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Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Gebhard Roese: zu mir – aktuell im Jahr 2021

Bin ich euch zu jung? Das bin ich wirklich nicht ...
Ich kann nun auf viele Jahre zurückblicken. Nein - nicht mehr auf den schrecklichen Krieg. Aber durchaus noch auf seine Folgen und das, was damals aus Deutschland geworden war. Hunger, Kälte, Trostlosigkeit und Ruinen. Aber auch Hoffnung.

Deutschland? Ich wurde nicht in „Deutschland“ geboren, sondern in der Britischen Besatzungszone, die später zur „Amerikanischen Enklave der Britischen Besatzungszone“ wurde, Kraftfahrzeugkennzeichen „AE“.

Das Gedankengut der Nazis hatte sich noch nicht so recht verflüchtigt, aber das habe ich erst viel später bemerkt, denn zu dieser Zeit wusste ich noch nicht, was „Nazis“ waren. Wahrscheinlich hätte ich es nie erfahren, denn sowohl in der Grundschule wie auch auf dem Gymnasium hörte ich nichts davon. Und ich kann euch versichern: Ein junger Mann jener Tage aus einfachen Verhältnissen war an allem interessiert, aber bestimmt nicht an konservativem oder rechtsgerichtetem Gedankengut.

Mir reichten schon die Bürgersöhnchen, die sich für die neuen Eliten hielten. Ein schrecklich arrogantes Pack, das aber bereits auf seine Privilegien pochte. Es gab, das erfuhr ich bald, durchaus Tugenden in dieser Stadt. Aber eben auch Widersprüche und Verschleierungen.

Die Geschichte, in die ich hineingeboren wurde, der Staat, in dem ich aufwuchs, wurde mir erst wirklich deutlich, als ich in ein anderes Bundesland zog.

Und ich durfte ein anderes Leben kennenlernen, das zunächst nur anders war, aber nicht besser. Doch nach und nach wurde es auch besser. In den letzten Jahren in meiner Geburtsstadt hatte ich bereits ein technisches Wissen erworben, das mir weiterhalf. In der neuen Stadt begann dann auch ein neues Denken. Die üblichen Stellschrauben waren für mich Beruf, Wohnung und Beziehung, und ich bemerkte, dass ich all dies verändern konnte, wenn ich nur wollte.

Das Bewusstsein, Deutsch zu sein, wurde erst durch meine zahllosen Auslandsaufenthalte geprägt. Denn ob ich wollte oder nicht: Geschäftspartner und Privatleute sahen in mir „den Deutschen“, der dort, wo er sich befindet, eben auch Deutschland repräsentiert und nicht nur seine Heimatstadt oder gar „nur sich selbst“.

Seither sind viele Jahre vergangen, und ich bin nach zahlreichen Stationen wie Stuttgart, Südbaden, Kopenhagen, Manchester, Wien, Budapest, Johannesburg und anderen Städten in Thüringen angekommen.

Nun kann ich den Menschen all das zurückgeben, was ich einst bekommen habe. Den geschärften Verstand des kritischen liberalen Geistes meiner „eigentlichen“ Heimat, die Gelassenheit badischer Lebensweise, die Fähigkeit abzuwägen und zu differenzieren …

… und bevor ich mich jetzt verplaudere …

Kannst du etwas davon gebrauchen? Dann schreib mir.

P.S: Sehpferd feiert gerade "20 Jahre Sehpferd". Dazu demnächst mehr ... oder gleich hier.

Ernüchterung

Der Sonntag ist vorbei. Wir, die wir „das Ei des Kolumbus beim Milchmann“ kaufen würden (1), ja wir in den Niederungen des Alltags, schauen einander an. Was war das nur für ein Müll, der das ganze Wochenende auf uns herabfiel? Wir – das sind diejenigen, die nicht öffentlich das große Maul aufreißen können. Der Müll? Er stammt von Künstlern, Journalisten, Politikern und insbesondere sozialen Netzwerkern, die sich alle unglaublich wichtig nehmen.

Und nun? Nun wird es Zeit, uns zu beruhigen. Wir müssen nicht diesem oder jenem vollends zustimmen – das ist viel zu billig. Aber wir müssen uns auch nicht sagen lassen: Wenn du es tust, bist du ein Verräter an … (da dürft ihr mal eure Lieblingsformel einsetzen).

Niemand hat das Recht, uns zu sagen, wie wir „zu denken haben“. Und jeder, der das versucht, sollte geächtet werden.

Und wir haben durchaus die Hoheit, über das selbst zu entscheiden, was wir an Informationen an uns heranlassen wollen. Denn wir tragen Verantwortung für uns.

Wenn das verstanden wurde, dann bin ich zufrieden.

(1) Die Anleihe stammt von Peter Rühmkorf aus „Anti Ikarus“

Tugenfuror - 2021 in neuem Gewand?

Was war das doch noch für ein Aufschrei, als wegen des Aufschreis ausgerechnet Herr Gauck von einem „Tugendfuror“ sprach.

