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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Irrtümer über die Identität

Heute ist es mal wieder geschehen: Da fragt eine Person (vorgeblich ernsthaft, versteht sich), wie es denn alte Menschen schaffen können, sich selbst zu verändern, ohne ihre Identität aufzugeben.

Da ist es, dieses Wort: „Identität“. Mein altes Psychologielexikon, das ich immer noch aufbewahre, kennt das Stichwort nicht. Ganz anders als das deutsche Wikipedia. Der fleißige Student, der es möglicherweise verfasste, nutzte rund 5.200 Wörter, um es zu erklären, hat eine nahezu unendliche Liste von Literatur aufgeführt und nennt 18 Quellen für sein Elaborat.

Wie so oft, mag sich dies alles für einen Psychologiestudenten eignen, doch der Informationsgehalt bleibt dennoch dürftig. Denn die Menschen der Jetztzeit wollen ja wissen, wie ein Begriff heute definiert werden kann. Da bleibt er (oder sie) nach dem Genuss von Wikipedia hilflos zurück.

Immer noch hilflos, was Identität für euch bedeutet?

Es ist etwas schwierig, den aktuellen Begriff zu definieren. Etwas Hilfe zeichnet sich ab, wenn wir den Dorsch (2) zu Hilfe nehmen. Wen die etwas geschraubten Definitionen nicht stören, wird dies lesen:

Um eine bestimmte Identität für sich beanspruchen zu können, muss der Mensch sie in sozialen Interaktionen aushandeln. (…) Dies bedeutet auch, dass Identität unter wechselnden Lebensbedingungen immer wieder neu angepasst werden muss und Identitätskonstitution eine lebenslange Aufgabe ist.

Was letztlich heißt: Identität ist veränderbar. Und wenn man es genau nimmt, so verändert sie sich ein Leben lang durch Kommunikation.

Jeder kann sich verändern, ohne seine Identität zu verlieren

Und mit dieser einfachen Erkenntnis kann ich euch für heute verlassen, nicht ohne die Frage auch hier noch einmal zu beantworten: Jeder kann es schaffen, die Sicht auf sich selbst zu verändern und Veränderungen an sich selbst vorzunehmen. Die Mehrzahl der Veränderungen erfolgt durch die notwendige Anpassung so gut wie automatisch. Im Alter kann dies eine geringere Rolle spielen als in den mittleren Jahren – aber selbstverständlich verliert auch ein alter Mensch seien Identität nicht durch Veränderungen.

Quellen:
(1) Wikipedia deutsch
(2) Dorsch.

Unsinn über Dating-Apps, „bessere Ehen“ und Prozente

Immer wieder höre ich den Unsinn, dass Paare, die sich über Online-Dating-Portale kennenlernen, glücklichere Ehen führen. Zwar haben dies „Wissenschaftler“ angeblich festgestellt, aber die meistzitierte Studie wurde von einem Online-Dating-Unternehmen gesponsert. Die Studie wurde später weder verifiziert noch falsifiziert – und wird allein dadurch fragwürdig. Auch die Behauptung, dass mittlerweile die Hälfte aller Ehen aus Online-Dating hervorgeht, kann nicht bestätigt werden. Die letzten bekannten Zahlen liegen bei 20, bestenfalls 25 Prozent – und sie stagnieren nach dem bislang bekannten Zahlenmaterial. Es mag allerdings sein, dass sie inzwischen auf „gegen 30 Prozent“ gestiegen ist, oder wir ein Technologiemagazin behauptet, sogar auf „mehr als ein Drittel“. Die Herkunft solcher Zahlen ist allerdings zweifelhaft. Neuerdings wird – wie durch einen Zauber – immer das Wort „TINDER“ hervorgehoben, wenn von Online-Dating die Rede ist.

