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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Beschwörungen und Versagen in der Pandemie

Die weiteren Aussichten ...
Das gegenwärtige Mantra heißt: Es ist wirklich schlimm, aber habt Geduld ... und vor allem: Nutzt nicht das rosarote Fernglas, sondern … ja, was denn eigentlich? Die grauen Novembertage? Das Abdriften die Depression? Oder gar Selbst-Geißelungen?

Richtig ist: Wir sollen damit aufhören, die Schuld zu suchen. Sie wechselt in der Bevölkerung wie in den Medien zwischen der forschen Kanzlerin, den mahnenden Ministerpräsidenten, der drängenden Wirtschaft und dem Volk, das die Nase voll hat von den ständigen Durchhalteparolen, die umso unglaubwürdiger werden, je öfter die Protagonisten vor die Fernsehkameras treten. Kommentatoren und Politiker ziehen hier durchaus am gleichen Strang: Ich sah und hörte gerade den Meinungsbeitrag von Bettina Schön, die für die ARD kommentierte.

Die Frage, die sich Frau Schön und alle anderen stellen sollten, die jetzt immer noch Appelle ans Volk richten, wäre nur eine einzige: Was ist so falsch daran, sich jetzt selbst eine Welt voller Hoffnung und Zuversicht, aber ohne Zeitlimit aufzubauen?

Gebetsmühlen mit versteckten Schuldzuweisungen

Das Problem bei den gebetsmühlenartig vorgetragenen Appellen ist ja nicht nur, das sie abnutzen, sondern dass in Ihnen dein Unterton mitschwingt. Denn jene, an die solche Appelle gerichtet sind, werden unterschwellig eben doch bezichtigt, „Schuld“ zu sein. Oder wenigstens an einer „Verschlechterung“ mitzuwirken - und falls das noch nicht reicht, zumindest daran, dass sich nichts “signifikant verbessert“.

Jeder Mensch braucht die Hoffnung auf die Zukunft - in ihr werden wir leben. Ich halte für extrem fahrlässig, die rosarote Brille ganz abzusetzen und stattdessen in grauen Wolken zu versinken - gerade im November.

Bliebe ein Nachtrag: Sehr auffällig ist, dass man den „braven Landeskindern“ noch vor 14 Tagen ein schöneres Weihnachten versprochen hat, nun aber von monatelanger Vergrauung redet. Wen wundert es eigentlich noch, wenn immer mehr Menschen das Vertrauen in die Gesundheitspolitik verlieren? Und was sollen wir von einer Regierung halten, die bei hoher See offenbar ohne Navigation durch dichten Nebel fährt?

Erhellend: DIE ZEIT.

Corona - die eigenartigen Ansichten über UNS

Was mag in die Journalistin Sabine Kinkartz und die Deutsche Welle gefahren sein, nun auch „in Gesinnungsappellen“ zu machen? (1)

Der Anfang ist so dramatisch, dass ich ihn hier einmal in (fast) voller Länge zitieren muss (2):

Viele Deutsche stecken den Kopf in den Sand. Sie wollen nicht wahrhaben, dass die Pandemie uns wieder eingeholt hat und die zweite Welle mit großer Wucht alles hinwegfegt, was in den vergangenen Monaten erreicht wurde. Sie tragen Masken, halten Abstand, lüften, waschen sich die Hände… “

Das klingt seltsam, nicht wahr? Wir machen alles richtig und denken falsch? Aus welcher Kiste der Erleuchtung wird denn so etwas geschöpft?

Wir müssen nicht lange suchen – es ist die Kanzlerin, die nun ins Rampenlicht gestellt wird (3).

Es geht nicht um ein Hygienekonzept für dieses Restaurant oder ein anderes, sondern um ein Konzept, mit dem 75 Prozent aller Kontakte reduziert werden können.


Man kann der Kanzlerin nicht verübeln, solche Sätze auszusprechen. Irgendjemand wird sie für sie aufgeschrieben haben. Doch bitte, muss man als Journalistin nun noch eines draufsetzen und schreiben (2):

75 Prozent! Diese Zahl muss ein Weckruf für alle sein. Auch und gerade für diejenigen, die den Ernst der Lage noch nicht wahrhaben wollen.

Und weil das Zitieren einer Zahl offenbar so viel Freude macht, wird gleich noch mal nachgelegt (2):

75 Prozent weniger Kontakte sind nicht zu erreichen, wenn nicht jeder Einzelne sein Verhalten überdenkt und gegebenenfalls ändert.

Woher werden solche Zahlen bezogen? Haben sie bestand? Und was bedeuten sie wirklich? Fasst euch mal bitte mal an die eigene Nase (ich weiß, das sollte man jetzt auch nicht tun) – aber wie reduzierst DU und DU und DU da drüben eigentlich deine Kontakte um 75 Prozent? Ich überlasse anderen darüber Glossen zu schreiben.

Fehlt da nicht etwas? Richtig – eine Regierung, die appelliert und irgendwie versucht, Aktionismus zu zeigen, um davon abzulenken, dass sie völlig unvorbereitet in die „zweite“ Welle hineingeschlittert ist – und noch heute fehlen zeitgerechte Konzepte für Gesundheitsämter. Und überhaupt – wäre man auch auf den „Worst Worst Case“ vorbereitet, falls die Maßnahmen nicht halten, was man sich davon verspricht? Stattdessen schreibt die Hauptstadtjournalistin (2),

„Würde die Politik dem Infektionsgeschehen tatenlos zuschauen, würde das deutsche Gesundheitssystem in 20 bis 30 Tagen kollabieren.“

Da läge doch nahe, mal nachzufragen: Und was wäre, wenn es dennoch zusammenbrechen würde vor lauter Appellen, Schwarze-Peter-Spielen und Planlosigkeit?

