Skip to content
Dem liberalen Geist eine Stimme geben - das ist sehpferd

Blödsinn aus der Wissenschaft – Attraktivität

Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass „wissenschaftliche“ Studien über die Partnersuche hart an der Grenze zu „Fake News“ sind. Der Trick: man forscht auf einem Terrain, auf dem man kaum Fakten vorfindet, und ersetzt sie durch Annahmen. Das geht so:

1. Man hat keine Kriterien für Attraktivität.
2. Man kann nun solche annehmen ...
3. Das ist aber nicht fein genug für einen Forscher.
4. Also nimmt man etwas anderes an, was glaubhafter udn wissenschaftlicher klingt.
5. Aufgrund der Annahme wird eine Studie erstellt.
6. Aus den meist mageren Ergebnissen werden reichlich Schlussfolgerungen gezogen.
7. Journalisten greifen das Thema begierig auf und versuchen, sie als „Tatsachen“ an die Leser zu bringen.

Also, wie messen wir Attraktivität? (1)

(Indem wir) ... messen, wer die meiste Aufmerksamkeit von wem bekommt.


Ich denke mal, das entspricht in etwa der Aussage: Die besten Äpfel sind immer diejenigen, die am meisten gekauft werden.

Klar, dass nun jeder noch etwas dazu zu sagen hat … und im Titel vieler Zeitungen taucht eines der fragwürdigen Ergebnisse dann so auf: „Suchende überschätzen sich beim Dating“, oder „Online-Dating: Mehrheit sucht außerhalb der eigenen Liga“.

Kalter Kaffee auf der ganzen Linie. Dass Menschen ihre Attraktivität überschätzen, ist ein alter Hut. Es geht dabei um das Phänomen, sich stets als „Überdurchschnittlich“ einzustufen, obgleich viel wahrscheinlicher ist, dass man „Durchschnitt“ ist. Heißt Overconfidence-Effekt und ist wirklich ein ganz alter Hut.

Und beim sogenannten Online-Dating ist das Problem, nicht nur die Attraktivität zu überschätzen, sondern sich selbst generell als „wertvoller“ einzustufen, als es der Partnermarkt hergibt.

(1) Derartige Aussagen erschienen in zahllosen Zeitungen, u.a. in der MAZ und der NWZ.



Rotkäppchen, die Romantik und die Moral

Junge Frau und böser Wolf in der Maske der Großmutter von Paul Woodroffe
Wie alt ist Rotkäppchen eigentlich, als sie zur Großmutter geschickt wird?

Die Frage, wie alt das Rotkäppchen sein könnte, das wir von den Grimms her kennen, wird sehr unterschiedlich beantwortetet. In einem Beitrag heißt es:

Die Geschichtenerzähler erwähnen selten das Alter der jungen Protagonisten. Wörtlich, doch die Illustratoren porträtieren sie irgendwo zwischen einem Alter von drei oder vier Jahren bis hin zum früher Teenageralter.


Nun gilt für viele Kinder, dass sie die Protagonisten als „Menschen ihres Alters“ empfinden. Die Vorstellung also, allein mit einem Korb voller Nahrungsmittel durch den dunklen, von wilden Tieren bewohnten Wald zu gehen, ist nicht altersgebunden. Ja, diese Furcht verfolgt viele Menschen bis weit ins Erwachsenenalter.

Auf der anderen Seite ist es sehr unwahrscheinlich, dass man ein Kind unter 12 Jahren durch den Wald oder „ins nächste Dorf“ schickt. Dazu die Textstellen:

Bei Perrault

Rotkäppchen lief sogleich davon, um zu seiner Großmutter zu gehen, die in einem anderen Dorf wohnte.

Bei Grimm:

Die Großmutter aber wohnte draußen im Wald, eine halbe Stunde vom Dorf.


Die gefährdete junge Damen bei Perrault

Es gibt bei Perrault im Übrigen einen unzweifelhaften Hinweis auf das Alter, wozu man freilich die ans Märchen angehängte Moral lesen muss: Verblümt wird über die „Wölfe“, mit der junge Männer gemeint sind, dies gesagt (sinngemäß modern übersetzt)(1):

So gibt es welche, die vertrauensvoll wirken, sehr gefällig sind und auch von milder Wesensart, und die den jungen Frauen in die Häuser oder die Gassen folgen. Doch leider sind es gerade diese scheinheiligen Wölfe, die von allen Wölfen am gefährlichsten sind.


Somit ergibt sich unzweifelhaft, dass die Zielgruppe von Perrault junge Damen waren, die meist vom Land kommend, in der Stadt Beschäftigung suchten und sich dort vor Verführern schützen sollten. Die Folgen werden bei Perrault drastisch ausgemalt: Einmal vom Wolf „gefressen“, war das Leben zerstört, selbst dann, wenn es weiterging.

Das ungehorsame, romantische Mädchen bei den Grimms

Das deutsche Märchen nach Grimm ist eigentlich ein Plagiat des Perrault-Märchens. Es beinhaltet freilich eine ganz andere Moral, die von den Grimms deutlich ausgearbeitet wird, dun sie lautet: „Wehe, du gehst eigene Wege.“

Mach dich auf, bevor es heiß wird, und wenn du hinauskommst, so geh hübsch sittsam und lauf nicht vom Weg ab, sonst fällst du und zerbrichst das Glas, und die Großmutter hat nichts. Und wenn du in ihre Stube kommst, so vergiß nicht, guten Morgen zu sagen, und guck nicht erst in alle Ecken herum.


Wie jedem Märchenkenner bekannt, wird das „Abkommen vom Weg“ bei den Grimms romantisch aufbereitet – dort verfällt Rotkäppchen in eine geradezu rauschhafte Seligkeit, als es sich an der Natur erfreuen darf. Diese Freude darf allerdings nicht anhalten, weil das Mädchen durch ihre "ungezogene" Haltung gegen die Weisungen der Mutter verstößt. Also nimmt das Schicksal zunächst seinen Lauf: Nach dem berühmten Dialog, der allen Rotkäppchen-Versionen eigen ist, wird das Rotkäppchen gefressen. Und um alle Leser, Eltern wie Kinder, dann noch einmal mit dem Märchen zu versöhnen, gibt es eine Wiedergeburt und ein „Happy End“.

(1) Original: Qui privés, complaisants et doux, Suivent les jeunes Demoiselles Jusque dans les maisons, jusque dans les ruelles ; Mais hélas ! qui ne sait que ces Loups doucereux, De tous les Loups sont les plus dangereux.