Tinder wurde erst ab 2013 relevant

Tatsächlich haben Tinder und andere Apps mit alldem nichts zu tun, wenn die Forschungen vor 2012 abgeschlossen wurden, denn Tinder wurde erst im Herbst 2012 gegründet. Der Siegeszug der App begann also erst gegen 2013.

Durch Online-Dating entstehen neue Konstellationen

Es gibt Vermutungen (auch glaubwürdige) dass diejenigen Menschen, die vor Ort keine passenden Partner finden, durch Online-Parteragenturen zusammengeführt werden können. Dadurch kommen auch Menschen zusammen, die sich (man staune) deutlich unterscheiden, zum Beispiel in ihren Ethnien.
Statistik der Ehen zwischen unterschiedlichen Ethnien, USA 2017. Die farbigen Abschnitte markieren die Jahre, in der verschiedene Online-Dating-Unternehmen gegründet wurden
Dies ist auch das Hauptergebnis der Studie von Josue Ortega und Philipp Hergovich, die jetzt neuerlich zitiert wird. In ihr wird die App Tinder tatsächlich erwähnt, wobei die Vermutung angestellt wird, sie könne etwas mit der Zunahme der Heiraten unter verschiedenen Ethnien zu tun haben. Die Annahme ist allerdings etwas abenteuerlich, weil es ohnehin die statistische Tendenz gibt, dass Menschen unterschiedlicher Ethnien heiraten. Man kann lediglich sagen, dass die Tendenz zwischen 1994 und 2004 etwas stärker zunahm als prognostiziert, und dass diese Tendenz mit „zugänglicheren“ Online-Dating Modellen, wie OK Cupid und Tinder nochmals zunahm. Die ist aber auch der einzige Zusammenhang, der zwischen der Studie und Tinder hergestellt werden kann, wobei „Tinder“ auch generell für App-basiertes Dating stehen könnte.

Die Meldung, die ich jetzt las, lautet:

Ob du es nun glaubst oder nicht: Sooooo schlecht schneidet die einstige Schmuddel-App als Verkuppler dann gar nicht ab. Tatsächlich finden mittlerweile fast 50 Prozent (!!!) der heterosexuellen Pärchen über Online Dating Apps zusammen.

Diese Meldung wurde ganz offensichtlich von interessierten Kreisen an die Presse lanciert. So schrieb die Gründerszene in ähnlicher Weise:

Online-Dating – vor allem die App Tinder – hat einen schlechten Ruf. Es heißt, dass daraus hauptsächlich kurzfristige Affären hervorgehen würden. Doch wie haben sich Beziehungen seit dem Start von Tinder und Co. tatsächlich verändert?


Genau diese Frage kann nicht wirklich beantwortet werden – und das hat nun wieder gar nichts mit Tinder zu tun. Sicher ist: Die Methoden des Kennenlernens haben sich verändert, und Online-Dating spielte dabei eine wesentliche Rolle. Doch während die Einen darin eine soziale Katastrophe sehen (Elitenbildung durch Online-Partervermittler), finden andere (wie Ortega und Hergovich) darin sogar eine Quelle der sozialen Integration.

Interessant wäre, was sich tatsächlich verändert hat – vor allem im Bewusstsein der Suchenden und weniger in den Medien, die sie nutzen. Wenn die Kühlschränke eine Revolution in der Vorratshaltung waren, fragte ja auch niemand, auf welches Fabrikat dies zurückzuführen war. Und so sollte es auch bei den sozialen Veränderungen durch Online-Dating sein.

Quellen: Technolgy Revue für die Aufbereitung der Fakten. Ferner: Business Insider. Zitate: (erstes) KleineZeitung . Zweites: Gründerszene . Original der Studie (Pdf): Arxiv.org. Daraus wurde auch die Grafik entnommen.

Warum wir oftmals etwas neu aushandeln müssen

Die neue bürgerliche Rechte, die in vielen Mitmenschen wohnt, obgleich sie niemals die extreme Recht wählen, erreichte mich vor einigen Tagen. Demnach ist die Rechtssicherheit in Deutschland in Gefahr.

