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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

In den 60ern war alles besser? Hört endlich auf damit!

Dieser Tage musste ich lesen, dass in den 1960er Jahren alles viel besser war, was mich lebhaft an meine Großmutter erinnerte, für die zu ihren Lebzeiten die ersten 13 Jahre des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg als „Die gute alte Zeit“ galt.

Die vermeintlich Liebe zu den Eltern

Ich höre, dass wir in den 1960ern noch alle unsere Eltern geliebt und geachtet haben. Irrtum. Die meisten wollten, so schnell es ging, dem Elternhaus entfliehen, eine eigene Familie gründen und alles viel besser, jedenfalls aber ganz andres machen. Denn das Gemisch aus Nazi-Zeit-Resten, bürgerlichem Dünkel und den damals noch ultrakonservativen CDU-Kanzlern hatte Deutschland gespalten. Hier die jungen Menschen, die endlich ein wirklich liberales Deutschland wollten, dort die versteinerten Konservativen, die vor allem die „alte“ Kultur beinhalten wollten- und damit war die Kultur vor dem Jugendaufbruch in den 1920er Jahren gemeint – kurz: die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, nur ohne Kaiser.

Kein Unterschied zwischen arm und reich?

Sodann vernahm ich, dass es damals keine Unterschiede zwischen arm und reich gab. Liebe Mitmenschen, entweder ihr habt Matsch in der Birne oder ihr lügt euch die Zeit schön. Es gibt allerdings einen Unterschied: Damals kannte man sie noch, die Reichen und die Armen, weil sie noch unsere Nachbarn waren. Die wohlhabende Diplomatenfamilie wohnte im selben Haus auf zwei Stockwerken, zwei Straßen weiter hausten die alte, verhärmte und wirklich nahezu mittellose Witwe in einer nahezu lichtlosen Souterrain-Wohnung – ganz zu schweigen von den Menschen in der Barackensiedlung. Heute vermuten die eher Pseudo-Armen, die angeblich Reichen seien unermesslich reich, weil sie dies in Statistiken im Internet nachlesen können. Aber sie kennen niemanden, der gegen Ende des Monats kein Brot mehr zu essen hat – ebenso wenig wie jemanden, der jedes Wochenende ein paar Flaschen Champagner mit einschlägigen Damen köpft.

Und die Moral? Sie galt nur, wenn man nicht schwieg

Von der verkommenen Moral will ich gar nicht reden. Öffentlich propagiert wurden die reinen Seelen in reinen Körpern, die uns angeblich die griechische Kultur geschenkt hatte. Enthaltsame Männer, keusche Frauen. Wer davon abwich, wurde abgekanzelt, ausgegrenzt oder verachtet -freilich nur, wenn sie oder er arm war und die Sache ruchbar wurde. Hielten Frau oder Mann alles gedeckelt, oder gehörten sie „gewissen Kreisen“ an, dann war ohnehin alles möglich: Ein gemeinsamer Lover für sie und ihn, ein kleines Zusatzeinkommen für die Kontoristen, Friseuse, Schuhverkäuferin oder Krankenschwester. Unauffällig-elegante Kleidung, gute Manieren, etwas Verbindlichkeit – und schon kam die junge Frau an jedem Hotelportier vorbei. Nur die eine oder andere Bardame wusste, wie viel Geld dabei über den Tisch ging. Und Bardamen schwiegen damals wie heute.