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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Verlassen werden und das Wort "Warum"

In meinem Zettelkästchen schlummert noch die Dame, die wissen wollte, warum sich Menschen „auf Französisch“ verabschieden. Da die Franzosen das nicht so gerne hören und es eben auch politisch inkorrekt ist, hat man wohl „Ghosting“ erfunden. Jemand verschwindet aus deinem Leben, als wäre er ein Geist.

Zurück zur Frage, die ich für mein Blog ein wenig einfacher formuliert habe, damit niemand aufschreit:

Warum beenden manche Menschen eine Beziehung, ohne einen Grund zu nennen? Wie ticken sie? Fehlt es ihnen an Wertschätzung?

Die Frage fällt in eine Kategorie, die niemand mag. Da wird eine Frage mit „Warum“ in den Raum geworfen, die beantwortet werden soll, ohne irgendwelche Umstände zu kennen.

Wer eine Analyse versucht, kommt beim Begriff „manche Menschen“ nicht weiter. Es gibt sie, die rücksichtslosen Zeitgenossen, Frauen wie Männer. Es gibt auch weibliche wie männliche Feiglinge. Und es gibt - ja wirklich - Frauen und Männer, die nur ungern darüber diskutieren würden, was sie getan oder unterlassen haben.

Die Fragen - zu hoch aufgehängt

Fehlt es ihnen an Wertschätzung? Haben sie kein Einfühlungsvermögen? Ja, es könnte sein.

Beginnen wir mal mit der Wertschätzung - das ist ein relativ komplizierter Begriff. Jemand schätzt einen anderen, und ihm oder ihr wird dabei ein Wert zugemessen. Der Wert verblasst, und es gibt kaum noch Gründe, die Beziehung weiterzuführen. Die Frage ist letztlich, welchen Wert jemand an dem/der anderen geschätzt hat, und warum gerade dieser Wert entschwunden ist.

Und das Einfühlungsvermögen? Es muss ja einmal vorhanden gewesen sein, aber das Entschwinden deutet nun darauf hin, dass es nun nicht mehr vorhanden ist. Reden wir mal Klartext: Wer einen anderen / eine andere verlässt, hat immer einen Grund. Möglicherweise hat er /sie sogar so viel Einfühlungsvermögen, um zu sehen, wie schwer es der /dem anderen fällt, damit umzugehen. Aber er will sich nicht in diese Diskussion einlassen.

Warum, warum, warum ...

Kommen wir zurück zum „Warum“. Die Frage wurde, wie die meisten solcher Fragen, mit Vorurteilen oder Vorverurteilungen beantwortet. Ein Teil vermutet Persönlichkeitsmängel bei der Person, die entschwand. Sie wird großzügig mit Attributen wie Feigheit, Egoismus, Unfähigkeit bedacht. Doch die Wahrheit ist: Niemand weiß es genau - weil niemand die Situation kennt.

Aus der Sicht der Feinsinnigen und Lernbegierigen sieht der Vorfall so aus:

Wenn ich als Partner verlassen werde, will ich eine Erklärung, die ich logisch nachvollziehen kann. Denn aus meinen Fehlern könnte ich lernen oder etwas wieder glätten. Vielleicht kann ich etwas an mir verändern.

Jeder kennt diese Haltung: Es liegt vielleicht an mir, dass dies oder jenes „schiefgelaufen“ ist. Dazu habe ich einen Rat, der weit über das Thema hinausgeht:
Wenn etwas einmal passiert, dann frage dich nach dem „Wie“. Wenn es dir mehrfach in ähnlicher Weise geschieht, frage nach dem „Warum“ und suche dir Hilfe bei Freunden oder Experten. Und stelle dich darauf ein, dein Leben zu verändern.
Die Verschleierung der Wahrheit durch "warum?"

Kommen wir zurück zum „Warum“: Jede Trennung kann irgendwie erklärt werden. Die Frage nach dem „Warum“ erlaubt Antworten in allen Varianten, aber die meisten davon verschleiern die Wahrheit. Es könnte durchaus sein, dass die „wahre“ Wahrheit viel zu peinlich wäre, um sie gegenüber dem Ex-Partner zu äußern - für beide.

Wenn du es wärst - was würde sich für dich ändern?

Und letztlich - was würde sich ändern, wenn der wahre Grund vom Himmel fiele? Was, wenn du erfahren würdest, dass ein ganzes Leben auf einer viel zu instabilen Basis steht? Was, wenn klar würde, dass du dir selber etwas vorspielst?

Vielleicht würdest du es gar nicht glauben, weil derjenige, der es dir sagt, längst bei dir „untendurch“ ist?

