und die Frage ist letztendlich: Wie wirkt der Beziehungsaspekt sich auf die endgültige Entscheidung aus? Wir die gute, sorgfältig diskutierte Sache möglicherweise sogar verhindert, weil wir zu viel Rücksicht auf die Gefühlsebenen genommen haben? Können wir überhaupt verhindern, dass sich jemand „herabgesetzt“ wird, weil sein (ihr) Vorschlag nicht in das Resultat der Kommunikation einging? Oder auch: Ist das, was wir daran verbessern können, mehr als Wortkosmetik?

Noch mehr Fragen - und Antworten werden weiterhin gesucht

Fragen über Fragen – und sicherlich Tausende gültige Antworten, die auf diese Fragen gefunden wurden.

Auf ein Thema bin ich noch nicht eingegangen: Gibt es überhaupt einen real messbaren Anteil von „Nachrichteninhalt“ und „Nachrichtenrauschen“ in der Kommunikation? Und wie verhält sich dies beim Sach- oder Beziehungsaspekt? Mit einfachen Worten: Wie hoch ist der Anteil von „Beziehung“, der in einem Satz enthalten ist? Und wenn man jetzt noch etwas höher ins Regal der Psychologie greifen würde: Wie hoch ist der bewusste Anteil? Und wie hoch der Unbewusste?

Ihr seht, das Thema ist noch nicht ausgereizt. Und da wäre noch mehr: Zum Beispiel eine angebliche Kommunikationstheorie nach Sigmund Freud, für die es gar keine gesicherte wissenschaftliche Grundlage gibt. Und wie war das mit Eric Berne, der sich ebenfalls auf Freud beruft? Wenn ihr mehr darüber lesen wollt … ich bin bereit zu schreiben. Und ich diskutiere auch darüber.

Watzlawick, Beavin und Jackson: Menschliche Kommunikation, 1969
Zitat: Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden, Vorwort, 1981.

Tugenfuror - 2021 in neuem Gewand?

Was war das doch noch für ein Aufschrei, als wegen des Aufschreis ausgerechnet Herr Gauck von einem „Tugendfuror“ sprach.

Der legendäre Vorfall und der "#aufschrei

Die Älteren werden sich noch erinnern: Anno 2013 gab es den legendären Vorfall zwischen einer Journalistin und Rainer Brüderle, bei dem dieser verbal übergriffig wurde. Daraufhin startete die Aktivistin Anne Wizorek sozusagen „aus dem Nichts heraus“ über Twitter ihr #aufschrei-Kampagne, auf der letztlich ihr Ruhm basiert. So gut wie alle Medien unterstützten diese Kampagne durch eigene Berichte, sodass Frau Wizorek auch außerhalb von „Twitter“ viel Beachtung fand.

Damals sagte also Herr Gauck (Zitat SPIEGEL):

Wenn so ein Tugendfuror herrscht, bin ich weniger moralisch, als man es von mir als ehemaligem Pfarrer vielleicht erwarten würde.

Was verständlich ist, denn ehemalige Pfarrer wissen zumindest, dass Menschen nicht perfekt sind und dass sie eben dann und wann einmal „sündigen“.

Aber was tat die voreingenommene Presse mit Wonne? Sie schrieb dazu Verrisse ohne Ende.

Kommt der Tugendfuror zurück?

Und nun? Wir befinden uns – acht Jahre nach dem „#Aufschrei“ mitten in einer Diskussion darüber, was gesagt und nicht gesagt werden darf. Die „Gutmenschen“ darf ich so nicht mehr nennen, denn falls ich es häufiger täte, wäre ich ein „Schlechtmensch“. Ich soll das „politisch korrekte Denken“ erlernen, obgleich ich mit Carolin Emcke durchaus der Meinung bin, dass „politische Korrektheit“ eine Beschränkung ist, der sich niemand unterwerfen sollte. Oder im Originalton:

Die Formel “Politisch korrekt” ist das Morsezeichen der Denkfaulen.

Ob dies nun zutrifft oder nicht: Niemand, der schreibt, sollte sich dem Diktat der Horden unterwerfen, die mit religionsähnlichen Parolen durchs Land ziehen. Denn sie erfrechen sich, jeden, den sie nicht mögen, als „Falschmeinend“ zu brandmarken. Vor allem die gegenwärtigen Diskussion um "#allesdichtmachen" beweist nachhaltig, wo wir stehen: am Ende der freien Meinungsäußerung.

Der liberale Standpunkt kommt fast nicht mehr vor

Ob es überhaupt noch einen liberalen Standpunkt geben darf? Jeder, der gegen Meinungsfreiheit polemisiert, sollte sich selbst fragen, was sie ihm wert ist.

Und lasst mich noch dies sagen: Erstaunlich viele Redakteure und Kolumnisten treten heutzutage nur noch dann für die Meinungsfreiheit ein, wenn sie den Ideologien entspricht, die sie im Kopf haben.