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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Gefühle im Bildungsbürger-Deutsch: die Empathie

Heute bin ich - nicht zum ersten Mal - über die „Verwissenschaftlichung“ der Sprache gestolpert. Sie begann, als sich betuchte Bürger aus den (damals sehr teuren) Konversationslexika informierten und dieses Wissen oder Halbwissen dann bei Begegnungen lebhaft verwendeten. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts steuern Psychologie und Soziologie zahllose Begriffe bei, deren Bedeutung eher „nebulös“ ist.

Unwort "Empathie"

Nun - mein Wort für heute war „Empathie“. Das Wort steht für eine Fülle von Gefühlen, die mit dem „Verständnis für andere“ zusammenhängen. Wahrscheinlich könnte man Buch über diese Vorgänge schreiben. Es würde von der Entstehung über die Möglichkeiten und Auswirkungen reichen bis zu den Prozessen, die nötig sind, um solche Gefühle zu haben, zu erfühlen oder zu übermitteln.

Das macht aber kaum jemand. Stattdessen wir plakativ behauptet, dies oder jenes sei „Empathie“.

Ei, ei - da ist Widerspruch angebracht - denn das Wort existierte bis weit nach 1900 nicht einmal im Bildungsbürgerdeutsch. Die Tatsache ist leicht, zu beweisen, weil es in den gängigen Konversationslexika fehlt. Bis etwa 1990 (!) kam es auch in der Presse kaum vor - und heute ist es zu einem Modewort geworden.

Ist das Etikett weg, steht der Begriff nackt da

Wenn man das Wort entzaubert und die „Verwissenschaftlichung“ wegnimmt, also das Etikett abzieht, entdeckt man dahinter einen großen Strauß von Gefühlen. Alle basieren mehr oder weniger auf dem Versuch, andere Menschen in ihrem Sein und Fühlen besser zu verstehen.Oder, wie jemand schrieb, die „schwierige und berechnende Aufgabe wahrzunehmen, sich in andere hineinzuversetzen. Das ist eine brauchbare Formulierung, die den üblichen „Gefühlskitsch“ vermeidet.

Erläutern statt Psycho-Geplapper

Der verlinkte Artikel zeigt, dass wir alle verlieren, wenn wir das übliche „Psychogeplapper“ verwenden. Was wirklich nötig ist? Wir müssen uns (auch wenn das sehr rational klingt) über die Prozesse klar werden, die wir benutzen, wenn wir Gefühle verstehen wollen oder von anderen in unseren Gefühlen verstanden werden wollen. Und nur nebenbei: „Verstehen“ ist erlernbar, und ebenfalls erlernbar ist, jemandem das Gefühl zu geben, verstanden zu werden.

Und was sagt uns das?

Je mehr wir Begriffe nachplappern, die wir nicht verstanden haben, umso mehr Schaden richten wir an. Wollen wir hingegen Nutzen stiften, so tun wir gut daran, die Hintergründe menschlicher Gefühlsregungen zu begreifen und unser Verständnis zu vermitteln.

Quellen und zum Weiterlesen:

Ausführliche Beschreibung der Empathie - Gedankenwelt.
Inflation des Begriffs: dwds
Häufigkeit und Verwendung heute: Uni Leipzig
Für Menschen, die sich mit Fremdwörtern schmücken wollen: Bildungssprache
Referenz Konversationslexika: Meyers, Leipzig 1994.



Aktives Zuhören in der Diskussion

Jüngst habe ich eine Frage zum „aktiven Zuhören“ beantwortet. Ich selbst hatte eine andere Auffassung als einige andere Berater. Ich gestehe durchaus, dass mein Können und Wissen nicht mehr ganz taufrisch ist.

Wem nützt das "aktive Zuhören"?

Dennoch ist mir etwas aufgefallen: Überwiegend denken die heutigen Menschen, das „aktive Zuhören“ sei eine Technik, die ihnen nützen würde, etwas zu verstehen. Das passt zum „Optimierungsanspruch“ des heutigen Menschen. Etwas für sich zu tun, damit man „besser“ wird. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit, denn das „Aktiv Zuhören“ ist noch viel mehr. Einerseits ist es eine milde, aber durchaus wirksame Methode der Manipulation, dann ist es eine ausgesprochen einfache und effektive Methode, jemand anderen dabei zu helfen, mentale Schwierigkeiten zu beseitigen.