Der legendäre Vorfall und der "#aufschrei

Die Älteren werden sich noch erinnern: Anno 2013 gab es den legendären Vorfall zwischen einer Journalistin und Rainer Brüderle, bei dem dieser verbal übergriffig wurde. Daraufhin startete die Aktivistin Anne Wizorek sozusagen „aus dem Nichts heraus“ über Twitter ihr #aufschrei-Kampagne, auf der letztlich ihr Ruhm basiert. So gut wie alle Medien unterstützten diese Kampagne durch eigene Berichte, sodass Frau Wizorek auch außerhalb von „Twitter“ viel Beachtung fand.

Damals sagte also Herr Gauck (Zitat SPIEGEL):

Wenn so ein Tugendfuror herrscht, bin ich weniger moralisch, als man es von mir als ehemaligem Pfarrer vielleicht erwarten würde.

Was verständlich ist, denn ehemalige Pfarrer wissen zumindest, dass Menschen nicht perfekt sind und dass sie eben dann und wann einmal „sündigen“.

Aber was tat die voreingenommene Presse mit Wonne? Sie schrieb dazu Verrisse ohne Ende.

Kommt der Tugendfuror zurück?

Und nun? Wir befinden uns – acht Jahre nach dem „#Aufschrei“ mitten in einer Diskussion darüber, was gesagt und nicht gesagt werden darf. Die „Gutmenschen“ darf ich so nicht mehr nennen, denn falls ich es häufiger täte, wäre ich ein „Schlechtmensch“. Ich soll das „politisch korrekte Denken“ erlernen, obgleich ich mit Carolin Emcke durchaus der Meinung bin, dass „politische Korrektheit“ eine Beschränkung ist, der sich niemand unterwerfen sollte. Oder im Originalton:

Die Formel “Politisch korrekt” ist das Morsezeichen der Denkfaulen.

Ob dies nun zutrifft oder nicht: Niemand, der schreibt, sollte sich dem Diktat der Horden unterwerfen, die mit religionsähnlichen Parolen durchs Land ziehen. Denn sie erfrechen sich, jeden, den sie nicht mögen, als „Falschmeinend“ zu brandmarken. Vor allem die gegenwärtigen Diskussion um "#allesdichtmachen" beweist nachhaltig, wo wir stehen: am Ende der freien Meinungsäußerung.

Der liberale Standpunkt kommt fast nicht mehr vor

Ob es überhaupt noch einen liberalen Standpunkt geben darf? Jeder, der gegen Meinungsfreiheit polemisiert, sollte sich selbst fragen, was sie ihm wert ist.

Und lasst mich noch dies sagen: Erstaunlich viele Redakteure und Kolumnisten treten heutzutage nur noch dann für die Meinungsfreiheit ein, wenn sie den Ideologien entspricht, die sie im Kopf haben.

Gedanken zu Kabarettisten, Schauspielern und Meinungsfreiheit

Ihr wollt verschämt vorbeihuschen, liebe Kabarettisten? Oder einen Schauspieler mal schnell niedermachen, weil er seine Meinung sagt? Ein bisschen Cancel-Culture spielen? Warum?

Ich war erst überrascht, dies alles zu erfahren. Dann dachte ich: Nun ja, offenbar verwechselt ihr eure Berufe mit dem des Hofnarren. Ein bisschen Spaß darf man machen, solange es den Regierenden nicht lästig wird, klar. (1)

Warum Jan Josef Liefers ernst genommen werden sollte

Jan Josef Liefers gebührt der Dank, deutlich zu sagen: Wir dürfen der Bevölkerung nicht ständig Furcht einjagen. Denn das allein ist die Botschaft, die Liefers verbreitete, und sie ist wahr und richtig. Und bitte: das hat weder etwas mit Corona-Leugnung zu tun noch mit den sogenannten Querdenkern, die ich für Nichtdenker halte. Und schon gar nichts mit dem rechten Rand der politischen Landschaft.

Freie Meinungsäußerung ist ein Kulturgut

Also: Ich, für meinen Teil, halte die freie Meinungsäußerung nicht nur für ein Grundrecht, sondern für ein unverzichtbares Kulturgut. Und deswegen sage ich, wie viele andere auch, "Danke" an Josef Liefers. (Dieser Link führt zu Twitter).

Ich muss nicht sagen, was ich von jenen halte, die auf ihre freie Meinungsäußerung „nachträglich verzichtet haben“, oder? (2)

(1) Ich hätte hier vielleicht sogar auf "BILD" verlinkt, aber im Grunde reicht auch dieser Hinweis auf einen Artikel über die Heute-Show, der hier jüngst erschien.
(2) Ich bin empört über die Lobgesänge von Journalisten, die diejenigen feiern, die sich nachträglich "herausgeredet" haben. Wenn das Schule macht, können wir das Recht auf freie Meinungsäußerung begraben.

Die Denkflucht der Eiferer

Indem man den Namen auslöscht, wiegt man sich im falschen Bewusstsein, das Gedankengut hinter dem Namen auch beseitigt zu haben.. Cancel-Culture ist eine Form von Denkflucht.

Eduard Kaeser in der NZZ

Ich empfehle jedem, diesen Artikel zu lesen. Er zeigt überdeutlich, wie schnell wir uns auf Menschen einlassen, die mit rechthaberischer Gewalt argumentieren, sich aber selbst als überaus edel, hilfreich und gut bezeichnen.

Dem Autor sei Dank. Meinungen gegen die „Cancel Culture“ zu veröffentlichen erfordert inzwischen Mut. Insofern geht der Dank auch an die NZZ, die es dennoch tut.