Skip to content
Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Gibt es überhaupt ein "Selbst"?

Heute hatte ich eine Anfrage darüber, wie man sein „inneres Selbst“ verbessern könne.

Nun ist dieses „Selbst“ ein Begriff, der vor langer Zeit (ab den 1970er-Jahren) häufig in der Psychologie benutzt wurde und der auch in früheren Zeiten schon in die Esoterik einging.

Um es zunächst klar und unmissverständlich zu sagen: Das „Selbst“ ist immer „innen“. Namen, Definitionen und Betrachtungsweisen wechseln allerdings im Lauf der Geschichte - insbesondere seit Beginn dem 20. Jahrhundert.

Die vielen, vielen Zustände, die wir als Selbst bezeichnen

- Zuerst war nur das ICH, auch als EGO bekannt. Es ist weiterhin gültig, nämlich als die Instanz, die uns ermöglicht, uns selbst wahrzunehmen.
- Seit Sigmund Freud spricht man von auch von einem dreigeteilten ICH, also dem ICH, dem ES und dem ÜBER-ICH.
- Der überwiegende Teil der Psychologen versucht heute, das „ich“ (oder alle ICHs) weitgehend durch das „Selbst“ zu ersetzen.
- Der für andere sichtbare Teil des Selbst wird oft als „Persönlichkeit“ bezeichnet, die sich in „Merkmalen“ zeigt.
- Als das „Innere Selbst“ werden in der Esoterik (auch in esoterischen Zusammenhängen mit der Psychologie) oft „verborgene Eigenschaften“ unterstellt, die durch „Maßnahmen“ erweckt werden können.
- Kybernetisch orientierte Menschen sprechen von einem „inneren Modell“ der Wirklichkeit, das uns hilft, im Alltag sinnvoll und folgerichtig zu handeln. Je mehr sich dieses Modell an der Realität orientiert, umso zuverlässiger ist es einsetzbar.
- Neuerdings wird angenommen, dass alle „Instanzen“ des Selbst durch Lernen entstehen und in einer Weise im Gehirn abgespeichert werden, die auch das „Ich“ (oder das Selbst) beinhaltet.
- Noch weiter gehen mache Ansichten, die auf der Gehirnforschung basieren: Demnach existiert das ICH nicht einmal als feste Instanz - es muss vielmehr ständig vom Gehirn neu gebildet werden. Demnach wäre das ICH eine Konstruktion, die sich ständig verändert.

Was sagt uns all dies?

Je mehr die Wissenschaft in die wahren Funktionen des Gehirns eindringt, umso mehr verschwinden die „liebgewohnten“ Begriffe, die jeder Gymnasiast einmal erlernt hat - und bis heute noch vermittelt bekommt. Doch dabei kommen auch die alten Sehnsüchte wieder auf, dass es „etwas“ geben müsse, was „über den rationalen Denkweisen“ stünde. Genau an diesem Punkt setzt die Esoterik an, die uns sagen will: „Schau, es gibt da etwas, dass du nun kannst, um auf ein „höheres“ Niveau des Selbst oder des Bewusstseins zu kommen.“

Dies mag eine schöne, positive Konstruktion einer Vorstellung sein - aber es hat wenig mit unserer Existenz zu tun.

Gefühle

Neben Gedanken beherrschen vor allem Gefühle unser Leben. Gefühle sind natürlich, und wie alles Natürliche, sind sie innerhalb der Evolution entstanden. Psychologen haben sich ihrer bemächtigt und bezeichnen sie mit vielen Namen. Die Theorie spricht von fünf „Grundgefühlen“, aber in Wahrheit herrscht eine Invasion von Begriffen, die deutlich abstrakter sind, wie etwa das „Selbstwertgefühl.“ Das „Fühlen“ steht allerdings auch dafür, etwas zu befühlen, also sozusagen „sehr realistisch zu fühlen“.

Ein großer Teil unseres Fühlens wird von Neurotransmittern beherrscht. Das sind körpereigene Drogen, die auf Befehl des Gehirns erzeugt werden und weitgehend dafür zuständig sind, dass wir in irgendwelche „Zustände verfallen“, zum Beispiel, sozial zusammenzuhalten oder uns fortzupflanzen.

Denken und fühlen sind keine „Feinde“. Beide Elemente können sich gegenseitig beeinflussen, und vermutlich geschieht dies dauernd. Das heißt, sie können neutral koexistieren, einander „hochschaukeln“, also verstärken oder einander neutralisieren. Verstärken sie einander, so kann dies positive, negative oder gar keine Folgen haben. In den meisten Fällen bemerken wir solche Vorgänge aber intensiv. Wir verfallen dann in Euphorie oder Depression, die sich durch kybernetische Kreise (Auf- oder Abwärtsspiralen) zur Gefahr werden können.

Nahezu alle Schriftsteller haben Schwierigkeiten damit, Gefühle zu beschreiben. Manche retten sich, indem sie schreiben: „Ich bin beschämt, weil ich nicht die Wahrheit gesagt habe.“ Das ist so intelligent wie der Satz „Ich bin pleite, weil ich zu viel Geld ausgegeben habe.“ Andere schreiben: „Ich fühlte mich beschämt“ … was unwillkürlich zu der Frage führt: „Na, und was bedeutet das für dich?“

Auf einen Nenner gebracht: Wir „fühlen keine Gefühle“, sondern wir fühlen, was in uns vorgeht. Wenn wir dies wirklich beschreiben wollen, müssen wir schon viel Mühe aufwenden.