Dann könntest du dich erneut fragen: „Warum sagt er mir solche Dinge?“ Und vielleicht ins nächste Forum gehen und dort nachfragen. Und wieder Antworten bekommen, die für dich - gar nichts wert sind. Also - nimm meinen Rat an: Lass es bleiben, öffentlich nach dem „Warum“ zu fragen, das deine Befindlichkeit ausgelöst hat.

Hinweis: Die Zitate wurden teilweise "sinnerhaltend verändert". Meine Original-Antwort wurde bewusst nicht zitiert.

Der Deutsche und die Angst vor dem Kompromiss

Als Antwortgeber zu kritischen Fragen muss man manche Kröte schlucken: Einmal wird man mit „Alternativfragen“ gefoppt, dann wird eine Behauptung hinter ein „Warum“ gehängt. Jüngstes Beispiel aus meiner Praxis (1):

Warum ist ein Kompromiss nur ein guter Kompromiss, wenn alle leiden?

Ich habe mir lange überlegt, wie „deutsch“ die Frage ist – doch während meiner (theoretischen wie praktischen) Beschäftigung mit der Partnerwahl oder Partnersuche bin ich dem Begriff oft in negativem Zusammenhang begegnet. Dort hieß es dann oftmals, „Kompromisse kommen für mich nicht infrage.“

Wenn kein Kompromiss infrage kommt, gibt es oft auch keine Lösung

Die Sache ist wirklich eigenartig: Wenn für beide keine Kompromisse infrage kommen, werden beide nicht lange zusammenleben können. Was letztlich heißt: Kompromisslosigkeit bedeutet dauerhafte Beziehungslosigkeit. Und bevor ihr fragt: Mein, ich kann das nicht exakt statistisch beweisen. Aber ich höre oft das Lamento jener, die „kompromisslose“ Beziehungen wollten.

Die Abwertung des Kompromisses in Deutschland - erst im 20. Jahrhundert?

Zurück zu anderen Kompromissen und der Frage: Ist es einfach „deutsch“, Kompromisse abzuwerten? Offenbar war das nicht immer so. Das deutsche Kaiserreich bestand zwischen 1871 und 1918. In diese Zeit fallen auch meine ersten Quellen, die nicht darauf hindeuten, dass „Deutsch sein“ auch „Kompromisslos sein“ bedeutet:

So meint Meyers: (1885-1892)( Anm. 2).

(Ein Kompromiss ist) … im Allgemeinen jede Übereinkunft zum Behuf der Beilegung eines Streits.

Brockhaus (1894 – 1896) sieht es kaum anders:
Ein gegenseitiges Versprechen, Vereinbarung … sich unter wechselseitigem Nachgeben über eine Angelegenheit verständigen.


Wann der wichtige und menschenfreundliche Kompromiss in die Schmutzabteilung gekommen ist, kann ich nicht eindeutig sagen. Ich zitiere jedoch Wikipedia. Das Lexikon bleibt hinsichtlich des genauen Zeitpunkts unsicher und verwendet das Wort „früher“:

Der Kompromiss wurde früher als „undeutsch“ gebrandmarkt.

Geben andere mehr Aufschluss)? Ich zitiere (3):

In Kaiserzeit und Weimarer Republik galt der Kompromiss als ‚undeutsch‘. Man setzte sich durch, ganz oder gar nicht: Kompromisse waren etwas für Weicheier. Auch in der Politik.

Man erkennt den Widerspruch zwischen den Lexika des 19. Jahrhunderts und der vorausgegangenen Aussage: Nein, die „Kaiserzeit“ kann es nicht gewesen sein. Wahrscheinlicher, dass der Begriff des Kompromisses erst in der Weimarer Republik gebrandmarkt wurde. Immerhin soll sich dies nach 1945 geändert haben (4):

Deutschland war bis 1945 ein kompromissfeindliches Land; ein politischer Kompromiss galt als Verrat - als Verrat der Ideale, als Produkt ängstlichen Einknickens und als Ergebnis fehlenden Rückgrats.


Was änderte sich wirklich nach 1945? An den Lebensumständen sicherlich sehr viel, doch der Geist meiner Mitmenschen in deutschen Landen haderte weiterhin mit dem Begriff des sinnvollen oder gar segensreichen Kompromisses. Der Begriff des „faulen Kompromisses“ steckt noch tief in manchen Hirnen.