Carl Rogers schrieb zu den mentalen Problemen:

(… diese Methode ist …) der effektivste uns bekannte Weg zur Veränderung der grundlegenden Persönlichkeitsstruktur … wenn ich zuhören kann, was er mir erzählt; wenn ich verstehen kann, wie ihm dabei zumute ist, wenn ich erkennen kann, was das für ihn persönlich bedeutet … dann setze ich die mächtigen Kräfte der Veränderung in ihm frei.


Teil einer Wissenschaft oder nur eine Methode?

Seit Rogers darüber schrieb und Erfolg mit dieser Methode hatte, wurde sie als „wissenschaftlich“ angesehen und im weiteren Verlauf immer mehr verwissenschaftlicht. In Wahrheit ist es allerdings eine Kommunikationstechnik, und sie findet in der objektiven wie in der manipulativen Beratung ihre Anwendungen. Denn anders als Rogers (der ein Psychotherapeut war) vermutete, ist die „Echtheit“ des Dialogs weniger entscheidend als das Gefühl, ernst genommen zu werden.

Unter der Lupe: Was genau passiert eigentlich?

Wenn wir die Sache genau nehmen, dann ist diese Form der Beratung, und vor allem das aktive Zuhören, weder eine Beziehungsfrage noch eine Frage der Empathie. Rein theoretisch versuchen Therapeut oder Verkäufer lediglich, den Gedankengängen ihrer jeweiligen „Kundschaft“ zu folgen. Das heißt für den aktiven Zuhörer, ganz dem zu folgen, was der „K“ denkt und auch dessen Widersprüche oder Zweifel zu erkennen.

Keine Energien aufbauen, sondern lenken

Wenn ich dies mit einem Beispiel aus der Kybernetik untermauern darf: Der „K“ (Kunde, Klient, Schüler, Ratsuchende) produziert mehr als genug Energie, um seine Schwierigkeiten zu überwinden. Der „T“ (Verkäufer, Therapeut, Lehrer, Berater) versucht lediglich, diesen Prozess zu lenken. Rogers selber hat in ähnlichem Sinne von einem „selbstaktualisierenden Prozess“ der Persönlichkeitsentwicklung gesprochen.

Diskussion - wie viel Empathie ist sinnvoll?

Man kann, darf und soll anderer Meinung sein. Carl Rogers hatte – dem Zeitgeist entsprechend – eine auf „Empathie“ und „bedingungslose Wertschätzung“ aufbauende Therapie im Auge. Andere hatten eine Werkzeugkiste von Gesprächstechniken im Gepäck, die auch ohne diese Ansprüche auskam.

Der Hintergrund ist einfach: Die Empathie (echtes Mitgefühl) ist ein hohes und rares Gut, welches (wie die Liebe) nicht unerschöpflich ist. Heißt: Das Emotionskonto, auf dem sie liegt, wird nicht „selbsttätig“ wieder aufgefüllt, sondern muss mit aufwendigen Maßnahmen gepflegt werden. Also tun Berater gut daran, das „Mitgefühl“ durch Verständnis zu ersetzen. Ein letztes Beispiel mag erhellen, warum wir „den Ball etwas flacher halten sollten.“

Wenn ein Kunde einen technischen Berater konsultiert, will er auf keinen Fall dessen gesamtes Wissen teilen. Der Berater wird ihm zuhören, versuchen, die Schwierigkeiten zu erfassen und den kleinen Teil dazu beitragen, der den Kunden zur Lösung führt.

Wenn nun ein Ratsuchender in einer persönlichen Frage (beispielsweise einer Beziehung) unschlüssig ist, benötigt er keinesfalls das geballte Verständnis des Beraters. Ihm reicht völlig, den Knoten aufzulösen, der ihn „unschlüssig festhält“. Gelingt es dem Berater also, die Schwierigkeit durch Zuhören zu erfassen und „auf den Punkt zu bringen“, so wird der Ratsuchende die Lösung letztlich aus eigener Kraft finden.

Zitat Rogers: („Die Entwicklung der Persönlichkeit“, 1961)