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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Heimat – wie der Ausdruck missbraucht wird

Heimat ist der Ort, an dem man sich wohlfühlt. Bei Menschen, die zeit ihres Lebens niemals den Standort wechselten, ist es die Region, in der sie geboren wurden.

Das ist wirklich sehr einfach – der Ort, an dem du dich wohlfühlst.

Falschmünzer am Werk - Heimat und Nationalismus

Die Falschmünzer machen etwas anderes aus dem Wort „Heimat“. Die verwechseln es mit „Nationalität“, oder schlimmer noch, mit „nationaler Bodenständigkeit“. Manche denken sogar, dass deutsche Menschen ein spezielles Gen hätten – dann reden sie von Bio-Deutschen.

Für die Landbevölkerung ist die Heimat deutlich umrissen – sie überstreicht das Gebiet, das man erleben oder erwandern kann. Für den Städter oder für Menschen, die häufiger den Standort wechseln, ist es der letzte Ort, an dem sie sich wirklich wohlgefühlt haben.

Die Nation ist etwas anderes, und sie ist oft nicht einmal auf den Staat bezogen, in dem wir leben. Wir können überzeugte Thüringer, Bayern, Niedersachsen oder Bremer sein – jeweils gebunden an die Kultur unserer Geburtsorte oder Gebiete, in denen wir lange gelebt haben.

Was keine Heimat ist? Ein erdachtes Gebilde, das gar nicht existiert. Zum Beispiel „Ostdeutschland“, „Westdeutschland“, „Süddeutschland oder „Norddeutschland“. Zu groß, zu vielfältig.

Deutscher zu sein ist eine Tatsache – es steht in unserem Personalausweis oder in unserem Reisepass. Man kann darauf stolz sein, muss es aber nicht. Man ist es einfach, und zu einem Teil identifiziert man sich damit, wenn man will.

Die Wahlen nahen - die Fakten schwinden

Heute ist der Erste August 2024 – und die Wahlen in Thüringen und Sachsen stehen in einem Monat an. In beiden Ländern hat der Wahlkampf begonnen – und wie zu erwarten mit mehr Versprechungen als Fakten, mehr Ideologien als Realismus und mehr Populismus als jemals zuvor.

Der Populismus begeistert Thüringer und Sachsen

In beiden Ländern – Thüringen wie Sachsen – kommt der Populismus an. Der „Friede“, an sich kein Thema für Landtagswahlen, wird von einigen Parteien benutzt, um den Wähler zu ködern. Die Parteien, die das tun, haben etwas vergessen: Zum Frieden gehört die Freiheit, und beide sind untrennbar verbunden. Jeden für Menschen, die ihre festen Wurzeln in der westlichen Demokratie haben. Und ja: Wir können Freiheit und Gleichheit wählen, aber nicht den Frieden. Ob es uns gelingt, weiterhin in Frieden zu leben, hängt von zwei Komponenten ab: Ob wir im „Inneren“ Frieden finden und ob der Friede von außen bedroht wird.

Innerer Friede, innere Einheit und vor allem Freiheit

Beides ist gegenwärtig im Fluss. Die Bedrohung von außen nimmt zu und der Unfriede innerhalb Deutschlands wird von vielen Kräften geschürt. Von „Einigkeit und Recht und Freiheit“ entfernen wir uns immer mehr. Der Geist der Ideologen, Populisten und Extremisten ist ja schon im Grundsatz unfrei, und das Recht? In manchen Ländern wird versucht, dir richterliche Gewalt auszuhebeln und im Sinne der Regierenden zu nutzen – auch in einem Teil der EU, und als Forderung sogar aus manchen Kreisen in den USA.

Griffige Parolen und drohender Verlust der Demokratie

Uns es beginnt immer gleich: Mit „griffigen“ Parolen, die demokratisch nicht durchsetzbar sind, mit Selbstherrlichkeit und einem kaum verdeckten Nationalismus, den man oft mit „Heimatliebe“ überdeckt. Und die Schuld an allem wird stets den anderen zugewiesen, statt vor der eigenen Tür zu kehren.

Das alles klingt nicht gut, nicht wahr? Was helfen würde, wäre Realismus. Doch daran mangelt es allenthalben – auch bei den Wählerinnen und Wählern.

Unbequeme Wahrheit: Mitbürger, die Deutschland nicht verstehen

Überall wird ja jetzt in „Heimattümelei“ gemacht. Irgendetwas erinnert die Menschen an Heimat. Natürlich auch den MDR, sogar seine Kultursparte.