Ein kleiner Lichtblick - der Kompromiss wird heute etwas positiver gesehen

Dafür sprechen auch die Untersuchungen der Uni Leipzig (5): Sie verzeichneten sie als „linken Nachbarn“ des Wortes „Kompromiss“ immer noch in hohem Maße das Negative. Immerhin 2622-mal erwischten sie „faul“ neben dem Kompromiss. Dennoch ergab sich in den letzten Jahren eine Trendwende, denn „rechte Nachbar“ wie „gut“, „vernünftig“ und „tragfähig“ kamen immerhin gemeinsam auf 3171 Erwähnungen.

Hoffen wir, dass sich überall in der deutschen Sprache durchsetzt, den Begriff „Kompromiss“ als das zu sehen, was er ist: Ein Ausgleich der Interessen.
(1) Quora-Anfrage
(2) Retrolib, Brockhaus aus gleicher Quelle.
(3) Demokratiegeschichte.
(4) Süddeutsche Zeitung.
(5) Uni Leipzig.

Dumme Fragen

Wer behauptet, es gäbe keine dummen Fragen, war noch nie in einem Forum, auf dem Fragen beantwortet werden. „Dumm“ sind Fragen nämlich immer dann, wenn sie Behauptungen, Antworten oder sinnlose Alternativen enthalten. Sie können natürlich auch so dreist sein, dass sich die Lachmuskeln rühren. Zum Beispiel „was unterscheidet eigentlich Frauen und Männer wirklich?“

Also sagen wir mal kurz: Es gibt naive Fragen und manipulative Fragen. Wer tatsächlich etwas wissen will, fragt nicht „dumm“.

Rein theoretisch lautet die klassische Fragekette: „Was ist es, wie es ist es und was bedeutet dies für (...)“.

Der Befragte hat daraufhin die Möglichkeit, weit auszuholen. Ein Teil der Fragesteller befürchtet dies, ein anderer Teil hat genau diese Absicht. Wer eine Frage im Dialog „betont offen“ stellt, will mehr erfahren, als die Frage beinhaltet. Das ist legitim, denn dann hat er die Möglichkeit, das Gespräch zu lenken. Es ist also sehr einfach, kluge Fragen zu stellen.

Eines der Probleme der Menschen heutzutage: Sie fürchten sogenannte “peinliche“ Gesprächspausen“ und grätschen deshalb frühzeitig in die Antwort hinein.

Das kannst du verhindern, indem du „aktiv zuhörst“. Die Technik ist relativ leicht erlernbar. Und bevor eine Gesprächspause „peinlich“ wird, vergeht wirklich viel Zeit. Und wenn es doch zu einer längeren Pause kommen sollte? Dann beweise, dass du gut zugehört hast. Etwa: „Du sagtest gerade, du würdest gerne ... welche Pläne hast du im Moment dafür?“

Ein anderer wird dir nie gerne antworten, wenn du ihm zeigst, dass es dich im Grunde gar nicht interessiert. Also bleibe interessiert, dann gibt’ es auch kaum Gesprächspausen.

Untugenden - nicht nur in Deutschland

Viel zu viele Menschen glauben, viel zu viel Dinge kommentieren zu müssen – das ist die moderne Welt, in der die Antworten schon gegeben werden, bevor die Fragen zu Ende formuliert werden können.

Dabei zählt Schnelligkeit vor Bedacht, Halbbildung vor Klugheit, und leider eben auch Hass vor Abwägung. Die größte deutsche Untugend, die Neidhammelei, habe ich dabei noch gar nicht bedacht.

Wir sind nicht die anderen. Und die andern sind nicht wir. Wir gehen nicht in ihren Schuhen und sie nicht in unseren.

Und ja: Auch ich bin gelegentlich wütend. Und wirklich in Rage bringen mich die Menschen, die glauben, sie seien gebildet – und allein dies gäbe ihnen das Recht, nicht klug zu werden.

Fragen und Antworten

Antworten sind billig – da gehen 12 aufs Dutzend und eine kommt noch obendrauf. Fragen hingegen sind kompliziert – du musst zuvor dein Gehirn nutzen, um die richtigen und sinnvollen Fragen zu stellen. Dann musst du bereit sein, dich zu überwinden, auch unbequemen Fragen zu stellen. Und wenn alles fein herausgearbeitet ist, musst du auch noch darüber schreiben.

Es ist viel komplizierter, kluge, zutreffende und sinnreiche Fragen zu stellen als einfache Antworten zu geben. Antworten können vorgefertigt, plakativ, nicht zum Thema gehörig oder einfach dumm sein. Fragen hingegen verlangen Klugheit und Einfühlungsvermögen, Mut und Logik.

Main Rat an euch alle: Hört nicht denjenigen zu, die euch mit Antworten zuschütten. Spitz die Ohren für jene, die euch die richtigen Fragen stellen.

Sehpferd sieht es - Sehpferd hört es - Sehpferd weiß es