Als besonders infam empfinde ich allerdings, dass gleich zu Beginn des Artikels die Gutwilligen diskreditiert werden.

Und woran erinnert mich das alles? An bestimmte Herrscher und Feldherren, die vor der Schlacht zu ihren Soldaten sprechen, wohlwissend, dass es „Verluste“ gibt.

Apropos 75 Prozent - auch nicht sehr erhellend (4):

Die renommiertesten Expertinnen und Experten bestätigen, dass das Virus von Kontakten lebt und wir daher persönliche Kontakte um 75 Prozent reduzieren müssen.

Ach du liebes bisschen – klar leben Viren von Kontakten, bestreitet das etwa jemand?

(1) Mir ist bewusst, dass es ich um einen Meinungsbeitrag handelt, aber er steht an exponierter Stelle im Online-Auftritt der Deutschen Welle)
(2) Deutsche Welle - Kommentar der Journalistin.
(3) Kanzlerin, aus dem vorgenannten Artikel zitiert.
(4) Baden-Württemberg - Service.

Am Rande der Krise - merkwürdige Zwischenrufe

Nun wissen wir es also aus „berufenem“ Munde (1):

Wenn manche Bürger trotz der Informationsfluten die Lage immer noch nicht ernst (... nähmen, dann sei dies ...) eine Angstverdrängung und die Reaktion darauf (... sei ...) dann die Verharmlosung.

Könnt es vielleicht sein, Frau Diplompsychologin, dass die Menschen von der Informationsflut als solche verunsichert worden sind, insbesondere davon, täglich Meldungen zu hören, die von denen vom Vortag abweichen? Könnte es nicht auch sein dass sie sich nicht wie in einem geordneten Krisenmanagement, sondern in einer Geisterbahn fühlen, in der man nicht weiß, was morgen aus dem Fernseher tönt?

Sorge um die Demokratie

Sagen wir doch mal klipp und klar: Wir haben zuerst Vorschläge gehört, dann Appelle und nun also Verbote. Gelegentlich hört man sogar, dass die Gesetze außer Kraft gesetzt werden sollen und sich mancher wünscht, nun mit einer Notstandsverordnung regieren zu dürfen.

Das Gerede von der Angst und die tatsächliche Furcht

Bliebe noch die Angst, und da spricht die Dame aus der Psychologie gleich mal von „Angstverdrängung“ ohne zu sagen, wovor die Menschen in den Regionen Angst haben: Natürlich davor, infiziert zu werden - aber auch davor, die Grundlage ihrer Existenz zu verlieren. Beides ist eine reale Bedrohung, und sie trifft die Menschen unterschiedlich: Manche sind bedroht, und handeln vernünftig und - hoffentlich - nicht unvernünftig. Andere können jetzt gar nicht „unvernünftig“ oder „vernünftig“ handeln, weil ihnen der Staat das Gesetz des Handelns aus der Hand genommen hat. Und weil der Begriff der „Angst“ gefallen ist: Mancher spricht schon von einer „Coronaphobie“. (2) Das mag übertrieben sein - aber die Politik bleibt uns die Antwort schuldig, was sie außer den Appellen und Verboten noch im Sack hat.

Wir sind gerne vernünftig - auch ohne Psychologie-Lehrbuch

Es kann ja sein, dass all die Einschränkungen notwendig sind. Und das Volk sieht auch gerne ein, dass es manchmal nötig ist, einen unbequemen Weg zu gehen, um am Ende wieder glücklich lachen zu können.

Doch wie hoch muss der Beobachtungsplatz hoch über den Wolken eigentlich sein, um einem Volk zu sagen, es verdränge die Angst, um die Situation zu verharmlosen? Steht das so im Lehrbuch? Hat die Psychologin das anhand der Kontakte, die sie sicher trotz des Virus hat, jüngst beobachten können? Und wenn ja, an wem?

Es ist sicher sinnreich, Menschen zu erklären, was Viren sind, wie sie wirken und wie man sich gegen sie schützen kann. Aber ich denke, mit unserer Angst oder mit der Bewältigung unsere Angst, inklusive der Verdrängung, muss jeder selbst umgehen.

Appelle müssen sein - aber bitte sinnvoll

Halten wir mal fest: „Die Lage“ gibt’s nicht, auch wenn dies aus vielen Mündern herausquillt. Jeder ist in einer anderen Lage, hat andere Befürchtungen und andere Hoffnungen und immer noch hat jeder die Möglichkeit, gewisse Freiheiten zu genießen. Und das, was die Fernsehgesichter und jetzt sagen, sind Appelle und nicht etwas ewige Wahrheiten. Der sinnvollste Appell kam im Übrigen vom Bundespräsidenten (3,4) - also jemandem, der nicht nötig hat, vor der Kamera nach Popularität zu heischen, während andere Politiker dies dieser Tage durchaus tun.

Ich habe diese Appelle gehört - und alle anderen inzwischen wohl auch. Und ich hoffe, dass möglichst viele Menschen sie nach ihren Möglichkeiten befolgen.

Wenn ihr mich persönlich fragen solltet: ja, ich habe schon am Freitag damit begonnen, nachdem ein umsichtiger Mensch die Vernunft besaß, eine Veranstaltung abzusagen.

(1) Zitat aus "Hart aber Fair"
(2) Heise kritisiert Coronaphobie
(3) Der Stern berichtete über die Rede - andere taten nicht einmal das.
(4) Die Rede in Text, Ton und Bild.