Doch warum?

Weil einmal jemand etwas höchst Nützliches gesagt hat:

Unser Zusammenleben muss täglich neu ausgehandelt werden. Es liegt an uns, ob wir darin dennoch eher die Chancen sehen wollen oder die Schwierigkeiten.


Die Frage ist natürlich, was gemeint ist. Sollte es Frauen und Männer betreffen, so sind die Regeln für das Zusammenleben seit Jahrzehnten im Fluss, und alle wissen dies. Genderforscher(innen) und Feministinnen beharren sogar daraus, dass dies ein „Muss“ sei. Und selbst der alternde liberale Pragmatiker, der hier schreibt, sieht es ein. Ja, es kann nicht mehr so weitergehen mit den ungeschriebenen Gesetzen des Zusammenlebens, nach denen die Großmama und der Großpapa zusammenlebten. Und das alles ist nichts anderes als:

Unser Zusammenleben muss täglich neu ausgehandelt werden.

Man mag sich fragen, ob die Wortwahl möglicherweise übertrieben sein könnte. „Täglich“ ist ein bisschen oft. Aber „Fallweise“ trifft den Nagel auf den Kopf. Und dann gilt auch der Nachsatz:

Es liegt an uns, ob wir darin dennoch eher die Chancen sehen wollen oder die Schwierigkeiten.

Veränderungen bedeuten Chancen - Starrsinn ist gefährlich

Klar, dass diese einige Menschen in unserem Land nicht wollen. Flexibel zu sein fällt dem Deutschen ohnehin schwer. Und weil das so ist, pocht er auf „Rechtssicherheit“, die im Grunde gar nichts damit zu tun hat. Es sind die Vereinbarungen untereinander, die hin und wieder neu definiert werden müssen – jedenfalls im Bereich der Beziehungen.

Und in vielen anderen Bereichen eben auch. Es scheint so, als ob die Diskussion um Migranten jede Vernunft tötet. Und es wirft viel Licht auf diejenigen Konservativen in Deutschland, die offenbar nicht wahrhaben wollen, dass sich die Gesellschaft verändert, ob sie es nun gutheißen oder nicht.

Manager und Machterhalter – Teil zwei

Warum Manager Änderungen als Gefahren ansehen

Alles, was ich von Managern weiß, habe ich von Managern gelernt. Und dies wird sie schockieren: Eine gewisse geistige Beschränktheit ist oftmals nicht unbedingt von Nachteil – das hat mir ein sehr erfolgreicher Unternehmer verraten, der einmal über seien Ausbildung plauderte. Andere, so sagte er, hätten viel mehr Intelligenz besessen und eine große Vielfalt an Entwürfen vorlegen können – während er schon Schwierigkeiten gehabt habe, einen einzigen vorzustellen.
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Das ist nicht „im Prinzip falsch“, sonder im Grunde goldrichtig: Die ursprüngliche Idee muss durchgesetzt werden – und wenn sie richtig war, dann erblüht das Unternehmen. Noch vor Kurzem hat jemand ein Buch darüber geschrieben. Es heißt „The One Thing“ und sagt genau das: konzentriere dich auf ein Ziel, und führe deinen Plan konsequent durch.

Schwachstelle Vertrieb: Auch Luschen reklamieren Erfolge für sich

Schade nur, wenn der Weg in die Irre führt. Der Vertriebsmanager, der so handelt, und der weder Fantasie noch Kreativität sein Eigen nennt, ist nur solange erfolgreich, wie der ursprüngliche Plan standhält. In Krisen treibt er seine Mitarbeiter an, sie müssten „mehr desselben“ tun – und nicht etwa kreativer werden. Er tut dies, weil er selbst nicht imstande ist, kreativ zu denken. Der Unternehmer sollte sich vor allem dies vergegenwärtigen: Der Verkauf kann boomen, weil man einen so guten Verkaufsmanager hat, obwohl man einen so schlechten Verkaufmanager hat und sogar unabhängig davon, ob er gut oder schlecht ist.

