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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Was bedeutet eigentlich „Schreiben“?

Schreiben für andere bedeutet: Den Versuch zu unternehmen, zunächst mit sich selbst, dann aber auch mit anderen vermittels des geschriebenen Wortes zu kommunizieren.

In der Vergangenheit glaubten Schriftsteller ernstlich, sie könnten etwas schreiben, das von jedem Menschen, der es liest, in gleicher Weise verstanden wird. Das ist ein schwerwiegender Irrtum, der bis heute nicht auszurotten ist.

Im Grunde kennen wie heute die Prozesse, die beim Schreiben (aber auch beim Lesen) stattfinden – ich habe dies andernorts so formuliert (gekürzt):

Unsere Gedanken bestehen aus einem Gemisch aus analoger Sprache und digitaler Sprache. Ein gewaltiger Teil steht dabei in unvollkommenen, bildhaften Vorstellungen im Gehirn, während nur ein kleiner Teil bereits „in Worte vorgefasst“ ist. Wenn wir schreiben, müssen wir aber oft auch den „bildhaften Teil“ in Zeichen setzen, sehr schwer fällt uns dies vor allem, wenn wir über Gefühle schreiben wollen.


Der Irrtum der meisten eher konservativen Autoren besteht darin, dass der Leser später alle seine Gedanken, die ja stets nur unvollkommen „digitalisiert“ (in Sprache umgesetzt) werden konnten, wirklich so versteht, wie er sie geschrieben hat. Tatsächlich aber fängt er mit den reinen Worten gar nichts an – er muss einen großen Anteil erst einmal wieder „analogisieren“, also beispielsweise in Gefühle umsetzen. Diese Prozesse sind jedem Menschen, der etwas von Nachrichtenübermittlung, Kybernetik oder Kommunikation versteht, bekannt.

Erzähl es nicht - verdeutliche es

Die Abhilfe besteht zu einem Teil in einer Schreibtechnik, die man im Englischen „Show, don’t Tell“ nennt. Auf Deutsch etwa: „Zeig es bildhaft, statt es zu erzählen.“ Sozusagen als „Gegenpol“ wird das „narrative Schreiben“ empfohlen, das sich recht schlicht so beschreiben lässt: „Ich der Autor, erzähle dir eine Geschichte, und du verstehst sie bitte so, wie ich sie geschrieben habe.“ Natürlich habe ich diesen Satz überspitzt, aber die darin enthaltene arrogante Botschaft „Versteht mich doch endlich, ihr Idioten“ ist in vielen Stellungnahmen zum Thema enthalten. Man kann diese Ideen als „Old School“ oder geisteswissenschaftliche Überheblichkeit abtun – oder sie einfach nicht zur Kenntnis nehmen.

Der vorweggenommene Dialog

Zurück zum Schreiben: Im Gegensatz zum persönlichen Gespräch, in dem man Fragen, Meinungen äußern oder anderweitig Rückkoppelungen geben kann, ist dies weder dem Autor noch dem Leser möglich. Der Autor hat allerdings den enormen Vorteil, das, was er zu sagen hat, einfacher, klarer und verständlicher zu sagen. Zusätzlich kann er durch eine bildhafte Sprache und den Einsatz von Dialogen verdeutlichen, worauf seine Figuren hinaus wollen.

Ein ausgezeichnetes Mittel ist die „Rückkoppelung mit sich selbst“: Du schreibst, liest es, schreibst es um und liest es noch einmal. Technisch ist dies eine Übersetzung: Analog in digital, digital zurück nach analog, dann verändert in neue Worte, also digital.

Ich versuche nun, den vorausgegangenen Satz zu verständlicher zu schreiben:

Du haust einen Text raus, und denkst: Das sind meine Gedanken. Dann liest du ihn wieder und sagst dir: Der Text sagt meinem Leser nun wirklich nicht, worauf ich hinaus will – ich muss ihn wohl noch bearbeiten, damit meine Leser auch verstehen, was ich damit sagen will.

Und auch das Fazit will ich so einfach wie möglich auszudrücken: Schreiben ist ein Dialog mit dem Leser, den du schon ein bisschen vorweggenommen hast.

Begriffserklärung: „Digitalisieren“ heißt „in Zeichen setzen“, „analogisieren“ heißt es in den natürlichen Fluss zurückzuversetzen, aus dem es entstanden ist.