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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

CDU: konservative Wertepolitik und noch mal Kohl?

Die CDU ist derzeit, auch mit ihrer neuen Galionsfigur, auf dem Retro-Trip. „Konservative Wertepolitik? Was soll denn das sein? Und was soll das mit dem „Wertefundament im Christentum“, das der „Neue“ da verkündet? Der heißt Carsten Linnemann und wiederholt ungefähr das, was die Ära Kohl eingeleitet hat: „Leistung muss wieder lohnen“. Aber das war 1982 - und jetzt schreiben wir, wenn ich nicht irre, 2023.

Mal echt, Herr Linnemann - ist das nicht ein bisschen zu konservativ? Und wie bitte, sieht ein Zukunftsprogramm der CDU aus? Ich meine eines für jetzt, nicht für 1982.

Das Ende der Unfreiheit und Willkürherrschaft vor 30 Jahren

So unsinnig oder sinnvoll die Kommentare über den Mauerfall heute sein mögen: Viele Menschen in der Ex-DDR haben den Wunsch nach Freiheit mit dem Tod oder jahrelanger Haft bezahlt. Im Rechtsstaat wäre das unmöglich – soweit also zur Berechtigung, die Ex-DDR einen Unrechtsstaat zu nennen. Der Mauerfall war das Ende der Unfreiheit und der Willkürherrschaft, der Todesstreifen und der Haft, die denjenigen drohte, die nichts als ihre Freiheit wollten und dabei von den eigenen Landsleuten verraten wurden.

Die Freiheit ist da - die "blühenden Landschaften" waren Kohls Wunschdenken

Nun haben alle die Freiheit, die sie sich gewünscht hatten. Und das ist fürwahr ausgezeichnet. Die Unterschiede zwischen Ost und West sind sicher noch, da – aber sie schwinden, jedenfalls im Alltag. Dogmatiker und Gerechtigkeitsfanatiker mögen das anders sehen. Und nunmehr wir auch klar, dass Helmut Kohl und die damalige CDU-Führungsriege die Lage völlig falsch eingeschätzt hat: „Blühende Landschaften?“ Damit war doch gar nicht zu rechnen – denn woher sollten sie kommen? Landschaften werden nicht von außen zum Blühen gebracht – ihre Blüte, aber auch ihre Früchte, kurz: Die Impulse müssen eben auch von innen kommen.

Daran wird hart gearbeitet, und das erlebe ich jeden Tag. Dabei stellt sich oft auch heraus, dass gar nicht alles möglich ist. Man kann eine Stadt, der die Industrie weggebrochen ist und die an Einwohnerschwund leidet, kaum mehr sanieren, und wenn, dann dauert es sehr, sehr lange.

Klugscheißer nützen weder West noch Ost

Klugscheißer, also Besserwessis und Besserossis, gibt es jeden Tag, Paare mit West-Ost-Wurzeln oder Auslandserfahrungen (in Ost oder West) wenige. Die Kenntnisse im Westen über den Osten sind minimal, die Kenntnisse der Ostdeutschen über den Westen allerdings ebenfalls. Ich hörte ja neulich, dass die USA „uns“ (also dem Westen) ein blühendes Wirtschaftssystem geschenkt hätten. Ich kommentiere solchen Unsinn nicht einmal mehr.

Wer weiß, wie es in der Welt zugeht, und was alles möglich (oder eben äußert schwer zu erreichen) ist, wird kaum jemals mit anderen hadern. Und das wünsche ich mir von Deutschland heute: Nicht hadern, nicht erwarten, keine Ansprüche stellen – sondern das Leben bei den Hörnern packen.

Die neue GeiMoWe des Herrn Dobrindt

Ach nö, Herr Dobrindt: GeiMoWe hatten wir schon mal. Damals, von Herrn Kohl. Es war einer der ersten Fehlleistungen dieses Mannes, dem posthum viel mehr Ehre zuteilwurde, als ihm gebührt.