Bei dem klugen Paul Watzlawick, der mit der Wirtschaft wenig am Hut hatte, könnten diese Manager etwas lernen: „Mehr desselben“ kann funktionieren, aber sollte es nicht zum Erfolg führen, ist „etwas anderes“ angesagt. Und letztlich gibt es Probleme (auch im Vertrieb), die unlösbar sind.

Änderungen werden meist als Gefahren angesehen

Nun weiß jeder (oder sollte es wissen), dass eine Krise immer dann droht, wenn sich ein Markt verändert – vor allem einer, den man für stabil hielt. So wie der Kameramarkt in den 1960er Jahren: Das Volk kaufte billige, qualitativ oft fragwürdige Kleinbildkameras mit Durchsicht-Sucher – doch wer wirklich fotografieren wollte, war auf der Suche nach einer Spiegelreflexkamera. Die hielt man rar und teuer, weil sie für einen Nischenmarkt gedacht waren, der dem Normalverdiener verschlossen blieb. Es gab weder nennenswerte technische Neuentwicklungen noch Ideen zur Preissenkung, und die Mehrheit der Fotohändler glaubte ohnehin, dass sich mit dem 35mm-Film keine hochwertigen Aufnahmen erzielen ließen. Und Wechselobjektive? Die waren unerschwinglich. Erst nachdem die Japaner den Markt aufmischten, eine Fülle von Patenten anmeldeten und zeigten, was japanische Feinmechanik und Optik zu leisten vermochte, wachte man auf – viel zu spät.

Damals waren es die deutschen Manager, die sich an die bekannte Devise hielten: „Änderungen müssen bekämpft werden“ – Parallelen zur Automobilindustrie der heutigen Zeit sind nicht von der Hand zu weisen. Aber – Änderungen setzten sich früher oder später durch. Man muss kein Ingenieur sein, um festzustellen, dass ein Elektromotor wesentlich einfacher zu entwickeln und zu produzieren ist als ein Dieselmotor mit Getriebe. Diese Fahrzeuge könnten also einmal sensationell billig angeboten werden, wenn sie denn in Massen produziert würden. Und so ein Fahrzeug fährt sich einfach himmlisch – solange man keine Überlandstrecken bewältigen muss.

Solange Manager denken: „Änderungen sind gefährlich für mich und meine Position“ – solange werden sie versuchen, Änderungen zu verhindern. Sie behindern damit nicht nur die Leistungsfähigkeit der Unternehmen, für die sie tätig sind, sondern schaden gegebenenfalls auch der deutschen Wirtschaft. Änderungen sind Chancen – das sollte eigentlich die Devise sein.

Die gefährlichste Änderung für Manager: Organisationsänderungen

Die größte Änderung aber ist nicht die Neuausrichtungen in der Technologie, der Produktion oder im Vertrieb – denn davon sind Manager bestenfalls betroffen, wenn sie zu Fehlentscheidungen neigen. Die für Manager gefährlichste Herausforderung sind Änderungen in der Organisation. Mehr als einmal hörte ich: „Diese Leute von der IT maßen sich an, meine Organisation zu zerstören“. Nein, das taten sie nicht. Sie deckten vielmehr die Schwachstellen auf, die ein effizientes Arbeiten verhinderten – und stellen damit die Manager bloß, die diese Schwachstellen niemals bemerkt hatten. Bottlenecks, mehrfache und ineffiziente Bearbeitung des gleichen Vorgangs, Informationsschwächen, Kompetenzgerangel und Kommunikationsmängel – all das wurde einfach übersehen.

Nun – ich bin längst raus aus diesem Geschäft. Aber ich fürchte, dass sich nicht viel geändert hat, solange unsere Manager Änderungen für Gefahren halten.