Zitat (1):

Heimat kann der Ort sein, an dem wir aufgewachsen sind, das Rattern der Güterzüge hinter dem Elternhaus, eine vertraute Landschaft, der kalte Wind der Ostsee im Herbst, der Klang der Muttersprache oder der Duft und der Geschmack von Speisen, die uns glücklich machen.


Diese merkwürdige Verbindung von Gefühlsduselei und Kulturkitsch findet man jetzt überall. Romantik, Rückbesinnung, Nostalgie, Heimat – da kann man sich mal prima verkriechen und einkuscheln in Kunstbegriffe, die uns von den Medien mit der entsprechenden Verherrlichung schmackhaft gemacht werden sollen.

Gedanken sind frei - sogar in der Kitschromantik

Nichts gegen das, was Menschen denken und fühlen. Das ist ihre Privatangelegenheit. Da können sie sich an romantische Liebeserlebnisse, die schöne Zeit bei der Freien Deutschen Jugend (FDJ) oder das Rattern der Güterzüge erinnern.

Aber es geht überhaupt nicht darum. Unsere Zeit erfordert, die Welt zu verstehen – jedenfalls, soweit uns dies möglich ist. Wir müssen uns an komplizierte Prozesse gewöhnen, teils müssen wir uns an sie anpassen, teils müssen wir in sie eingreifen – und wir müssen unseren Standort finden.

Die Integration von Deutschen in Deutschland

Beispielsweise bemühen wir uns ja (angeblich oder tatsächlich) um die Integration von Asylbewerbern. Doch, was ist mit der Integration von Deutschen in Deutschland? Ist es uns wirklich gelungen, jeden Buttfischer, jeden Alpenjodler, jede Kittelträgerin, jeden Nadelstreifenmann, jeden DDR-Nostalgiker und jede Pionierleiterin in „unser“ Deutschland zu integrieren?

Ich als gerade etwas, das mich seit Jahren bewegt (2):

«Viele Einheimische sind mit unserem politischen System unzufrieden oder finden ihren Platz in der deutschen Gesellschaft nicht»


Viele dieser Leute motzen am Stammtisch, auf dem Marktplatz, an der Würstchenbude, an der Wahlurne. Ihr Motzen schlägt sich auch im Parlament nieder. Egal, welchen Bildungsgrad unzufriedene Wähler und Gewählte haben: Sie motzen gerne.

Das politische System ist schwer zu verstehn. Warum wir eine Gewaltenteilung haben, warum die Justiz unabhängig agieren muss, was die Politik bewirken kann und was nicht, warum uns der öffentlich-rechtliche Rundfunk Vorteile bringt und warum andererseits die Presse darüber motzt, wer die Rentenversicherung finanziert und warum das so ist – all das geht vielen Menschen „am Arsch vorbei“. Vor allem aber vielen Deutschen.

Alles Satire? Nein - im Nichtverstehen lauert auch eine Gefahr

Ach, macht nur in Heimat! Verdusselt die Köpfe, romantisiert die Gehirne! Stellt Kitsch auf den Thron statt Wahrheiten – das ist ja so schön, nicht wahr? Aber dann macht euch auch Gedanken darüber, was passiert, wenn die Saat eines Tages aufgeht.

Gut, das, was ich hier schreibe, ist ein bisschen satirisch. Aber diejenigen Deutschen, die ständig herummotzen, alles besser wissen und trotz bester Integration so gar keinen Platz in der Gesellschaft finden – sie müssen zurück in eben diese Gesellschaft, bevor ein Unglück geschieht.

(1) MDR Kultur (früher FIGARO) - nervt täglich im Radio.
(2) WELT

Gehört Bayern (noch) zu Deutschland?

Kreuze gehören zu Deutschland, wie wir aus Autobahnkreuzen, Straßenkreuzungen sowie Kreuzungen bei Pflanzen und auch bei Tieren unschwer entnehmen können. Und schließlich lernen wir in der Fahrschule, was ein Andreaskreuz bedeutet.

Kreuze sind also ein Beispiel deutscher Identität. Warum sollte man sie dann nicht als Staatssymbole verwenden? Und so geht dann der bayrische Staat daran, „im Eingangsbereich aller bayerischen Dienstgebäude“ künftig ein Kreuz aufzuhängen. Nicht irgendein Kreuz, ihr verfluchten Heiden, also kein Foto vom Autobahnkreuz München-Süd. Es muss schon ein Christenkreuz sein.

Das ist – das weiß jeder Bayer – keine Unverschämtheit, sondern, und da zitiere ich mal Herrn Söder, der ja jetzt Ministerpräsident in Bayern ist. Der hat nämlich in bayrischer Heimatkunde immer gut aufgepasst und weiß, dass ein Kreuz „nicht ein Zeichen einer Religion“ ist, sondern ein „Bekenntnis zur Identität Bayerns“.

