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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Leitkultur nach Art des Thomas de Maizière

Ein Innenminister weiß vielleicht, was er für „deutsch“ hält, aber er muss nicht wissen, was Kultur ist. Eigentlich muss es niemand wissen, weil „Kultur“ jeden Tag neu geschaffen wird. Schon daraus ergibt sich, was „Leitkultur“ ist: eine Zementierung des Geistes in konservativem Sinne.

Daher ist „Leitkultur“ ein Mantra der Konservativen, die behaupten es gäbe sie, die „deutsche Leitkultur“. Doch jeder, der sie definiert, muss kläglich versagen. Es sei denn, er definiere sie gar nicht, sondern lehne sich aus dem Fenster, um Sätze abzusondern, die sich für den Wahlkampf eignen. Das langweilt kolossal, und man mag fragen: für wie dumm hält uns der Innenminister eigentlich?

Der Tagespiegel weiß, warum sich der Minister via "BILD am SONNTAG" an sein Volk wendet:

(der Innenminister) … hat ihn geschrieben, weil CDU, CSU und AfD sich das Wort Leitkultur in ihre Parteiprogramme gedruckt haben. Er hat ihn geschrieben, weil er glaubt, dass mehr Menschen, mehr Deutsche, seine CDU wählen werden, wenn er ein wenig über das Deutschsein philosophiert. Es ist zum Heulen.


Ja, es ist zum Heulen. Oder zum Kotzen. Denn wer lebt denn die „Leitkultur“, die auf „Stärke und innerer Sicherheit“ beruht? Oder anders gefragt: was ist „deutsch“ für die Menschen, die CDU-Angehörige so gerne ihr persönliches „Wir“ nennen? Seit wann bin ich (oder Sie) das "Wir" von der CDU Gnaden?

Das Christentum ist - ach - so deutsch

Und das Christentum? Heute Morgen habe ich schon wieder einen Kulturfuzzi im MDR gehört, der orakelte, wie nachhaltig das Christentum in uns wirke, auch wenn wir es verneinen würden. Ach nee. Beruhen „Einigkeit und Recht und Freiheit“ etwa auf dem Christentum? Oder „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit?“ Gedankenfreiheit und Pressfreiheit? Muss man als Deutscher ertragen, wenn „Deutsch sein“ ständig mit „Christ sein“ unterlegt wird? Haben wir kein Grundgesetz mehr, das unsere Freiheit festschreibt und als Verteidigungslinie der Demokratie dient?

"Deutsch sein" ist nicht für jeden Deutschen gleich

Für mich ist „deutsch“ hanseatisches Denken in Einigkeit und Freiheit, das Wagnis, Geist und Emotionen einzusetzen und auf Gewinn zu hoffen, und sicher auch noch viel mehr … aber für wen ist eigentlich was in Deutschland gleich? Wo ist denn das viel beschworene „wir“, wenn sich das Land Bayern und sein Ministerpräsident aufplustert, als wäre dieses Land die Quelle der deutschen Kultur? Krachlederne, Oktoberfest, Dirndl, Fußball und Familienidylle im Dorf?

Nagelt auch eure CDU/CSU-Leitkultur an eure Klowand

Nein, nein – wir haben eine Leitkultur, und sie steht nicht nur im Grundgesetz, sondern sie ist in uns. Und wir alle zusammen bilden diese Kultur und lassen sie nach außen wirken. Und eine Verordnung über eine „Deutsche Leitkultur“ benötigen „wir“ nicht. Wenn sie einzelne CDU oder CSU-Mitglieder benötigen sollten, können sie sich diese ja im Klo an die Wand nageln lassen.

Interessant auch: Kommentar der FAZ.