Später hieß es dann nicht mehr „Geistig moralische Wende“, sondern „Geistig moralische Erneuerung“. Doch da war nichts zu „erneuern“, weil kein Mensch glaubte, dass eine ultrakonservative Rückbesinnung irgendwelchen Nutzen hatte.

Nun will Herr Dobrindt also die neue GeiMoWe, die jetzt BüKoWe heißt: Bürgerlich-Konservative Wende. Die interessiert selbstverständlich auch keinen Menschen, weil „bürgerlich“ aus dem vorvorigen Jahrhundert stammt und „konservativ“ gar keine konkrete Bedeutung mehr hat.

Was bleibt? Ein bisschen Deutschtümelei, Bayerntümelei und Geschwätz über das verbindende Christentum, das auch den meisten Deutschen herzlichen egal ist.

Lesen Sie dazu auch den Artikel des "Tagesspiegels" Und ich sage Ihnen noch, warum die CSU-Leute weder wissen, von was sie reden - noch rechnen können.

Frau Merkel weiß nicht, wer „wir“ ist

Wir - aus der Sicht der Regentin


Das erstaunliche ist oft das Gewöhnliche. Eine Kanzlerin, Repräsentantin eines Volkes, oberste Demokratin, weiß nicht, wer „wir“ ist. Sie erdenkt sich ein „wir“, und das ist es dann.

Das tat auch Humpty Dumpty. Jedenfalls bei Lewis Carroll. Der war erstens Mathematiker und zweitens ein Meister des Worts – und ein großer Kritiker der Obrigkeit.

Jener Humpty Dumpty gab einem Wort die Bedeutung, die ihm gefiel. (1) Und bei der Kanzlerin heißt dieses Wort „wir“.

Denn „wir“ sind mit dem „wir“ offenbar gar nicht gemeint. Dort ist die Kanzlerin, die das Volk nicht kennt – hier ist das Volk, das nicht weiß, wohin der Weg geht, und ihr deshalb nicht folgt. Und sie schließt messerscharf: Das Volk braucht keine Erläuterungen, sondern Erleuchtung.

Wie? Ja, denn das kam heraus bei ihrer Rede vom 07. September 2016 vor dem Deutschen Bundestag. Da fragt Frau Merkel, wie „wir den Menschen Halt und Orientierung“ geben können. Das klingt verdächtig nach Pastorentochter. Und wieder wird uns mulmig, nicht wahr? Wer ist eigentlich „wir“? Und sollten wir „wir“ sein, dann wäre doch die Frage: „ja, und wer sind dann die Menschen?“

Der Spruch: „Wie können wir den Menschen Halt und Orientierung geben?“ mag sich gut anhören – und er taucht im Internet häufig in Zusammenhang mit der Religion oder dem Zerfall der Religion auf. Und wenn wir ein bisschen tiefer graben, was erkennen wir dann? Ziehvater Helmut Kohl hielt eine durchaus vergleichbare Rede, und zwar 1997 – also vor fast 20 Jahren. Auf der „Neunten Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland.“

Es geht dabei um die immateriellen Werte, um unser Verständnis von Freiheit, um die Bedeutung von Tugenden, den Stellenwert der Familie. Es geht nicht zuletzt auch um die Kraft des Glaubens und damit immer auch um die Rolle der Kirchen. Deshalb gilt es, jene Institutionen zu stärken, die Werte vermitteln und den Menschen Halt und Orientierung geben können.


Wie schön, wenn „wir“ nun den Menschen „Halt und Orientierung“ geben sollen (die sie offenbar vermissen). Fragt sich leider immer noch, wer denn nun „Wir“ ist? Ich? Oder Sie?

(1) Text im Original (Zitat)

'When I use a word,' Humpty Dumpty said, in rather a scornful tone, 'it means just what I choose it to mean — neither more nor less.'
'The question is,' said Alice, 'whether you can make words mean so many different things.'
'The question is,' said Humpty Dumpty, 'which is to be master — that's all.'