Woraus sich die Frage ergibt, ob Bayern eigentlich zu Deutschland gehört oder zur (vermutlich katholischen) Kirche. Denn das Kreuz ist ein Symbol der Christen und nicht das Symbol Bayerns.

Und natürlich ist auch die Frage, womit sich ein Bayer eigentlich identifizieren muss, wenn er ein Dienstgebäude des Freistaats betritt. Mit seinem Deutschsein, mit seinem Bayrischsein oder mit seinem Gebetbuch?

Heimat

Straßenkunst an einer Fassade - etwas besseres als den Tod finden wir überall
Nationalismus heißt jetzt Heimatliebe. Jedenfalls nach bayrischer Lesart und leider nicht nur nach bayrischer. Es scheint, als wolle man uns „Heimat“ andrehen, wie es Hausierer tun: Wehe, du akzeptiert den Begriff nicht, dann bist du kein Deutscher, dann hast du auch kein Heimatland.

Ich habe schon ein paar Mal gesagt, dass ich nicht „in Deutschland“, sondern in der ursprünglich britischen Besatzungszone, später dann der amerikanischen Enklave der britischen Besatzungszone geboren wurde. Herkunftsbezeichnung also „Made in U.S.-Zone Germany“. „Deutschland“ existierte damals weder in den Köpfen noch Real. Und das war auch gut so, denn so konnte ich mich auf das Hanseatische besinnen. Noch heute glaube ich, dass der Hanseat dem Briten näher steht als dem Bayern. Sogar in der Sprache.

Heimat und Deutschland sind zweierlei

Heimat? Das war der Bereich, so weit man schauen konnte, und das reichte mir. Und Deutschland? Die Schreihälse wollten ein Deutschland, das mindestens so groß war wie – nein, nicht Großdeutschland, aber so groß wie das „Deutsche Reich“ von 1871, oder mindestens so groß wie 1919. Interessant ist, dass es nicht nur nationalistische Fantasten waren, die das Deutsche Reich in den Grenzen von 1919 wieder herstellten wollten, sondern auch Leute, von denen man so etwas gar nicht vermutet hätte. Federführend für allerlei „Heimat“-Kampagnen war das „Kuratorium unteilbares Deutschland“, das den Slogan „Dreigeteilt? Niemals!“ ausgab.

Thüringer sind auch Würstchen

Was bitte sollte daran Heimat sein? Sicher kam meine Familie aus der Gegend von Erfurt, aber ich war schließlich „hinzugeborener“ Hanseat und kein Thüringer. Und die namensgleichen Würstchen gab es schließlich auch auf dem Liebfrauenkirchhof.

Da wo es Würstchen gibt, das ist mein Heimatland? Ach, du liebes Lieschen. Inzwischen ist mancher brennend heißer Würstchenstand schon geschlossen worden, und kein Geisterchor säuselt mehr „schön war die Zeit“. Und was geblieben ist? Das ist eine Erinnerung an eine viel zu heiße Bratwurst nach Thüringer Art im Brötchen mit Senf. Die letzten Bissen sind mir gut in Erinnerung, wenn sich der Geschmack des Brötchens mit dem Senf und den Gewürzen nach „Thüringer Art“ vereinte. Aber ebenso erinnere ich mich an die Mockturtlesuppe, womit wir wieder dem Vereinigten Königreich näher wären.

Heimat ist das Leben im Inneren - keine Gefühlsduselei

Na klar habe ich Erinnerungen an eine Heimat, aber sie besteht doch nicht aus alten Gemäuern, Wiesen, Wasser und sonderbaren Nahrungsmitteln wie Stinten, Braunkohl und Seemannslabskaus.

Die eigentliche Erinnerung ist das Gefühl, erwünscht, lebendig, lebensfroh und neugierig gewesen zu sein. Sich mit dem Guten der Hansestadt wie auch mit dem Bösen auseinanderzusetzen. Alte Nazis verknöcherte Prokuristen, schnöselige Kaufmannssöhne – aber eben auch weltoffene Menschen, die ihren Blick auf die Welt da draußen richteten.

Ein Leben besteht aus einem Job, mit dem man zufrieden ist, einer Wohnung, in der man gerne lebt, und einer Beziehung, mit der man sich verbunden fühlt. Alle drei Komponenten können wechseln – nichts ist so selbstverständlich wie der Wandel.

Und wie war das nun mit der Heimat? Manchmal gehe ich zurück an einen kleinen, urigen und etwas verwunschenen Ort, den ich seit 50 Jahren kenne, und trinke dort ein Glas Wein. Und das ist dann ein bisschen Heimat.